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I8t <><><><>2'2-2-0-2-^ oo Meggendorfer-Blätter, München


Der Wecker

— „Ia, Lcrr Wirt, was soll das heißen? Ich habe doch gar auf meinem
Zimmer eine Wiege mit einem kleinen Kind!"

— „Na, Sie wollten sicher zeitig geweckt werden; auf mein' Lausknecht ist
nicht viel Verlaß, und dös Kind fängt immer Punkt fünf Ahr zu brüllen an!"

Der Puppentvagen Von Leinz Welten

Als Irene, die Tochter meines Vetters, acht Iahre
alt werden sollte, beschloß ich, ihr einen Puppenwagen zu
kaufen. Zu kaufen? Nein, ganz so weit ging mein Ent-
schluß nicht. Auch die Gebefreudigkeit eines Onkels, dessen
Finanzkrast von Neffen und Nichten zumeist überschätzt
wird, hat ihre Grenzen, und wie soll ein Mann noch Geld
sür Zigarren, Wein und dergleichen mehr aufbringen, wenn
er seine Kapitalien in Puppenwagen anlegen muß? And
doch mußte ich jetzt einen Puppenwagen haben. Denn
Irenens Eltern find mir liebe Freunde, bet denen ich all-
sonntäglich zu Tisch speise teils der Freundschaft, teils des
Essens, teils auch der Billigkeit wegen. Irenens Eltern,
mit denen mich eine entfernte Verwandtschafk verbindet,
lieben und schätzen mich außerordentlich; sie sind stets sehr
um mein Wohl besorgt, und an jedem Sonntag abend ver-
sichert mir beim Abschiednehmen Frau Lharlotte stets aufs
neue, daß ich mich, sofern ich für den nächsten Sonntag
einmal etwas anderes vorhaben sollte, durch sie durchaus
nicht abhalten lassen dürfe, und daß sie dann eben einmal
versuchen würden, einen Sonntag ohne mich fertig zu werden.

Diese zarke Rückflchtnahme auf
meine anderen Verwandten berührt
mich stets ungemein sympathisch; aber
ich weiß sie zu würdigen und mache
keinen Gebrauch von ihr. Dankbar
drücke ich stets meiner schönen Wirtin
beim Abschied die Land und sage ihr
immer das nämliche. „Nie, niemals!
Wie können Sie so etwas von mir
denken? Ich komme nakürlich am näch-
sten Sonntag wieder."

Irenes Mama ist eine entzückende
junge Frau, der gegenüber ich mich
gern für die mir stets in so reichem
Maße erwiesene Gastfreundschast ein-
mal erkenntlich zeigen würde. Aber
abgeschnittene Blumen schenke ich prin-
zipiell niemand, weil ich Blumen am
Strauch viel schöner finde; mit einem
ganzen Topf mich zu schleppen, kan»
mir niemand zumuten, und Konfekt,
Schokolade oder Torte mitzubringen,
halte ich geradezu für niederträchtig.
Denn Süßigkeiten verderben die Figur,
und Irenes Mama ist so schlank, so
wunderbar schlank! Sie würde mir ein
derartiges Attentat auf ihre Taille nie-
mals verzeihen. Blumen oder Süßig-
keiten aber sind die einzigen Gaben,
die einem Iunggesellen zur Verfügung
stehen, der sich für erwiesene Gast-
sreundschaft erkenntlich zeigen will. Und
gerade diese beiden Gaben zu bringen,
verbieten mir meine Prinzipien. So
muß es denn beim guten Willen blei-
ben, und ich muß nach wie vor stets
mit leeren Länden kommen, was mir
immer sehr schwer fällt. Denn auch
das Geben von Trinkgeld ist wider
meine Prinzipien. Mein VetterMartin
ist ein sehr feinfühlender Mensch und
würde derlei sicher sehr ungern sehen.
Zwar habe ich noch niemals mit ihm
darüber gesprochen. Aber ich habe das bestimmte Gefühl,
daß es ihm peinlich wäre, wenn ich seinem Dienstmädchen
ein Trinkgeld gäbe. Sähe cs nicht so aus, als ob er nicht
mehr in der Lage wäre, sein Personal selbst zu besolden,
als ob ich ihm dabei helfen müßte?

Als die kleine Irene sechs Iahre alt wurde, sagte mir
Frau Charlotte zum ersten Male, daß das Kind sich zum
Geburtstag von mir einen Puppenwagen wünsche. Ich hatte
ihr bislang stets aus einem Automaten eine Schokoladen-
tafel bei solcher Gelegenheit mitgebracht, da ich der Meinung
bin, daß man Kinder nie verwöhnen, ste vielmehr recht-
zeitig zu Bescheidenheit und Dankbarkeit erziehen müffe.
Änd diesmal sollte es ein Puppenwagen sein, und ich sollte
ihn schenken? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Aber
Frau Charlotte sagte es nochmals, doch sie lachte dabei,
so daß ich gletch merkte, daß sie sich nur einen Scherz mit
mir machen wollte. Allein ick finde derartige Scherze taktlos,
zumal beim Mittagessen. Ich ärgerte mich und tat das
einzig Nichtige, was man in einer solchen Lage tun kann.
Ich überhörte den Scherz und bat noch einmal um die
Bratenschüssel. Doch es gibt Menschen, deren Taktgefühl,
so fein es sonst auch immer sein mag, mitunter völlig
 
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