— „Nehmen S' do d' Oranschen, dö san ja a hübsch sauer."
Dte Brille deS Lerrn Zademack
er schließlich mit einer Mühe, die durch das un-
gewohnte der Lagepeinlicher wurde, den nächsten.
von seinen Spaziergängen ihm bekannten Laden
mit optischen Artikeln.
Der Optiker, von dessen Gesichtsausdruck
Zademack nicht viel sah, hatte eine milde Stimme.
Trotzdem waren die Worte aus seinem Munde
für Zadcmack wahre Donnerworte. „Ia, also
Lenticulargläser! Kosten jetzt hundert Mark
das Stück, wozu der letzte Preisaufschlag von
50°/<> kommt. Machen also die Gläser 300 Mark.
Ei» Gcstell 200 Mark, — alles in allem also
500 Mark."
Der Mann sprach das aber gar nicht wie
selbstverständlich. Nein, er ließ ein gewisses
Bedauern dabei mitklingen und bemühte sich,
merken zu lassen, daß es ihm sogar peinlich
wäre, so viel fordern zu müssen. Das war
begreislich. Wenn jemand Sekt verkauft oder
Automobile oder Lackstiefel oder Geldschränke,
— nun, dann kann er die gewaltigsten Preise
ganz kühl nennen. Aber mit Brillen ist das
doch etwas anderes. Denn vorzugsweise benötigt ja jener Teil
der Menschheit Brillen, der den Preissteigerungen ziemlich
hilflos gegenübersteht. Das Geld, das heutzutage für viele
auf der Straße liegt, sehen grade die Leute mit Brillen, die
geistigen Arbeiter nicht. !lnd deshalb gehörte es gewisser-
maßen zum Geschäft des Optikers, Bedauern zu zeigen.
Aber der alte Zademack fühlte das Bedauern gar nicht, —
die Zahl 500 hatte ihn wie ei» Axthieb getroffen und etwas
betäubt. Er schnappte nach Luft und fragte dann: „Ia, wie
kommt denn das?" Natürlich war das eine ganz überflüssige
Frage. Aber der Optiker gab bereitwillig Auskunft: die
Lenkiculargläser müßten eigens angefertigt werden, in Rathe-
now, die Löhne wären so hoch, das teure Porto käme auch
dazu usw. Doch ließe sich ja ein Ausweg finden. Es brauchten
ja schließlich keine so teuren Gläser zu sein, einfache ivürden
denselben Nutzen haben, wenn auch nicht zu verhehlen wäre,
daß eine solche Brille allerdings sehr, ja wirklich beträcht-
lich schwer sein würde. Ihr Preis würde betragen — nun,
bei niedrigster Berechnung kämen 210 Mark heraus.
„Danke!" sagte der alte Zademack. „Ich werde erst
noch mal meinen Augenarzt fragen." Das war nalürlich
gelogen; er dachte gar nicht
daran, zum Augenarzt zu
gehn. Er würde sich hüten,
— der würde ihm dann
auch noch hundert Mark
für die Antersuchung abver-
langen. Er trottete graden-
wegs nach Lause und streckte
stch auf seinen alten Diwan
nieder, wo er zwei Stunden
lang liegen blieb, matt,
gebrochen und am Ende
über der durch den nieder-
trächtigen Schlag desSchick-
sals erzeugter Schwäche
den Schlag selbst fast ver-
gessend. Aber dann kam
die Zeitung und ließ ihn
das Unglück wieder stark
empfinden. — Die Zeitung
bringt manches Anglück
zum Bewußtsein. — Zademack hatte dem Blatt sonst manche
Stunde des Tages gewidmet und ihm einen großen Teil
der auf seinem eintönigen Lebenspfade zur notwendigen Zer-
streuung dienenden Erregungen verdankt. Aber hcute? Er
versuchte zu lesen und führte die Nase auf dem Papier
spazieren, was recht unangenehm war, da die Zeitung übel
roch. „Französische Ansprüche" — „Neue polnische Aeber-
griffe" — Nein, es ging nicht; ohne die gewohnte freund-
liche Lilfe der Brille war den gar zu schwachen Augen die
Arbeit zu hart. Zademack legte die Zeitung fort, ohne
über die französischen Aebergriffe und polnischen Ansprüche
— nein, die französischen Aniprüche und polnischen Aeber-
griffe Näheres erfahren zu haben. Er wußle nicht, ob er
sich darüber besonders ärgern sollte, sein eigener persönlicher
Kummer war heute zu groß.
Gegen Abend pflegte er sich immer ein bißchen ins
Fenster zu legen und auf die Straße zu schauen. Er tat
das auch heute, aber das Straßenbild erschien ihm ver-
schwommen, unklar wie eine verwackelte photographische
Aufnahme. Gegenüber lag ein Laden mit feinen Fleisch-
waren. Der Inhaber war Zademack schon lange sehr un-
sympatisch gewesen. Dick
und derb stand er immer da,
mit rotem Gesicht, aus dem
eine gradezu aufreizende
Zusriedenheit mit der Welt
im allgemeinen und den
Zeitverhältmssen im beson-
deren zu sprechen schien.
Manchmal hatte Zademack
ein Fünftel von der billig-
sten Wurst bei ihm gekauft;
dann hatte er immer den
demütigenden Eindruck
einer mitleidigen Äerablas-
sung diesesMannes gehabt.
Aeber manche von den
Leuten, die in den Laden
gingen, hatte er sich auch
ärgern müssen. Die kauften
ganze Würste und ganze
Pfunde Speck, was
mit Leberknödel, nacha zwoa Menu am Rosi gebraten und
zum Schluß a Portion ü >s csrte für zwoa Personenl"
55
Dte Brille deS Lerrn Zademack
er schließlich mit einer Mühe, die durch das un-
gewohnte der Lagepeinlicher wurde, den nächsten.
von seinen Spaziergängen ihm bekannten Laden
mit optischen Artikeln.
Der Optiker, von dessen Gesichtsausdruck
Zademack nicht viel sah, hatte eine milde Stimme.
Trotzdem waren die Worte aus seinem Munde
für Zadcmack wahre Donnerworte. „Ia, also
Lenticulargläser! Kosten jetzt hundert Mark
das Stück, wozu der letzte Preisaufschlag von
50°/<> kommt. Machen also die Gläser 300 Mark.
Ei» Gcstell 200 Mark, — alles in allem also
500 Mark."
Der Mann sprach das aber gar nicht wie
selbstverständlich. Nein, er ließ ein gewisses
Bedauern dabei mitklingen und bemühte sich,
merken zu lassen, daß es ihm sogar peinlich
wäre, so viel fordern zu müssen. Das war
begreislich. Wenn jemand Sekt verkauft oder
Automobile oder Lackstiefel oder Geldschränke,
— nun, dann kann er die gewaltigsten Preise
ganz kühl nennen. Aber mit Brillen ist das
doch etwas anderes. Denn vorzugsweise benötigt ja jener Teil
der Menschheit Brillen, der den Preissteigerungen ziemlich
hilflos gegenübersteht. Das Geld, das heutzutage für viele
auf der Straße liegt, sehen grade die Leute mit Brillen, die
geistigen Arbeiter nicht. !lnd deshalb gehörte es gewisser-
maßen zum Geschäft des Optikers, Bedauern zu zeigen.
Aber der alte Zademack fühlte das Bedauern gar nicht, —
die Zahl 500 hatte ihn wie ei» Axthieb getroffen und etwas
betäubt. Er schnappte nach Luft und fragte dann: „Ia, wie
kommt denn das?" Natürlich war das eine ganz überflüssige
Frage. Aber der Optiker gab bereitwillig Auskunft: die
Lenkiculargläser müßten eigens angefertigt werden, in Rathe-
now, die Löhne wären so hoch, das teure Porto käme auch
dazu usw. Doch ließe sich ja ein Ausweg finden. Es brauchten
ja schließlich keine so teuren Gläser zu sein, einfache ivürden
denselben Nutzen haben, wenn auch nicht zu verhehlen wäre,
daß eine solche Brille allerdings sehr, ja wirklich beträcht-
lich schwer sein würde. Ihr Preis würde betragen — nun,
bei niedrigster Berechnung kämen 210 Mark heraus.
„Danke!" sagte der alte Zademack. „Ich werde erst
noch mal meinen Augenarzt fragen." Das war nalürlich
gelogen; er dachte gar nicht
daran, zum Augenarzt zu
gehn. Er würde sich hüten,
— der würde ihm dann
auch noch hundert Mark
für die Antersuchung abver-
langen. Er trottete graden-
wegs nach Lause und streckte
stch auf seinen alten Diwan
nieder, wo er zwei Stunden
lang liegen blieb, matt,
gebrochen und am Ende
über der durch den nieder-
trächtigen Schlag desSchick-
sals erzeugter Schwäche
den Schlag selbst fast ver-
gessend. Aber dann kam
die Zeitung und ließ ihn
das Unglück wieder stark
empfinden. — Die Zeitung
bringt manches Anglück
zum Bewußtsein. — Zademack hatte dem Blatt sonst manche
Stunde des Tages gewidmet und ihm einen großen Teil
der auf seinem eintönigen Lebenspfade zur notwendigen Zer-
streuung dienenden Erregungen verdankt. Aber hcute? Er
versuchte zu lesen und führte die Nase auf dem Papier
spazieren, was recht unangenehm war, da die Zeitung übel
roch. „Französische Ansprüche" — „Neue polnische Aeber-
griffe" — Nein, es ging nicht; ohne die gewohnte freund-
liche Lilfe der Brille war den gar zu schwachen Augen die
Arbeit zu hart. Zademack legte die Zeitung fort, ohne
über die französischen Aebergriffe und polnischen Ansprüche
— nein, die französischen Aniprüche und polnischen Aeber-
griffe Näheres erfahren zu haben. Er wußle nicht, ob er
sich darüber besonders ärgern sollte, sein eigener persönlicher
Kummer war heute zu groß.
Gegen Abend pflegte er sich immer ein bißchen ins
Fenster zu legen und auf die Straße zu schauen. Er tat
das auch heute, aber das Straßenbild erschien ihm ver-
schwommen, unklar wie eine verwackelte photographische
Aufnahme. Gegenüber lag ein Laden mit feinen Fleisch-
waren. Der Inhaber war Zademack schon lange sehr un-
sympatisch gewesen. Dick
und derb stand er immer da,
mit rotem Gesicht, aus dem
eine gradezu aufreizende
Zusriedenheit mit der Welt
im allgemeinen und den
Zeitverhältmssen im beson-
deren zu sprechen schien.
Manchmal hatte Zademack
ein Fünftel von der billig-
sten Wurst bei ihm gekauft;
dann hatte er immer den
demütigenden Eindruck
einer mitleidigen Äerablas-
sung diesesMannes gehabt.
Aeber manche von den
Leuten, die in den Laden
gingen, hatte er sich auch
ärgern müssen. Die kauften
ganze Würste und ganze
Pfunde Speck, was
mit Leberknödel, nacha zwoa Menu am Rosi gebraten und
zum Schluß a Portion ü >s csrte für zwoa Personenl"
55