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Zeitschrift für Humor uud Kuust 105

Wieder in Ehren

Die Kostprobe Von Renatus

Es ist niemals gut, wenn man zu gescheit ist. Auch
im Kriege nicht. Das mußte ich leider erfahren.

„Renommist" wird der Leser denken. Aber ich sage
ja gar nicht, daß ich der Gescheite war. Im Gegenteil,
ich war der Dumme, oder einer der Dummen, ein Opfcr
fremder Gescheitheit.

Das war in Belgien in den ersten Tagen des Oktober
1914. In jener lebendigen Zeit, als der Krieg noch ein
bewegliches Schauspiel war, das jeden Tag
neuc Bilder brachte. Damals stand Antwerpen
noch, und mancher von uns empfand vielleicht
schon ein ungewisses Grauen vor dieser „stärk-
sten Festung der Welt," die das letzte Ziel
unseres Marsches war. Da wlirden wir wohl
lange zu liegen haben, dachten wir damals noch.

Vorläufig hatte es freilich gute Weile mit
dem Liegen. Wir marschierten und marschierten,
immer durch dieselbe Allee. In Belgien mar-
schiert män immer durch dieselbe Allee. Zwei
Reihen hoher schöner Bäume nwchsen aus
der unendlich weiten Ebene, wie man sie auf
den Bildern eines Lobbema gemalt sieht.

Ich weiß nicht, ob die Bäume nicht älter
geworden sind, seitdem jene Niederländer ihre
Bilder malten, jedenfalls ist heute noch alles
ganz genau so. Wenn man geradeaus schaut,
so werden in der Ferne die Bäume kleiner,
und ganz weit vorn in der Mitte ist ein helles
Loch, dort scheint das Ende zu sein. Wenn,
man nur erst dort wäre! Aber hat man endlich
sein Gepäck und seine Glieder bis da vorge-
tragen, so macht die Straße einen Knick, und
man befindet stch wieder in derselben Baumzeile.

Aber langsam mußten wir doch unserem
Ziele näherkommen. Wir merkten das daran,
daß die marschierenden Truppenkörper sich dich-
ter zusammenschoben. Aus Nebenstraßen kamen
Abteilungen und mündeten in unsere Straße
ein. Wir marschierten schon in drei, ja vier
Säulen nebeneinander zwischen den beiden
Baumreihen der Straße. Lerrgott. wo nur
die vielen Leerwürmer alle herkamen! Der
einzelne ist doch ein recht winziges Atom in
der deutschen Armee, geschweige in der großen
Menschenwelt.

Ietzt aber war die Straße zu eng geworden. ltnfer
Bataillon mußte Rast machen, um die Artillerie vorzulassen.
Das tatcn wir gern. Mochten die uns nur tüchtig vorarbeiten!

So lagen wir den einen Tag in dem kleinen fiandrischen
Dorf, Moorbecke hieß es. Da in jenen Tagen der denk-
würdigen Dislokation gegen Antwerpen der Train zurllck-
bleiben mußte, um das überraschende Vorwerfen der Be-
lagerungsarmee zu ermöglichen. so waren wir ein paar Tage
lang auf Requisitionen angwiesen. Das war gar nicht so

— „Was ist denn da los, brennt's denn?"

— „A wo, an Bürgermeister sei' weiße Lenn' hat a Ei
verlegt, und da sind wir zum Suchen alarmiert worden!"
 
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