168 O
Meggendorfer-Blätter, München
Nobel Parvenüsgattin: „Der junge
Lerr istsoeben aufgestanden,Iohann!
Gehen Sie ins Schlafzimmer und servieren Sie ihm den Lebertran!"
Erne ^olge deö Ärno Von Peter Robinson
Neulich hatte ich mich.an einem fchönen Nachmittage
in einen großen Garten gesetzt, wo es Kaffee zu trinken
und Musik zu hören gab, — den Kaffee zu vierzig Pfennig
die Tasse, die Musik aber angeblich umsonst. Wenn man
freilich den Kaffee getrunken hatte, wußte man, daß die
Musik nicht umsonst gegeben, sondern zweifellos in den
Kaffee hinein kalkuliert worden war, der aber trotzdem
teuer erschien. Aebrigens konnte man natürlich auch Kuchen
zu essen bekommen, der zum Zweck der Verlockung auf den
Tischen stand und jeweils von elwa zehn Leuten mittels
des Gesichts- und Geruchs-, manchmal aber auch des Tast-
sinns untersucht wurde, ehe der elfte genug vorurteilslos
oder hungrig oder beides zusammen war, denn Lunger
macht vorurteilslos, davon Gebrauch zu machen.
Es waren viele Menschen in jenem Garten, und außer
der Musik, die wcnigstens von Zeit zu Zeit aufhörte, gab
es noch mancherlei andern Lärm, der nie aussetzte und
höchstens durch die Mustk gedämpft wurde, oder, was man
ebenso gut behaupten konnte, seinerseits die Mustk beein-
trächtigte. Die Menschen, die diesen Lärm machten, achteten
nicht auf das Konzert, aber sie wären stcher sehr empört
gewesen, wenn die Musiker, ihrer vergeblichen Anstren-
gungen müde, einfach ihre Werkzeuge (nämlich Instrumente,
was aber ein Fremdwort ist) eingepackt hätten und davon ge-
gangen wären. So machen es die Menschen eben mit
vielen Dingen. D:e Polizei zum Beispiel schätzen sie auch
nicht; wenn aber die Polizei einmal nicht da ist, dann
schimpfen sie.
Ich saß allein an einem kleinen Tisch. Nach einiger
Zeit aber setzte sich ein Mann zu mir, der mir bereits auf-
fiel, als er sich, von neugierigen Augen verfolgt, langsam
durch den Garten auf der Suche nach einem freien Platz
bewegte. Er trug ein sogenanntes Norsolk-Iacket, das
diesen Namen von dem Lerzog von Norfolk hat, der es
erfunden haben soll. Es ist ein vortreffliches und sehr an-
genehmes Kleidungsstück, und wenn wirklich der Lerzog,
und nicht etwa sein Leibschneider, der Erfinder gcwesen ist,
so ist er sehr darum zu loben, und es wäre zu wünschen,
daß viele Lerzöge sich so nützlich beschäftigen möchten.
Bekanntlich hat eine Norfolk-Iacke einen Gürtel. Das
war auch bei der jenes Mannes der Fall; merk-
würdigerweise aber waren hier noch zwei Laschen
links und rechts auf den Gürtel aufgesetzt, und durch
diese hatte der Mann seine Lände gesteckt, sodaß
seine Arme vom Körper abstanden wie die Lenkel
eines Topfes. Trotz dieser komischen Selberfesselung
wandelte er mit einer gefälligen leichten Würde da-
hin, unbekümmert um das Lächeln, das er verur-
sachte, — überflllssigerweise, denn der Mann mochte
ja einen Grund haben, seine Lände so zu behandeln,
und dieser Grund war vielleicht nicht belächelnswert.
Er zog auch die Lände nicht aus den Fesseln,
als er sich mit einem gefälligen Nicken zu mir setzte.
Ich konnte jetzt bemerken, daß die dem Gürtel auf-
gesetzten Laschen gar nicht aus dem gleichen Stoff
bestanden; sie hatten sogar eine recht abweichende
Farbe und Musterung, auch waren sie erstchtlich von
solcher Arbeit ungewohnten Länden verfertiqt und
angebracht worden. Ich vermutete, daß der Träger
der Iacke selbst das getan hatte.
Er bestellte Kaffee. Etwas Gebäck wollte er dazu
haben. Doch nicht von dem Kuchen; nein, lieber
zwei Lörnchen. „Aber nicht von der größeren Sorte,"
sagte er zu der Kellnerin, „nicht von den flach gebo-
genen. Ich meine die kleinen, die schärfer gebogenen. Wissen
Sie, jene, die beinahe einen Kreis bilden."
In diesen Worten war nichts Auffälliges. Was die
Rede des Mannes dennoch sonderbar machte, war, daß
dabei sein rechter Arm mehrere Male zuckte, so, als hätte
er bewegt werden sollen, woran ihn natürlich die Fesselung
gehindert hätte. Denn zunächst hätte die Land aus der
Lasche gezogen werden müssen, diese aber war recht eng
bemessen. Es schien dem Manne sehr zu gefallen, daß
fein Arm derart in der Bewegungsfceiheit gehindert war;
nach jedem Zucken, das etwas Anwillkürliches an sich hatte,
fchaute er voll Zufriedenheit auf feine Bande.
Seine Tasse Kaffee und die Lörnchen wurden ihm ge-
bracht. Er zog die Lände aus den Feffeln, was wirklich
nur mit einiger Schwierigkeit ging, und trank und speiste
dann, — in durchaus angenehmer Art zwar, aber doch
— „Nu was ist? Bewundert die Ausstcht, bewun-
dert die Ausstcht. Sonstrentiert sich der Schweiß
nicht, den wir aufgewendet haben heraufzu."
Meggendorfer-Blätter, München
Nobel Parvenüsgattin: „Der junge
Lerr istsoeben aufgestanden,Iohann!
Gehen Sie ins Schlafzimmer und servieren Sie ihm den Lebertran!"
Erne ^olge deö Ärno Von Peter Robinson
Neulich hatte ich mich.an einem fchönen Nachmittage
in einen großen Garten gesetzt, wo es Kaffee zu trinken
und Musik zu hören gab, — den Kaffee zu vierzig Pfennig
die Tasse, die Musik aber angeblich umsonst. Wenn man
freilich den Kaffee getrunken hatte, wußte man, daß die
Musik nicht umsonst gegeben, sondern zweifellos in den
Kaffee hinein kalkuliert worden war, der aber trotzdem
teuer erschien. Aebrigens konnte man natürlich auch Kuchen
zu essen bekommen, der zum Zweck der Verlockung auf den
Tischen stand und jeweils von elwa zehn Leuten mittels
des Gesichts- und Geruchs-, manchmal aber auch des Tast-
sinns untersucht wurde, ehe der elfte genug vorurteilslos
oder hungrig oder beides zusammen war, denn Lunger
macht vorurteilslos, davon Gebrauch zu machen.
Es waren viele Menschen in jenem Garten, und außer
der Musik, die wcnigstens von Zeit zu Zeit aufhörte, gab
es noch mancherlei andern Lärm, der nie aussetzte und
höchstens durch die Mustk gedämpft wurde, oder, was man
ebenso gut behaupten konnte, seinerseits die Mustk beein-
trächtigte. Die Menschen, die diesen Lärm machten, achteten
nicht auf das Konzert, aber sie wären stcher sehr empört
gewesen, wenn die Musiker, ihrer vergeblichen Anstren-
gungen müde, einfach ihre Werkzeuge (nämlich Instrumente,
was aber ein Fremdwort ist) eingepackt hätten und davon ge-
gangen wären. So machen es die Menschen eben mit
vielen Dingen. D:e Polizei zum Beispiel schätzen sie auch
nicht; wenn aber die Polizei einmal nicht da ist, dann
schimpfen sie.
Ich saß allein an einem kleinen Tisch. Nach einiger
Zeit aber setzte sich ein Mann zu mir, der mir bereits auf-
fiel, als er sich, von neugierigen Augen verfolgt, langsam
durch den Garten auf der Suche nach einem freien Platz
bewegte. Er trug ein sogenanntes Norsolk-Iacket, das
diesen Namen von dem Lerzog von Norfolk hat, der es
erfunden haben soll. Es ist ein vortreffliches und sehr an-
genehmes Kleidungsstück, und wenn wirklich der Lerzog,
und nicht etwa sein Leibschneider, der Erfinder gcwesen ist,
so ist er sehr darum zu loben, und es wäre zu wünschen,
daß viele Lerzöge sich so nützlich beschäftigen möchten.
Bekanntlich hat eine Norfolk-Iacke einen Gürtel. Das
war auch bei der jenes Mannes der Fall; merk-
würdigerweise aber waren hier noch zwei Laschen
links und rechts auf den Gürtel aufgesetzt, und durch
diese hatte der Mann seine Lände gesteckt, sodaß
seine Arme vom Körper abstanden wie die Lenkel
eines Topfes. Trotz dieser komischen Selberfesselung
wandelte er mit einer gefälligen leichten Würde da-
hin, unbekümmert um das Lächeln, das er verur-
sachte, — überflllssigerweise, denn der Mann mochte
ja einen Grund haben, seine Lände so zu behandeln,
und dieser Grund war vielleicht nicht belächelnswert.
Er zog auch die Lände nicht aus den Fesseln,
als er sich mit einem gefälligen Nicken zu mir setzte.
Ich konnte jetzt bemerken, daß die dem Gürtel auf-
gesetzten Laschen gar nicht aus dem gleichen Stoff
bestanden; sie hatten sogar eine recht abweichende
Farbe und Musterung, auch waren sie erstchtlich von
solcher Arbeit ungewohnten Länden verfertiqt und
angebracht worden. Ich vermutete, daß der Träger
der Iacke selbst das getan hatte.
Er bestellte Kaffee. Etwas Gebäck wollte er dazu
haben. Doch nicht von dem Kuchen; nein, lieber
zwei Lörnchen. „Aber nicht von der größeren Sorte,"
sagte er zu der Kellnerin, „nicht von den flach gebo-
genen. Ich meine die kleinen, die schärfer gebogenen. Wissen
Sie, jene, die beinahe einen Kreis bilden."
In diesen Worten war nichts Auffälliges. Was die
Rede des Mannes dennoch sonderbar machte, war, daß
dabei sein rechter Arm mehrere Male zuckte, so, als hätte
er bewegt werden sollen, woran ihn natürlich die Fesselung
gehindert hätte. Denn zunächst hätte die Land aus der
Lasche gezogen werden müssen, diese aber war recht eng
bemessen. Es schien dem Manne sehr zu gefallen, daß
fein Arm derart in der Bewegungsfceiheit gehindert war;
nach jedem Zucken, das etwas Anwillkürliches an sich hatte,
fchaute er voll Zufriedenheit auf feine Bande.
Seine Tasse Kaffee und die Lörnchen wurden ihm ge-
bracht. Er zog die Lände aus den Feffeln, was wirklich
nur mit einiger Schwierigkeit ging, und trank und speiste
dann, — in durchaus angenehmer Art zwar, aber doch
— „Nu was ist? Bewundert die Ausstcht, bewun-
dert die Ausstcht. Sonstrentiert sich der Schweiß
nicht, den wir aufgewendet haben heraufzu."