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184 v<><><><><><><><><^ Meggendorfer-Blätter, München

Das verschluckte Ei V°n E.A.L«nnig

In einer kleinen Bierstube der Altstadt, in der ich
meine täglichen Mahlzeiten einzunehmen Pflegte, lernte ich
eines Tages einen merkwürdigen alten Lerrn kennen. Die
Art und Weise, wie er in meinen Gesichtskreis trat, war
folgende.

Es war schon gegen ein !lhr, und das Stammpublikum
hatke bereits abgegeffen, als fich wie von unsichtbarer Land
die Tür der Gaststube öffnete und eine Weile in dieser
Lage verharrte. Dann steckte sich behutsam ein Kopf durch
die Oeffnung, ein Paar Augen überflogen prüfend das
Zimmer, und plötzlich schoß ein dürres, schon angejahrtes
Männchen in schnurgerader Linie auf meinen Tisch zu.

„Es ist das reinste Spießrutenlaufen, durch so ein Lokal
zu gehen," sagte das Männchen, indem es an einer Pelz-
kappe zerrte, die ihm ziemlich fest auf dem Kopfe saß.
Dann deutete es auf den Tisch, an dem ich als einziger
Gast saß, und fuhr fort: „Lier ist doch noch frei, bitte?"

Ich nickte bejahend mit dem Kopse, denn zu eiver Er-
widerung fand ich angesichts des jähen Aeberfalls noch nicht
das rechte Wort. „Danke schön, mein Lerr," nahm der
Ankömmling wieder das Wort. „Wenn Sie erlauben,
sehe ich mich hierher."

Ohne eine Antwort abzuwarten, hing er seine Mütze
mit einem kleinen Anlauf an einen Nagel, band sich ein
schwarzseidenes Tuch, das er über den Ohren trug, ab,
stopfte es in die Vrusttasche seines ziemlich dünnen Aeber-
ziehers und hing auch diesen dann zu der Mütze.

„Ich bin nämlich ein bißchen empfindlich an den Ohren,"
sagte er wie sich entschuldigend.

„Kein Wunder bei solch einem Wetter," bemerkte ich.
Denn es war sehr stürmisch draußen.

„Ein Sauwind," fiimmte er zu. „Aber jetzt sind wir da.
Geschützt und wohlgeborgen in einem netten Winkelchen."

Dann setzte er sich, hauchte sich in die Lände und rieb ste.

„Ein gemütliches Lokal," sagte er nach einer Weile.

„O ja," pflichtete ich bei. „Eine Wirtschaft nach dem
guten alten Schlag und recht anständig und gut bürger-
lich geführt."

„Das ist die Lauptsache," gab mein Nachbar zurück.
„Die modernen Prunkpaläste i» ihrer phantastelosen
Nüchternheit und ihrem Maffenbetrieb sind mir ein Greuel."

Lier wurde er von der Kellnerin unterbrochen, die ihm
die Speisekarte reichte.

„Ein nettes Dingerl," lobte er. „So ganz anders als
diese überspannten Servierdamen, die von einer Kellnerin
nichts mehr an sich haben, als das Trinkgeldnehmen."

„Darin bin ich ganz Ihrer Meinung," warf ich ein.
„Auch ich ziehe die schlichte Anspruchslosigkeit dieser alten
Gaststätten der Oede dieser steifen Gespreiztheit vor trotz
all des Lichterglanzes, der darüber hinfließt."

„Da sind Sie mein Mann," nickte mein Nachbar wohl-
gesällig. „Wir werden, denke ich, noch manches gute Wort
miteinander reden. Doch jetzt erlauben Sie, daß ich esse.
Ich habe einen Wolfshunger, denn ich bin weit gegangen."

Ich respektierte seinen Wunsch und sah mit Vergnügen
zu, wie es ihm schmeckte. Den Rest seiner Portion wickelte
er sich indessen ein und zwar mit einer Miene, als hätte
er sagen wollen: Allzuviel ist ungesund.

Von da ab kam er regelmäßig jeden Mittag, und wir
fanden beiderseits immer mehr Gefallen aneinander, sodaß
ich schon immer mit Angeduld auf sein Erscheinen wartete,
das sich übrigens stets in der gleichen Weise vollzog wie
am ersten Tage seines Auftauchens. Im Laufe der Zeit

Im Wirtshaus

— „Lätte mir der Arzt doch nicht so dringend vom Bier
abgeraten!"

— „Sie trinkens ja trotzdem?"

— „Gewißl Aber man überlegt und überlegt, und in-
zwischen ist's immer abgestanden."

Der Herbergs-Automat
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