40 Meggendorfer-Blätter, München ^/^^III^/II7L^^
Jm Wandel der Zeiten
— „Nein, dieses entsetzliche Stöbern! Das treibt einen
direkt zum Lause hinaus!
(Nach achtzehn Monaten)
La, Stöbern, da komme ich ja gerade recht.
Der Schützengrabenschrcck
„And zur Erholung wollen Sie? Na, hören Sie mal,
ein Schlltzengraben ist doch kein Kurhotel, mein Lieber!"
„Kommen Sie mir etwa auch mit dem Schützengraben-
schreck?" zürnte Speckhuber. „Ich sag ja, es ist eine Manie,
eine Masienpsychose, eine —"
„Aber, warum regen Sie stch denn auf, Lerr Speck-
huber?"
„Nein, da soll man nicht aus der Laut fahren. Ia,
wenns nicht so widersinnig war, aber —"
„Wollen Sie nicht deutlicher werden, vielleicht, daß
ich Ihnen —"
„Deutlicher?" stöhnte Speckhuber, „ja, wo fang ich da
an? Das verfolgt einen ja wie's leibhaftige Nervenfieber.
Nirgends ist man sicher. Besorg ich mir da neulich ein
Paar neue Schuhe. Ich hatte ste nötig, dringend nötig.
Die alten hatten bereits Italiens Kriegserklärung und
den deutschen Vormarsch im Osten mitgemacht. Komme
ich zu meinem alten Schuhlieferanten. Aebrigens, die Preise
waren nicht von Pappe, aber die Sohlen natürlich. Nach
drei Wochen hätten sie leine Siegesfeier mehr ausgehalten.
Ich beschwere mich. Sagt mir der Mensch: „'s ist Krieg,
Lerr Speckhuber. Kommen Sie mal erst in den Schützen-
graben, Lerr Speckhuber!"
Mein Schneider liefert mir — aus Gnade und Barm-
herzigkeit, sag' ich Zhnen, denn er hat Kriegsarbeiten in
Lülle und Fülle — einen Anzug. Natürlich hat alles noch
Friedensmaß, die Losenbeine schlampen und die Weste
schlägt Falten, wie ein Tragöde, als ob man nicht zwanzig
Monate durchgehalten hätt'!
„Ich muß mich doch sehr wundern, Lerr Bartmuß, daß
Sie solchene Arbeit abliefern," sag' ich.
„Wenn S' erst im Schützengraben sind, Lerr Speck-
huber," sagte der vorlaute Mensch, „nachher wundern S'
stch überhaupt über nix mehr!"
Im Schlafzimmer meiner Wohnung regnet es durch,
daß die Masurischen Seen nix dagegen stnd. Sechsmal
schicke ich zum Lauswirt, er möchte stch die Bescherung
ansehn. Endlich kommt er, betrachtet die Seen, die Zimmer-
decke, wiegt den Kopf und brummt: „Iessas, Lerr Speck-
huber, allweil die Aufregung um die paar Tröpfeln? Sie,
wenn S' im Schützengraben wären, würden S' lachen über
die Tröpfeln, also wissen S', was so an richtiga Anter-
stand is —"
„Schon gul", sag ich, „Lerr Bleichinger, entweder wir
sind im Schützengraben, dann bezahl ich keine Miete, oder
wir sind —"
Aber das ist noch nicht alles. Gestern, zum Exempel,
kauf ich Aepfel. Ia, was meinen S', die Lälfte ist grund-
verdorben. Als ich sie der Frau zurückbring', fängt das
Weibsbild an zu greinen: „Im Schitz'ngrab'n warn S'
froh, wenn S' a solchene hätten, Lerr." !lnd sie wär eine
ehrliche Person, die zwei Söhne im Krieg hätt', und solche
Ansprüch zu machen, ob sich das in so ernster Zeit gehörte.
Die Leut' blieben stehn, sag ich Ihnen, und es hätt' nicht
viel gefehlt, und man hätte mich gesteinigt.
„Was sage ich, wo ich geh und stehe, wobin ich komme,
— ich brauch nur den Mund aufzutun, gleich heißts: „Sie,
wenn S' im Schützengrab'n wären —." Ich sage, ist das
nicht, um aus der Laut zu fahren! Ia, wenn ste wenigstens
Recht hätten, die Leut' mit ihrem Schützengrabenschreck.
Aber da lesen S' nur die Karten von mein Schwager, der
schon so ein Iahr im Osten steht, lesen S' nur!"
Speckhuber hielt mir eine Feldpostkarte unter die Nase.
Verwischte Bleististzeichen, kaum mehr zu entziffern, be-
sagten: „Lieber Schwager, tu Dich nicht gar so hart mit
deinen Liebespaketchen. Wir werden hier so extra nobel
verpflegt, alles, was des Kriegers Lerz begehrt, ist vor-
handen. And Fett- und Brotkarten, womit ihr Aermsten
euch abhaspeln müßt, gibts dahier nicht. Sogar a Bier
ham mer, proscht! Dein Franz.
Postskriptum! Loffentlich gehts bald wieder ran an
den Feind. Der Obige."
Na, was sagen Sie nun, hä? Ihr Aermsten, schreibt
er, ist das zu glauben? „Ihr Aermsten!" Nächstens wird
er mir noch Liebesgaben schicken, statt umgekehrt. And da
reden die Leut': „Wären Sie mal erst im Schützengraben,
Sie Anzufriedener, Sie Nörgler, Sie Grandlhuber, Sie—I
Ia, wär ich nur erst im Schützengraben!"
Jm Wandel der Zeiten
— „Nein, dieses entsetzliche Stöbern! Das treibt einen
direkt zum Lause hinaus!
(Nach achtzehn Monaten)
La, Stöbern, da komme ich ja gerade recht.
Der Schützengrabenschrcck
„And zur Erholung wollen Sie? Na, hören Sie mal,
ein Schlltzengraben ist doch kein Kurhotel, mein Lieber!"
„Kommen Sie mir etwa auch mit dem Schützengraben-
schreck?" zürnte Speckhuber. „Ich sag ja, es ist eine Manie,
eine Masienpsychose, eine —"
„Aber, warum regen Sie stch denn auf, Lerr Speck-
huber?"
„Nein, da soll man nicht aus der Laut fahren. Ia,
wenns nicht so widersinnig war, aber —"
„Wollen Sie nicht deutlicher werden, vielleicht, daß
ich Ihnen —"
„Deutlicher?" stöhnte Speckhuber, „ja, wo fang ich da
an? Das verfolgt einen ja wie's leibhaftige Nervenfieber.
Nirgends ist man sicher. Besorg ich mir da neulich ein
Paar neue Schuhe. Ich hatte ste nötig, dringend nötig.
Die alten hatten bereits Italiens Kriegserklärung und
den deutschen Vormarsch im Osten mitgemacht. Komme
ich zu meinem alten Schuhlieferanten. Aebrigens, die Preise
waren nicht von Pappe, aber die Sohlen natürlich. Nach
drei Wochen hätten sie leine Siegesfeier mehr ausgehalten.
Ich beschwere mich. Sagt mir der Mensch: „'s ist Krieg,
Lerr Speckhuber. Kommen Sie mal erst in den Schützen-
graben, Lerr Speckhuber!"
Mein Schneider liefert mir — aus Gnade und Barm-
herzigkeit, sag' ich Zhnen, denn er hat Kriegsarbeiten in
Lülle und Fülle — einen Anzug. Natürlich hat alles noch
Friedensmaß, die Losenbeine schlampen und die Weste
schlägt Falten, wie ein Tragöde, als ob man nicht zwanzig
Monate durchgehalten hätt'!
„Ich muß mich doch sehr wundern, Lerr Bartmuß, daß
Sie solchene Arbeit abliefern," sag' ich.
„Wenn S' erst im Schützengraben sind, Lerr Speck-
huber," sagte der vorlaute Mensch, „nachher wundern S'
stch überhaupt über nix mehr!"
Im Schlafzimmer meiner Wohnung regnet es durch,
daß die Masurischen Seen nix dagegen stnd. Sechsmal
schicke ich zum Lauswirt, er möchte stch die Bescherung
ansehn. Endlich kommt er, betrachtet die Seen, die Zimmer-
decke, wiegt den Kopf und brummt: „Iessas, Lerr Speck-
huber, allweil die Aufregung um die paar Tröpfeln? Sie,
wenn S' im Schützengraben wären, würden S' lachen über
die Tröpfeln, also wissen S', was so an richtiga Anter-
stand is —"
„Schon gul", sag ich, „Lerr Bleichinger, entweder wir
sind im Schützengraben, dann bezahl ich keine Miete, oder
wir sind —"
Aber das ist noch nicht alles. Gestern, zum Exempel,
kauf ich Aepfel. Ia, was meinen S', die Lälfte ist grund-
verdorben. Als ich sie der Frau zurückbring', fängt das
Weibsbild an zu greinen: „Im Schitz'ngrab'n warn S'
froh, wenn S' a solchene hätten, Lerr." !lnd sie wär eine
ehrliche Person, die zwei Söhne im Krieg hätt', und solche
Ansprüch zu machen, ob sich das in so ernster Zeit gehörte.
Die Leut' blieben stehn, sag ich Ihnen, und es hätt' nicht
viel gefehlt, und man hätte mich gesteinigt.
„Was sage ich, wo ich geh und stehe, wobin ich komme,
— ich brauch nur den Mund aufzutun, gleich heißts: „Sie,
wenn S' im Schützengrab'n wären —." Ich sage, ist das
nicht, um aus der Laut zu fahren! Ia, wenn ste wenigstens
Recht hätten, die Leut' mit ihrem Schützengrabenschreck.
Aber da lesen S' nur die Karten von mein Schwager, der
schon so ein Iahr im Osten steht, lesen S' nur!"
Speckhuber hielt mir eine Feldpostkarte unter die Nase.
Verwischte Bleististzeichen, kaum mehr zu entziffern, be-
sagten: „Lieber Schwager, tu Dich nicht gar so hart mit
deinen Liebespaketchen. Wir werden hier so extra nobel
verpflegt, alles, was des Kriegers Lerz begehrt, ist vor-
handen. And Fett- und Brotkarten, womit ihr Aermsten
euch abhaspeln müßt, gibts dahier nicht. Sogar a Bier
ham mer, proscht! Dein Franz.
Postskriptum! Loffentlich gehts bald wieder ran an
den Feind. Der Obige."
Na, was sagen Sie nun, hä? Ihr Aermsten, schreibt
er, ist das zu glauben? „Ihr Aermsten!" Nächstens wird
er mir noch Liebesgaben schicken, statt umgekehrt. And da
reden die Leut': „Wären Sie mal erst im Schützengraben,
Sie Anzufriedener, Sie Nörgler, Sie Grandlhuber, Sie—I
Ia, wär ich nur erst im Schützengraben!"