Nr. 1372
Zeitschrift für Humor und Kunst
29
Der Sommerpudel
Dieser Schuttag hatte zur Folge, daß Anselm setne
Frisur plötzlich als Problem empfand. Nicht als ästethisch-
künstlerisches, sondern als Lebensfrage. Denn er war nun
einmal als Sommerpudel gekennzeichnet und ward diesen
Titel vorerst nicht mehr los.
Er ging zur Mutti und klagte sein Leid. And er gehe
überhaupt nicht mehr in die Schule, wenn er nicht der
Lauptmann werde. Da
versprach die gute Mutti,
sie wolle mal mit der
Lehrerin reden. Dort aber
erfuhr sie, daß der Anselm
für einen Lauptmann zu
unartig sei.
Da hatte er es nun,
der arme Anselm. Er
klagte dem Lausmeister-
jungen sein Leid. Jhm
und dem Peter und dem
Allu, seinen beiden Vet-
tern. And da mußte er
es denn erleben, daß auch
der geliebte Äausgenosse
lachte. „Sommerpudel
nennen se dir?" fragte
er. „Recht hamm se.
Du siehst ja aus, wie 'n
Mädchen mit deine lange
Laare." !lnd der Peter
meinte: „Unsere Mutti
hat auch gesagt, daß man
mit solchen langen Laaren
nich in die Schule gehn
soll. Nich, Allu?" Der
nickte bloß.
Da sagte der Anselm
auch zur Mutti, wie die
Kinder ihn nannten, und
er bat, sie möge ihm die
Laare abschneiden. Doch
dafür war die nicht zu
haben. Denn Anselms
Laare waren ihr stolzester
Besitz. Sie sagte nur:
„Die Kinder, die dich
,Sommerpudell nennen,
sind ungezogen. Ich werde
mich bei der Lehrerin be-
schweren."
Aber die Lehrerin
konnte da nichts machen.
Sie fand die Laare nicht
unangebracht, weil sie da-
ran ziebsen konnte. Doch
das war auch alles.
And so ging die Geschichte weiter . .. bis eines Tages
der Peter und der Allu wieder beim Anselm waren. Da-
mals, als gerade das Fräulein Leitzig im Nähzimmer saß
und für Anselms Sommeranzug sorgte.
Eine große Schere hatte das Fräulein Leitzig, mächtig
und dabei lustig, wie die in der Bilderfibel. And scharf!
Die schnitt so sauber und sicher, daß es eine Lust war.
Aber Fräulein Leitzig hütete dieses Kleinod, und zum
Soldaten-Bilderbogen ausschneiden gab fie es nicht her.
Wenn man sie auch nur darum bat, so war sie schon böse.
Nicht böse aber war ste, wenn man sie bat . . . Kaffee zu
trinken. Und das wußte der Anselm, und der Peter mit
seinem Bruder Allu wußten es auch. Llnd so warteten sie
denn, bis die dicke Pauline hereinkam und meldete: „Der
Kaffee wär' so weitl"
Fräulein Leitzig legte umständlich die Brille auf die
Nähmaschine, zupfte an
den Stirnlöckchen, da sie
schön sein wollte, und
begab sich mit kleinen,
hüpfenden Schritten in
die Küche.
Anselm aber ergriff
die Schere, und Schnipp-
Schnapp fiel die schönste
Strähne seines Sommer-
pudelkopfes zu Boden.
„Ich auch! Ich auch!"
schrie der Vetter Ullu.
And er durfte. Da wagte
es auch der Peter, obwohl
der sonst sehr artig war.
And sie schoren den An-
selm, schnitten ihm Zacken
und Kreise, rasierten auch
die wieder weg und ar-
beiteten, bis der ganze
Van Dyk neben den Fleck-
lumpen des Fräulein
Leitzig am Boden lag.
!lnd als der Anselm keine
Laare mehr hatte, kam
der Peter dran. And er
erhob ein mächtiges Sie-
gesgebrüll, als auch er im
Schmucke einer Glatze er-
strahlte. And da der Allu
fand, daß er mit seinen
fünf Zahren auch schon
erwachsen sei, mußten auch
seine Laare sallen.
And gerade, als die
letzte Locke fiel, erschien
die Mutti auf der Bild-
fläche und war sprachlos.
And die Muttt vom Peter
und vom Allu kam und
war noch sprachloser.
Doch der Peter schrie
jetzt: „Mutti und Tante,
jetzt sind wir keine Som-
merpudel mehr!" And der
Allu sagte: „Wir sehen
jetzt aus wie der Vati!"
Nur der Anselm hielt den Mund, denn seine Mutti
sah zu traurig aus. Llnd während die Tante mit der
lockeren Land auf den Backen ihrer Sprößlinge Lachen in
Weinen zauberte, hatte die Mutti nur zu einem Seufzer
die Kraft, und sie seufzte denn:
„!lnd so was tust du mir an, wo der Vati im Kriege ist!"
Der Anselm aber sagte: „Bei uns ist auch Krieg. !lnd
nun werde ich doch der Lauptmann."
uns sieaen!
zeirtmet
dle
Nriegsanleike
Zeitschrift für Humor und Kunst
29
Der Sommerpudel
Dieser Schuttag hatte zur Folge, daß Anselm setne
Frisur plötzlich als Problem empfand. Nicht als ästethisch-
künstlerisches, sondern als Lebensfrage. Denn er war nun
einmal als Sommerpudel gekennzeichnet und ward diesen
Titel vorerst nicht mehr los.
Er ging zur Mutti und klagte sein Leid. And er gehe
überhaupt nicht mehr in die Schule, wenn er nicht der
Lauptmann werde. Da
versprach die gute Mutti,
sie wolle mal mit der
Lehrerin reden. Dort aber
erfuhr sie, daß der Anselm
für einen Lauptmann zu
unartig sei.
Da hatte er es nun,
der arme Anselm. Er
klagte dem Lausmeister-
jungen sein Leid. Jhm
und dem Peter und dem
Allu, seinen beiden Vet-
tern. And da mußte er
es denn erleben, daß auch
der geliebte Äausgenosse
lachte. „Sommerpudel
nennen se dir?" fragte
er. „Recht hamm se.
Du siehst ja aus, wie 'n
Mädchen mit deine lange
Laare." !lnd der Peter
meinte: „Unsere Mutti
hat auch gesagt, daß man
mit solchen langen Laaren
nich in die Schule gehn
soll. Nich, Allu?" Der
nickte bloß.
Da sagte der Anselm
auch zur Mutti, wie die
Kinder ihn nannten, und
er bat, sie möge ihm die
Laare abschneiden. Doch
dafür war die nicht zu
haben. Denn Anselms
Laare waren ihr stolzester
Besitz. Sie sagte nur:
„Die Kinder, die dich
,Sommerpudell nennen,
sind ungezogen. Ich werde
mich bei der Lehrerin be-
schweren."
Aber die Lehrerin
konnte da nichts machen.
Sie fand die Laare nicht
unangebracht, weil sie da-
ran ziebsen konnte. Doch
das war auch alles.
And so ging die Geschichte weiter . .. bis eines Tages
der Peter und der Allu wieder beim Anselm waren. Da-
mals, als gerade das Fräulein Leitzig im Nähzimmer saß
und für Anselms Sommeranzug sorgte.
Eine große Schere hatte das Fräulein Leitzig, mächtig
und dabei lustig, wie die in der Bilderfibel. And scharf!
Die schnitt so sauber und sicher, daß es eine Lust war.
Aber Fräulein Leitzig hütete dieses Kleinod, und zum
Soldaten-Bilderbogen ausschneiden gab fie es nicht her.
Wenn man sie auch nur darum bat, so war sie schon böse.
Nicht böse aber war ste, wenn man sie bat . . . Kaffee zu
trinken. Und das wußte der Anselm, und der Peter mit
seinem Bruder Allu wußten es auch. Llnd so warteten sie
denn, bis die dicke Pauline hereinkam und meldete: „Der
Kaffee wär' so weitl"
Fräulein Leitzig legte umständlich die Brille auf die
Nähmaschine, zupfte an
den Stirnlöckchen, da sie
schön sein wollte, und
begab sich mit kleinen,
hüpfenden Schritten in
die Küche.
Anselm aber ergriff
die Schere, und Schnipp-
Schnapp fiel die schönste
Strähne seines Sommer-
pudelkopfes zu Boden.
„Ich auch! Ich auch!"
schrie der Vetter Ullu.
And er durfte. Da wagte
es auch der Peter, obwohl
der sonst sehr artig war.
And sie schoren den An-
selm, schnitten ihm Zacken
und Kreise, rasierten auch
die wieder weg und ar-
beiteten, bis der ganze
Van Dyk neben den Fleck-
lumpen des Fräulein
Leitzig am Boden lag.
!lnd als der Anselm keine
Laare mehr hatte, kam
der Peter dran. And er
erhob ein mächtiges Sie-
gesgebrüll, als auch er im
Schmucke einer Glatze er-
strahlte. And da der Allu
fand, daß er mit seinen
fünf Zahren auch schon
erwachsen sei, mußten auch
seine Laare sallen.
And gerade, als die
letzte Locke fiel, erschien
die Mutti auf der Bild-
fläche und war sprachlos.
And die Muttt vom Peter
und vom Allu kam und
war noch sprachloser.
Doch der Peter schrie
jetzt: „Mutti und Tante,
jetzt sind wir keine Som-
merpudel mehr!" And der
Allu sagte: „Wir sehen
jetzt aus wie der Vati!"
Nur der Anselm hielt den Mund, denn seine Mutti
sah zu traurig aus. Llnd während die Tante mit der
lockeren Land auf den Backen ihrer Sprößlinge Lachen in
Weinen zauberte, hatte die Mutti nur zu einem Seufzer
die Kraft, und sie seufzte denn:
„!lnd so was tust du mir an, wo der Vati im Kriege ist!"
Der Anselm aber sagte: „Bei uns ist auch Krieg. !lnd
nun werde ich doch der Lauptmann."
uns sieaen!
zeirtmet
dle
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