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Dlc !lhr, dlc Immcr vorglng
mal um ganze fünf Minu-
len nach. Denn meine Ahr
stimmte natürlich, dafür
bürgte mir Sebald Bem-
perlein.

Aber siehe da, — auch
auf dem Bahnhof in der
Stadt mußte ich die gleiche
Differenz von fünf Minu-
ten feststellen. I«,was sollte
das dcnn heißen? Waren
vielleicht sämtliche Eisen-
bahnuhren um fünf Minu-
ten zurückgestellt worden?

In Frankreich haben sie
das so, und es liegt darin
eine gewiffe Rückficht auf
zumTrödeln und zurSaum-
seligkeit neigende Reisende.

Aber es ist eine Rücksicht,
die mehr in der Theorie
besteht; praktisch hat sie
wenig Wirksamkeit, denn
es weiß ja jeder darum Be-
scheid, und wer zu einem
Zuge will, sagt sich: „Ach,
ich habe ja noch Zeit, —
ganze fünf Minuten mehr,
als es eigentlich sein sollte."

Dann kam ich an einer sog. Normaluhr vorüber. So,
nun wollen wir doch einmal fehn! Nanu, ging die Nor-
maluhr elwa auch um fünf Minuten nach? Nein, das konnte
nicht sein, denn es war eine elektrisch betriebene und von
der Sternwarte regulierte Ahr. Die Sternwarte aber weiß
immer die genaue Zeit, bis auf die Sekunde, bis auf den,
ich weiß nicht wievielten Bruchteil einer Sekunde. Das muß
die Sternwarte, sonst kämen ja ihre ganzen Gejchäfte in An-
ordnung. Die Sternwarte stand ganz enlschieden über Se-
bald Bemperlein, — Sebald Bemperlein war doch nicht so
zuverlässig, wie ich geglaubl hatte.

Als ich am Nachmittag aus der Stadt zurückkam, ging
ich zu ihm. „Äerr Bemperlein, die Ahr ist um fünf Minuten
vorgegangen!" Ich sagte das in einem ganz gleichmütigen
Ton, jede Spur eines Vorwurss wollte ich vermeiden, ich
wollte ihn gar nicht kränken. Er fühlte sich aber doch gekränkt,
nicht durch mich, denn daß ich recht hatte, davon überzeugte
ihn die Ahr, die ich ihm reichte, wohl aber durch stch, durch
seine eigene Anzuverlässigkeit, denn er erklärte: „Das kann
nur meine Schuld sein, an der Ahr sehlt nichts. Ich muß
sie falsch gestellt haben, anders kann es gar nicht sein, ich
wüßte sonst keine Erklärung für dies Vorkommnis, das ich
gütigst zu entschuldigen bitte." Dann stellte er die Ahr nach
seiner eigenen, und zum Vergleich zog er diesmal minde-
stens doppelt so viel Ahren heran als beim ersten Male, ja,
er verließ sogar seinen Laden und sah auf das Chronometer
im Schaufenster. Aber daran halte er noch nicht genug;
als ich mich mit Dank entfernt hatte, kam er mir noch über
die Straße nachgelaufen und bat, noch einmal auf meine
Ahr schauen zu dürfen, ob auch wirklich alles in Ordnung
wäre. Er war eben doch etwas nervös, der Äerr Bemperlein.

Nun war ich wieder zufrieden. Am nächsten Morgen
ging ich fehr pünktlich von Lause fort und kam zwei Mi-
nuten vor Abgang des Zuges aus dem Bahnhof an, — zwei
Minulen nach meiner Ahr. Nach der Bahnhofsuhr aber

waren es sieben Minuten
Da schwand meine Zufrie-
denheit, — der Mensch kann
ja nie lange zufrieden sein.
Natürlich suchte ich Sebald
Bemperlein auf, und dies-
mal legte ich doch einen
sanften Vorwurf in meine
Stimme. „Lerr Bemper-
lein, ich muß mit Bedauern
konstatieren, daß die Ahr
seit gestern wieder um
ganze fünf Minuten vor-
gegangen ist."

Bemperlein wurde erfi
blaß, und dann schoß ihm
die Röte wieder ins Ge-
sicht. Seine Lände zitter-
len, als er die Ahr nahm.
„Wahrhaslig, Sie haben
recht," sagte er wehmütig.
„Aber es wird an mir lie-
gen, ich habe gewiß die Ahr
nicht richtig gestellt." Da-
von wollte ich aber diesmal
nichts wissen. „Nein, Lerr
Bemperlein, das ist nicht
der Fall, das weiß ich ganz
genau. Erinnern Sie sich
doch, — Sie sind mir ja
noch über die Straße nachgelaufen." Er senkte demütig das
Laupt. „Freilich, so war es," murmelte er. „Bitte, lassen
Sie mir die Ahr doch auf zwei Tage hier, ich werde sie
beobachten."

Nun ja, das mußte ich wohl tun, das war ein ganz
gerechtes Verlangen. Als ich Bemperlein nach zwei Tagen
besuchte, zeigte er mir ein strahlendes, Selbstbewußtsein
widerspiegelndes Antlitz. „Die Ahr ist in Ordnung," sprach
er, „vollkommen in Ordnung. Auch nicht eine Sekunde geht
sie vor. Wir müssen uns doch beide geirrt haben, und ich
hatte fle wieder nur falsch gestellt. Ich garantiere Ihnen,
daß Sie jetzt zufrieden sein lönnen. Wenn die Ahr nicht
richtig geht, dann will ich sämtliche Ahren in meinem Laden
auseinander nehmen und wieder zusaimnensetzen."

Das war ein Wort. Aber am nächsten Tage, nach-
mittags, als ich aus der Stadt kam, mußte ich doch wieder
zu Bemperlein. „Lerr Bemperlein," sagte ich, „versprechen
Sie mir zuerst, datz Sie auf keinen Fall sämtliche Ahren in
Ihrem Laden auseinander nehmen und wieder zusammen-
setzen werden!"

Er fuhr sich mit beiden Länden an den Kopf. „Am
Limmels willen — schon wieder?"

Ich legte ihm die Ahr hin. „Am füns Minuten, Lerr
Bemperlein, — wieder um fllnf Minuten geht sie vor."

Er packte die Ahr, und es sah fast so aus, als wollte
er sie auf den Boden werfen und darauf herumtrampeln.
„Ist denn die Ahr des Teufels?" schrie er.

„Entschuldigen Sie, Lerr Bemperlein," sagte ich, „die
Ahr ist nicht des Teufels, sondern meine, und Sie haben
mir garantiert —" Aber ich unterbrach mich; ich konnte
ihm keinen Vorwurf machen, er sah gar zu verzweifelt aus.
Ich wollte ihm zu Lilfe kommen. „Ist es vielleicht denk-
bar, daß durch das Tragen, das ja manche kleinen Er-
fchütterungen mit sich bringt, die Ahr in ihrem Gang be-
einträchtigt wird?"

Abgewunken — „Es kommt ganz aus die Reisebe-
gleitung an, mein Fräulein; dieser Bummelzug scheint
mir z. B. dem Schnellzug vorzuziehen." — „Nur wer-
den Sie damit den gewünschten Anschluß nia, lriegen."

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