Meggendorfer-Blätter, München
Der elektrische Türöffner
Adams großer Koffer V°n -peter Robinso»
„Eigentlich solltest du jetzt für ein paar Wochen aufs Land ziehen
können/ wünschte ich mir. Lervorgerufen wurde dieser Wunsch dadurch, daß
ich gerade am Starnberger Bahnhof vorüber ging und es der erste Iuli und
zudem richtiges schönes Sommerwetter wav. Dies letzte zu erwähnen, ist nicht
überflüssig; es ist in München durchaus keine normale Erscheinung, daß am
ersten Iuli Sommerwetter ist. Es kann dort dann ebeuso gut Frühlingswetter
oder Lerbstwetter oder Winterwetter sein oder auch, was besonders häufig
vorkommt, ein Wetter, das sich in gar keine Nubrik unterbringen läßt. Das ist
in München sehr wohl mögiich. In München ist überhaupt alles möglich.
Ich kam also am Starnberger Bahnhof vorüber. Gerade hielt dort ein
Automobil, aus das stch über den Raum zwischen Fahrdamm und Eingang des
Bahnhofs ein Gepäckträger zu bewegte, der es durchaus nicht eilig zu haben
schien. Warum aber hätte er es auch eilig haben sollen? Mir sind aus dem
Starnberger Bahnhof schon viele Leute begegnet, die sich darüber ärgerten,
daß die Gepäckträger es nicht eilig hatten. Ich bekenne, daß ich selbst früher
auch zu diesen Leuten gehört habe; ich will sogar fceimütig eingestehen, daß
ich in früheren Iahren dreimal zu heftigen Ausfällen gegen langsame Gepäck-
träger mich habe hinreißen lassen. Inzwifchen aber habe ich eingesehn, daß
ich Unrecht gehabt habe. Die Gepäckträger sind vollkommen im Recht. Wer
das bezweifelt, der habe die Gefälligkeit, sich die Sache einmal zu überlegen.
Laben die Gepäckträger etwa die Absicht, abzureisen? Nein, sie haben diese
Absicht nicht; sie wollen vielmehr den ganzen Tag aus dem Bahnhof bleiben.
Ob ein Zug in einer halben Stunde oder schon in einer halben Minute abgeht,
— das kann ihnen ganz gleichgültig sein, da sie ja doch nicht einsteigen wollen.
Es wäre also geradezu albern von ihnen, wenn sie hasten würden.
Iener Gepäckträger, der dem erwähnten Autvmobil in der gerechtfertigten
Gangart zuschritt, war jedenfalls von dem einen oder den mehreren Insaffen,
die mit dem Auto angekommen und wahrscheinlich bereits nach dem Fahr-
kartenschalter gegangen waren, ausgeschickc worden, das Gepäck abzuholen.
Dieses bestand in einem sehr großen Rohrplattenkoffer, einem ersichtlich nagel-
neuen Koffer, der seine erste Neise antreten sollte. Prüfend schaute der Gepäck-
träger ihn an; er machte ein bedenkliches Gesicht. Dann streckte er seine Arme
aus, und es war ihm anzumerken, wie er seine, jedenfalls recht ansehnlichen.
durch den Inhalt manchen Maßkruges genährten Kräfte ganz und gar mobil
machte, das große Stück zu bewältigen. Er packte den Koffer — hopla, da wäre
er beinahe hintenüber gefallen, von seiner eigenen Kraft zürückgeworfen, die
keine entsprechende Feffelung gefunden hatte. Der Koffer mußte leer sein: mit
einer Land warf ihn der Mann auf seinen Rücken.
So, das hatte ich gesehn, und jetzt hätte ich eigentlich gehn können. Ich
sah aber noch dem Gepäckträger nach, wie er in die Lalle hineinmarschierke,
— aus ganz überflüssiger Neugier, wem wohl der große Koffer gehören mochte.
Der Gepäckträger ging auf einen Lerrn zu, der eben vom Fahrkartenschalter
kam, einen schlanken, großen Lerrn, der einen hellgelben Anzug — aus Rohseide
oder auch aus einem geringeren Stoff, denn aus der Entfernung ließ stch das
nicht erkennen — und eine weiße Seglermütze trug. Dieser Lerr hob mit
einem Male beide Arme und winkte. „Es ist Ansinn, Verehrter, daß Sie winken,"
dachte ich; „Ihr Gepäckträger wird stch darum nicht beeilen, im Gegenteil."
Aber ich halte mich geirrt; der Gepäckträger war bei dem Lerrn angelangt,
der aber trotzdem das Winken nicht einstellte. Lestiger hob und senkte er die
Arme; unwillkürlich machte ich einige Schritte vorwärts, der winkende Lerr
tat desgleichen, — siehe da: seine Einladung halte mir gegolten. Es war
Adam, mein Freund Adam, den ich sogar meinen teuren Freund nennen würde,
wenn mir das ein anderer Bekannter Adams nicht als unlauteren Wettbewerb
verboten hätte, mit der Begründung, er habe Adam noch viel mehr geborgt
als ich, ihm sei Adam teuer geworden, ich aber könnte ihn eher noch billig nennen.
Aebrigens verflüchtigte sich ein gewiffer Eindruck von Wohlhabenheit, den Adam
eben noch, ehe ich ihn erkannte, auf mich gemacht hatte, nach und nach, während
wir uns näher kamen; der hellgelbe Anzug war nämlich doch nicht aus
Rohseide, sondern wirklich aus einem geringeren Stoff.
„Grüß Gott!" rief mir Adam entgegen. Immer wenn er diese, seiner
geographischen Lerkunft eigentlich nicht entsprechende Grußformel anwendet,
ist Adam guter Laune, und da er guter Laune gewöhnlich dann ist, wenn
es ihm eben geglückt ist, Geld aufzutreiben, klang mir sem Gruß angenehin in
die Ohren. Denn ich hatte nun kaum zu befürchten, daß ich von Adam gedrängt
— driicken!