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Dic !lhr, dic immer vorging
ihn nach seiner eigenen Taschen-
uhr, worauf er noch einige andere
Ahren im Laden zum Vergleich
heranzog. Recht umständlich
machte er das, und ein bißchen
nervös kam er mir vor, was ich
aber begreiflich fand. Ein Mensch
muß ja schließlich nervös werden,
wenn er Jahre und Iahre hin-
durch so viele Ahren um sich
herum ticken hört und dabei noch
an so winzigen Rädchen und
Schräubchen hantieren muß.
Dann hing ich mir die neue !lhr
an die Kette, steckte die alte in
die rechte Westentasche und
konnte nun großartig mit zwei
Ahren davon spazieren.

An diesem Tage und an den
beiden nächsten war ich sehr glück-
lich. Wie ein Iunge, der eben
eine Ahr bekommen hat, zog ich
alle Augenblicke die meine her-
aus und freute mich, daß ich nun
wirklich die ganz genaue Zeit
wußte. Das war aber gar nicht
einmal so nötig, denn es war
Ostern, und ich mußte nicht in
die Stadt. Am Dienstag morgen
marschierte ich wieder nach dem
Bahnhof; das letzte Stück des
Weges mußte ich etwas eiliger
zurücklegen, — der Feind mahnte.
Aber ich brauchte wenigstens
nicht zu laufen, wie ich das sonst
so oft getan hatte. Ich kam auf
den Bahnhof, setzte mich in den
bereitstehenden Zug, sah nach
meiner Ahr und dachte: „So,
— in einer Minute muß er ab°
fahren. Das hat endlich ein-
mal geklappt. Wie angenehm es
doch ist, eine zuverlässige Ahr zu
haben I"

Aber der Zug fuhr nicht ab,
als die eine Minute vergangen
war. Eine zweite Minute ver-
strich, und der Zug rührte sich
nicht. Eine dritte Minute — ich
hatte meinen Feind in der Land,
wie ein Sieger — ging vorüber,
und noch immer ertönte kein Ab-
fahrtszeichen. Ich sah auf den
Bahnsteig hinaus, — der Sta-
tionsvorsteher stand ganz gemüt-
lich da und unterhielt sich mit
dem Zugführer. Ich sah nach
der Bahnhofsuhr und schaute
auf die meine, — ja, zum Donner-
wetter, da waren ja fünf Mi-
nuten Anterschied. Das war ja
eine nette Wirtschaft! Die
Bahnhofsuhr ging also auf ein-
iForlsetzung Seite 7i

— „Nachher hält der Bürgermeister 'ne Rede, und dann läuten sie die Glocke."

— „Das sollten ste lieber gleichzeitig machen."

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