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Meggendorfer-Blätter, München

Kindlicher Scharfblick

Naiv

G ast: „Der Sänger, dessen Slimme Sie hier im Grammo-
phon für zehn Pfennige hören können, soll Millionär seinl"

— „Was Sie sagen! Ia ja, so een Groschen kommt zum
andern I"

Eine hungrige Geschichte

— „Wie war denn das Essen bei den Direktors? Ich
mußte im letzten Augenblick absagen ..."

— „Gott sei Dank, da wär 's ja in noch mehrere Teile
gegangen I"

Drr Weltverächter Von C. A. Lennig

Lans Neigelbier, Kopist für Kanzleisachen, wie sich
seiner Visitenkarte entnehmen ließ, war zum Weltverächter
geworden. Erst allmählich, später schneller und am Schluß
im Galopp.

Was ihn zu deiser pesfimistischen Anschauung getrieben
batte, ist nicht geklärt; eine vorhandene innere Anlage war
vielleicht durch schlimme Erfahrungen hypochondrische Grü-
beleien, entsvrechende Lektüre oder sonst einen schiefgewickel-
ten Verdauungsprozeß begünstigt worden, kurz, der be-
dauerliche Zustand war da und von einem latenten in
einen hitzig akuten übergegangen.

„Frau Lehmann," sagte er daher eines Tages zu seiner
Lauewirtin, „ich muß Ihnen heute die Eröffnung machen,
daß ich mein Zimmer bei Ihnen infolge eingetretener Am-
stände aufzugeben genötigt bin."

Frau Lehmann war sehr bestürzt.

„Aber Lerr Neigelbier," jammerte sie, „Sie wer'n doch
nicht?"

„Iawohl, ich werd'," entgegnete Lerr Neigelbier höf-
lich aber entschieden. „And zwar ziehe ich heute noch um.
Lier ist die Miete für den folgenden Monat, womit ich
unser Vertcagsverhältnis als in rechtlicher Form gelöst
betrachte."

!lnd er legte, wenn auch mit einem leisen Seufzer, den
in Betracht kommenden Betrag auf den Tisch.

„Warum denn aber so plötzlich, Lerr Neigelbier?"
wandte die noch immer bestürzte Frau ein. „Labe ich
Ihnen vielleicht beleidigt?"

„O, Sie nicht." gab Lans Neigelbier mit vorbehaltlichem
Nachdruck zur Antwort, „wie ja überhaupt das Tatbestands-
merkmal einer direkten und vorsätzltchen Beleidigung von
irgend einer Seite nicht als gegeben zu erachten ist. Aber
die Sache ist die, daß ich die Menschheit als begriffliche Ge-
samtheit hasse und verachte. Ihr lächerliches und albernes
Getue flößt mir einen nicht länger zu unterdrückenden
Widerwillen ein, und ihr bloßer Anblick verursacht mir
Pein und Abscheu. And deshalb sage ich mich los von ihr.
Ich ziehe in den alten Wachturm an der Ningmauer, um
dort in gänzlicher Abgeschiedenheit ihrem verächtlichen
Treiben entrückt zu sein."

Frau Lehmann versuchte zwar noch einige gut gemeinte
Einwendungen, aber sie standen auf viel zu schwachen Füßen,
um Lerrn Neigelbier von seinem festen Entschl»ffe abbringen
zu können. Zudem kamen die Amstände seinem Plane
einer totalen Absonderung so überraschend günstig entgegen,
daß er nicht verabsäumen wollte, die vielleicht nie wieder-
kehrende Gelegenheit zu ergreifen.

Die Stadtverwaltung hatte nämlich den klugen Ge-
danken gehabt, den im Weichbilde der Gemeinde gelegenen
alten Wachturm für Wohnzwecke herrichten zu lassen und
ihn dann zu einem mäßigen Preise zu vermieten. Sie hatte
ihn sogar mit einer zwar einfachen aber ansprechendsn
Möblierung versehen, die nach den Plänen des städtischen
Architekten entworfen worden war und zehntausend Mark
gekostet hatte. Den Entschluß einer Möblterung aber hatte
sie aus den Erwägungen herausgefaßt, daß es nicht oppor-
tun sei, eine Familie in den Turm einzulogieren. Erstens
war nur ein einziger, nicht allzu großer Naum vorhanden,
und zweitens fürchtete man die leidige Angewohnheit der
Kinder, das Treppengeländer hinunterzurutschen, was bei
einer so beträchtlichen Löhe von recht verdrießlichen Konse-
quenzen hätte sein können, für welche die vorsichtigen Stadt-
väter die moralische Verantwortung nicht übernehmen wollten
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