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88 Meggendorfer-Blätter, München

Ein kleiner Irrtum oder Liebe macht blind

—„ Zur Erinnerung an diese schöne Stunde, teuere Amalie, werden wir
uns hier in dieses schlanke Bäumchen einschneiden!"-—

— — „Zu Lilfe! — Räuber! — Mörder!"-

Wieder gut gemacht Vo„ C. A. sennig

Nicht nur Professoren sind zerstreut und richten in
diesem Zustand allerhand Unheil an, auck andern Menschen
kann das bisweilen passteren. Eines Tages hatte ich eine
Menge Kommisstonen, und da mit diesen nicht alles so glatt
von statten ging, wie ich das vorausgesctzt hatte. erwuchsen
mir Vervrießlichkeiten. Es kam mir verschiedenes durch-
einander, und schließlich sah mein sonst so schön geordnetes
Nervensystem aus wie eine aufgeriffene Noßhaarmatratze.
Um mich wieder etwas ins Gleichgewicht zu bringen, trat ich
in die nächstbeste Wirtschaft und ließ mir einen Schoppen
Wein kommen. Wein ist ein ausgezeichnetes Mittel gegen
nervöse Störungen, selbst wenn er gefälscht oder gcschmiert
ist. Aber man muß ihn in Ruhe genießen können, Schlückchen
für Schlückchen, denn in dieser wohlbedachten Form liegt
das Geheimnis des Erfolges.

Leider aber hatte ich diese Ruhe nicht. Kaum hatte
ich mich aus einem geeigneten Plätzchen niedergelaflen, so

führte mir Satan Pech einen Lerrn zu, der
stch mit selbstverständlicher Breitspurigkeit mir
gerade gegenübersetzte. Es war so ein dicker,
sprudelnder Allerweltsbruder in einem Loden-
anzug und Nucksack, der mich ohne weiteres
mit einem Strahl staunenswerter Beredsam-
keit übergoß, als wäre er ein Feuerwehrmann
und ich ein brennendes Objekt. Es sei sonst
nicht so seine Art, sagte er, so lebhast und
vertraulich zu sein; im Gegenteil,daheim müsse
man ihm oft das Wort aus dem Munde ziehen.
Aber auf Neisen tue er sich darin keinen Zwang
an, da habe es einen eigenen Reiz für ihn,
stch mitzuteilen und anzuschließen. Er sprang
von Tbema zu Thema und verirrte sich in ein
wahres Labyrinth von Seiten- und Abwegen,
und schließlich kam er auch auf den Wein. Ich
hörte ihm nur mit halbem Ohre zu, zahlte,
so schnell sich Gelegenheit bot, und brachte
meinen schmerzenden Kopf in Sicherheit, indem
ich nach Lause eilte und mich ins Bett legte,
was auch ein gutes Mittel gegen alle möglichen
Zustände ist.

Die tiefe Stille, die mich umfing, tat mir
wohl und fübrte bald eine völlige Entspannung
des ganzen Körpers herbei. Lächelnd rekapi-
tulierte ich jetzt die Vorgänge der letzten Stun-
den, die mich so ganz unnütz in Aufregung
versetzt hatten, und auch der dicke Sprudel-
geist erschien mir nunmehr in einem milderen,
fast humorvollen Lichte. Plötzlich aber schncllte
ich empor, und ein mi, utenlanger Schrecken
durcbzuckte mich. War es wirklich der Fall, daß
ich in der Last und Zersahrenheit meiner Ge
danken eine so grenzenlose Dummheit begangen
hatte? Ia, je klarer und schärfer ich mir alles ins
Gedächtnis zurückrief, was zwischen uns beiden
gesprochen worden war, desto sichrer wurde ich
darüber: ich hatte diese Dummheit gemacht!

Die Sache war kurz die. Als wir auf
den Wein zu sprechen kamen, klagte mir mein
Nachbar, daß er einen außergewöhnlich emp-
findlichen Magen besitze und namentlich in
bezug auf Flüssigkeiten sehr zurückhaltend sein
müsse. Besonders den Wein könne er nicht
vertragen, obwohl er ein leidenschaftlicher Ver-
ehrer desselben sei und manchmal fast vor Sebn-
sucht darnach vergehe. Sobald er sich aber hinreißen lasse,
auch nur ein Glas davon zu trinken, müsse er es bitter
büßen durch ein stundenlang anhaltendes höllisches Bren-
nen im Magen, das ihn zuiammenziehe wie etnen Wurm.

„Nun, dagegen läßt sich helfen," hatte ich gesagt. „Sie
nehmen einfach einen oder zwei Teelöffel gebrannteMagnesia,
und das unangenehme Brennen ist weg."

Magnesia, ja das hatte ich sagen wollen, gesagt aber
hatte ich übermangansaures Kali. Ich war dessen jetzt so
gewiß, daß mir gar kein Zweifel daran blieb.

Großer Gott, was für ein verhängnisvoller Irrtum!
Der gute Lerr war so aufrichtig erfreut und dankbar für
meinen guten Rat gewesen, daß er gewiß auf der Stelle
eine Flasche Wein getrunken hatte, nur nm ihn zu probieren.
And was konnte nun daraus erwachsen! Das erwähnte
Präparat ist ja gewiß kein Gift, aber auch nicht für den
Zweck bestimmt, für den ich es empwhlen hatte. Eine
Messerspitze davon in einem Glase Wasser genommen.
 
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