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Zeitschrift für Humor und Kunst 107

Die Liebe des Neffen

und die Geldtasche des Onkels
durch ein ärgerliches Brummen abgelöst
wurde:

„Iatzt hab' i wirkli' nix zum Rauch'n
dabei!"

Diese an und für sich ganz belang-
losen Worte, die kaum drei Schritte
weit zu hören waren, wirkten auf Otto
Grabs Liebe wie der galvanische Strom
auf ein Paar Froschschenkel, die vor
noch nicht allzulanger Zeit ihrem natür-
lichen Besitzer entrissen worden waren.

Die Leidenschaft, welche durch die Loff-
nung auf ein reichliches Abendessen ein-
gelullt war wie ein Wickelkind durch ein
Wiegenlied, flammte plötzlich wieder
mächtig empor.

„Du hast deine Zigarren vergessen?

Also willst du dir welche kaufen! Keine
Widerrede, Onkelchen! Jch kenne ein
Geschäft, ein durchaus reelles und so-
lides Geschäft. Zn diesem Geschäft —
ah — o — bekommst du jetzt noch für
fünfzehn Pfennige eine Zigarre, für die
früher, vor dem Kriege — Onkel, paß
auf — vor dem Kriege, mit Kußhand zwanzig Pfennige
bezahlt wurden!"

Liezu drückte er einen Kuß auf den Rücken seiner
rechten Land und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen
Norden, wo jener Zigarrenladen lag, in dem Amalie Lattl
tätig war.

„Ich muß sie dir aber selber besorgen. Nur ich bekomme


Verschwendete Mühe



— „So, Kinder, gleich bin ich fertig, dann braucht
ihr nicht mehr still zu stehn."

— „Schad' um das Stillstehn, Tante, da hätten wir
doch lieber um Butter oder Käse anstehn können."

Parallele — „Ei herrjeses nee, das Stollen-bauen

is aber änne ferchterliche Arbeit."
„Gelt? Das Stollen-essen ist angenehmer."

sie nämlich so billig, weil die Ladnerin — du verstehst schon,
Onkel — die Ladnerin — ah — o — sterblich in mich verliebt ist."

And dabei machte er ein Gesicht wie eine gotische
Märtyrerstatue.

„Recht angenehm scheint dir aber dös net zu sein!"
meinte Sebastian Kaspfluderer mit einem Blick auf das
Antlitz seines Neffen. „Na, meinetwegen! Wer woaß,
wie das Frauenzimmer ausschaut. D' Lauptsach' is, daß
i billige Zigarren kriag!" Mit diesen Worten überließ er
sich der Führung seines Neffen. Ie näher dieser dem Laden
der Amalie Lattl kam, desto rosiger und aufgeräumter wurde
seine Stimmung. Er pfiff und trillerte und tänzelte, daß
alle Leute, die ihn bemerkten, fröhliche und heitere Gesichter
machen mußten, ob sie wollten oder nicht. And auch Onkel
Kaöpfluderer konnte sich diesem Einfluß nicht entziehen. Bei
ihm äußerte er sich dadurch, daß er verschwenderisch wurde.

„Woaßt was, wenn dö Zigarren wirkli' guat sind, dann
nimmst glei' a Lundertakistl. Anser Kramer hat so bloß
mehr lauter Apostlzigarr'n."

(Apostelzigarren stnd bekanntlich solche, von denen eine
einzige für zwölf Männer genügt.)

Plötzlich aber atmete Otto Grab einige Male tief auf,
preßte die Brust heraus wie ein Tagschreiber, der sich einen
infolge jahrelanger Entbehrungen zusammengesparten Geh°
rockanzug anmeffen läßt, und stürzte mit jäher Linksschwen-
kung in einen Laden. Es war natürlich jener Laden, in
dem Amalie Lattl hauste.

Otto Grab war schon fast ganz verschwunden, nur
noch ein Teil seines linken Veines schaute zur Türöffnung
heraus, als er plötzlich wieder umkehrte und auf seinen
Onkel zusprang.

„Onkel, gib' mir Geld!" schrie er in hochgradiger
Erregung. Nun gehört diese zwar zu den ansteckenden
Krankheiten; Sebastian Kaspfluderer aber war völlig gefeit
dagegen. Er lachte so behäbig wie immer und meinte sehr
gelaffen:

„Zerst muaß i mi aber schneuzen!"

Was er auch sehr geräuschvoll tat. And erst als er
sein Sacktuch in die Äosentasche verstaut hatte, was bei
 
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