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Zeitschrift für Hurnor und Kunst 107

Die Kostprobe

Mit unserer Naivität war's dahin. So unwahrscheinlich
die Worte des Sachsen klangen, so machten ste doch irgendwie
Eindruck. Der schöne Käse! Er sah Plötzlich ganz anders aus.

„Wer kann denn wissen, was die Belgier für Bazi san "
meinte der eine von unsern Leuten. In der Tat, wir kannten
die Belgier noch nicht.

„Auf Müncha haben's Trinkwasser a vergift" erinnerte
der Gefreite Schmiedel Franz, der schon am vierten Mobil-
machungstage von Mllnchen fortgekommen war und seinc
Vaterstadt noch im Zeichen der Spionentage in Erinnerung
hatte.

Es war jetzt keine Zeit, ihm zu widersprechen. Was
sollte denn aus den schönen eßbaren Sachen werden? Die
konnten doch nicht einfach liegen bleiben.

Ich weiß nicht, wer den rettenden Gedanken hatte: „Ein
Einheimischer muß probieren."

Zwei Mann wurden abgeordnet, einen Dorfbewohner
herbeizuholen. Im Weggehen wurde ich ihnen noch bei-
gegeben, weil ich ein paar Brocken französisch sprach.

So gingen wir drei und suchten einen Belgier. Es
war gar nicht so leicht einen zu finden. Die belgischen
Männer waren alle wie weggeblasen. Wir mußten schon
mehrere Straßenecken weit gehen.

Endlich an einem Laus, da lehnte einer, ein junger
Bursch, und steckte die Lände in die Losentaschen. Die
Belgier stecken immer die Lände in die Losentaschen.

Ich brauchte mit meinem Französisch gar nicht in Aktion
zu treten. Meine Begleiter hatten die Gebärdensprache schon
längst so gut beherrschen gelernt, daß der Belgier sofort
wußte, daß er mitgehen solle. And er solgte mit jenem
resignierten Gesicht: „es ist ja doch alles gleich."

Anterwegs sragte ich ihn, ob er Lunger habe. Aber
das war kein Thema, um ihn aufzuheitern.

Dann kamen wir mit ihm in den Keller. Er wurde
sosort vor seine Aufgabe gestellt. „LlangeL!" tönte es von
allen Seiten, denn dieses Wort kannte jeder. „Luve-I"

Das ließ sich der gute Mann nicht zweimal sagen.
Ich sehe noch, wie seine Augen in diesem Augenblick freund-
lich aufglänzten, als wolle er alle Flüche abbitten, die er in
jenen Tagen gegen die Deutschen zum Limmel gesandt haben
mochte. And mit wonniger Gier stürzte er sich ins Essen.

Wir schickten uns an, mitzutun. Aber wieder warnte
die Stimme des Kameraden vom sächsischen Regiment.

„Abwarten, abwarten! Der Mann gann krade so gut
ein ahnungsloses Opfer sein wie mir."

Es war immerhin möglich.

Wie lange man denn warten solle?

„Nu je nachdem" orakelte der Sachse. „Die Wirkung
gann nach eener, sie gann aber och ersch nach zwee Schtunden
eintreten."

Inzwischen versuchte man von dem Belgier etwas über
seinen Leibeszustand zu erfahren. „Lon? e-t-,1 bon oa?"
fragte man ihn. Aber der gab nur noch wohlige Grunz-
laute von sich.

Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen, und die wohl-
bekannte Stimme unseres Vize packte uns an:„ Ia, seid ihr
denn alle von Gott verlassen. Die Kompagnie steht seid
einer Viertelstunde marschfertig. Es geht gleich weiter!"

Ietzt jeder noch das Messer heraus und ein Stück Käse
heruntergeschnitten. Gern hätte auch noch jeder einen Wein
in seine Feldflasche getan, aber dazu war keine Zeit mehr. —

Nun war wieder dieselbe Allee da. Der Eichinger-A'aver
marschierte neben mir. Sonst war er nicht mein Nebenmann,
aber wir hatten uns alle an den Schluß des Zuges gestellt, die

In der Zeit des Ersahes

wir aus dem Keller gekommen waren. Schweigend verzehrten
wir jetzt unsern Käse.

Da sah ich, wie dcr Taver die abgenagten Käserinden
sorgsam in den Brotbeutel verpackte. Was er denn damit
vorhabe?

„Den Sachsen wann i' nochmal derwisch, dem stopf i'
die Rinden von sei'm vergifteten Käs' in den Rachen." —

In diesem Augenblick ging ein tiefes Brummen durch die
Luft — oder durch die Erde? — wie wir es in dem Krieg
noch nicht gehört hatten. Wir wußten noch nicht, daß es
die neuen 42 om Mörser waren, die wir noch nicht kannten,
aber wir wußten, daß die Sach' losgegangen sei. And das
genügte, daß wir auf ganz andere Gedanken kamen. (m.)
 
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