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Meggendorfer-Blätter, München

Einst und jetzt

O

Der gefragte Artikel Von P-rer Robinson

Die Stadt, in der sich die Geschichte zugetragen, hat
etwa fünfzehn Apotheken; es mögen auch achtzehn sein, fo
genau kommt es nicht darauf an. Die größte ist die
Leinrichs-Apotheke, die aus ihrem Lager nicht nur im
Kleinvertrieb, sondern auch im Großverkauf abgibt, näm-
lich an die anderen Apotheken, die zu diesem Zweck ein
entsprechendes Abkommen mit ihr gelroffen haben. Leut-
zutage können die Apotheker das eben nicht anders machen.
Sie können zwar — und sind sogar verpflichtet, das zu
tun — mit den gewöhnlichen Mitteln gegen die gewöhnlichen
menschlichen Leiden sich versehen, aber keinesfalls mit jedem
einzelnen der vielen ungewöhnlichen Mittel. Wenn zum
Beispiel Lerr Oberbreier in Anterhausen ein vortreffliches
Augenschmalz erfindet — „zur Srärkung und Erhaltung
des Sehvermögens" anderer Leute und für sich zum Erwerbe
eines Kapitalvermögens — ja, dann wird sich natürlich
nicht jeder Apotheker das gleich auf Lager legen. Nun
zeigt aber Lerr Oberbreier in allen möglichen Zeitungen
fein Augenschmalz an und sagt dabei: in allen Apotheken
zu haben. Vielleicht bekommt dann jemand Lust zu dem
Augenschmalz, sein Sehvermögen zu stärken und zu erhalten,
und geht in die nächste Apotheke. „Oberbreiers Augen-
schmalz, — o gewiß, mein Lerr, in einer Stunde ist es da,"
sagt der Apotheker und läßt schnell eine Flasche oder einen
Topf Augenschmalz holen oder was es sonst für eine „Origi-
nalpackung" geben mag, die neuerdings aber Eigenpackung

Mit dem Pfeil, dem Bogen

Vor der Amorstatue im Stadtpark sah
ich neulich einen Feldgrauen mit seiner Braut
am Arme stehen. Im Vorübergehen hörte ich,
wie er zu ihr sagte:

„Weeste, Minna, so hab' ick dem Kriechs-
jott ooch noch nich abjebildet jesehenl"

SI S

heißt. Aus der Leinrichs-Apotheke läßt er es
holen, wenn es in der Stadt vorfällt, in der
die Geschichte sich zugetragen hat.

Die Geschichte aber fing damit an, daß
in jener Stadt eine Musterung dcr früher
Ausgemusterten vorgenommen wurde, an der
auch ein gewisser Lerr Philipp Leyermann
passiv — auf Deutsch leidend — teilnebmen
mußte. Lerr Leyermann wurde nun gewogen
und zu leicht befunden, buchstäblich; sein Kör-
pergewicht betrug 110 Pfund, seine Länge aber
von den Sohlen bis zum Scheitel 185 Zenti-
meter. Dies Mißverhältnis schloß ihn von
militärischer Verwendung aus. Der Stabs-
arzt sah sogar, was selten vorkam, Lerrn oder
vielmehr den x. x. Leyermann etwas mvleidig
an. Dieser Blick beschäftigte Lerrn Leyer-
mann, als er, ohne wesentliche Trauer, von
der Musterung nach Lause ging. „Zch sollte
doch wieder einmal versuchen," sagte er sich,
„etwas dicker zu werden. Wenn ich nur end-
lich einmal ein Mittel fände, das bei mir an-
schlägt." Denn er hatte in den letzten Iahren
schon etwa ein Dutzend Mittel probiert, teure
und billige, aber mehr von der ersten Sorte,
und keines hatte ihm auch nur ein Pfund er-
freulicher Gewichtszunahme verschaffen können.
Am Abend dieses Tages aber traf er einen
Bekannten. Als er von Lerrn Leyermanns
Ausmusterung und neuem Vorhaben hörte, sagte dieser
Mann: „Lören Sie mal, da weiß ich aber ein ganz famoses
Mittell Meiers Malzextrakt mit Lacto-Phssphat und
Mangan müssen Sie nehmen. Das schlägt an, kann ich
Ihnen sagen, nach jeder Flasche davon sind Sie zwei Pfund
schwerer."

„Donnerwetter," meinte Lerr Leyerman, „da w«de
ich mir doch gleich zehn Flaschen besorgen."

„Das tun Sie nur," sagte der Bekannte. „Loffentlich
kriegen Sie's überhaupt noch. Mit Malzextrakt ist das
jetzt im Kriege solche Sache. Die Brauereien wissen schon
kaum, wo sie Malz herkriegen sollen. Na, und die gehn
immer noch vor."

Gleich am nächsten Morgen ging also Lerr Pbilipp
Leyermann in die Pfauen-Apotheke. „Was kostet Meiers
Malzextrakt mit Lacto-Phosphat und Mangan?"

Der Pfauen-Apotheker war noch nie nach diesem Meier-
schen Fabrikat gefragt worden. Er mußte erst in einer
Liste nachsehen. „Ia, früher kostete die Flasche zwei Mark.
Ietzt wird sie wohl etwas teurer geworden sein. Malzex-
trakt ist natürlich im Kriege sehr knapp geworden. Ia, wenn
die Brauereien nicht Malz brauchten I Wieviel Flaschen wün-
schen Sie denn? Zehn Srück;einen Augenblick, mein Lerr!"

Er ging ans Telephon und rief die Leinrichs-Apotheke
an. „Sind noch zehn Flaschen Meiers Malzextrakt mit
Lacto-Phosphat und Mangan auf Lager? Was kosten die
jetzt im Wiederverkauf?"
 
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