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Das Eisblumenfenster

oder

Wie der gute Großpapa seinen Enkel-
kindern mittelst seines heißen Wein-
gesichtes freie Ausstcht verschafft.

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Swartkopps Verlvbungen Vo» Peter Robinson

„Ia, Weihnachten!" sagte Kapitän Swartkopp. Dabei stopfte er seine Pfeife,
so daß es ungewiß blieb, ob das Erstrahlen seines lederfesten Antlitzes dem kommenden
Tabakgenuß galt oder durch Gedanken an das erwähnte schöne Fest hervorgerufen
wurde. Aber vielleicht war es eine Mischung von beiden. Kapitän Swarlkopp ist
iibrigens seit langen Iahren nicht mehr aktiv, wenigstens nicht mehr zur See; sonst
ist er noch recht rührig und weiß aus mancherlei mit dem Lafenbetriebe verknüpften
Vermittlungsgeschäften ansehnliche Vorteile zu erzielen. Sehr weite Neisen hat er
wohl nie gemacht; es liegt ein gewisses Dunlel darüber, ob er überhaupt das Patent
für große Fahrt besitzt. Aber die Ostsee kennt er genau, darüber besteht kein Zweisel,
und das genügt ja, ihn sympathisch zu machen. Er wohnt in einem hübschen Läuschen
am Fluß. auf den man aus dem Wohnzimmer schauen kann. Es sitzt sich recht behaglich
dort am Fenster, besonders, wenn man Grog dazu trinkt. Das taten wir, KapitSn
Ewartkopp und ich, denn er hatte mich dazu eingeladen. And schließlich kam er
ins Erzählen.

„Ia, also Weihnachten l" — Kapitän Swartkopp nahm einen tiefen Schluck Grog,
als wollte er cin Gefühl ieichter Rührung, das ihm unziemlich erscheinen mochte,
forsch wieder hinunterspülen. „Schön ist es immer, am allerschönsten aber doch, wenn
man so neben dem Tannenbaum steht und ganz frisch eine liebe Braut bekommen hat,

— aber eine richtige, wo nachher auch wirklich was aus dem Leiraten werden soll. Denn
zu 'ner Braut kommt 'n junger Seemann ja leicht, und ich hab' manchen gekannt,
der hatte an jedem Ende der Welt eine, und die Welt hat viele Enden, aber vom
Leiratcn war da man verdammt wenig Abstcht dabei, — das heißt, was den Kerl
anging, denn die Frauensleut' wollten schon. Nein, 'ne ganz wirkliche Braut muß
das sein zu Weihnachten, und das hab' ich mal erlebt, und es war 'ne merkwürdige
Geschichte. Ist nun all fünfunddreißig Iahre her.

Ich fuhr damals als Steuermann auf der „Adele," die nach Lamburg gehörte,

— dem alten Bausewein, bei dem es immcr noch Brauch war, trotzdem das damals
sonst überall schon aus der Mode gekommen war, daß die Decklast vom Schiff dem
Kapitän gehörte. Es war wohl auch, weil unser Kapitän Claassen ein alter Freund von
Bausewein war. Er war auch schon beinah' an die Siebzig und konnte nicht mehr so
richtig mitmachen, und deshalb war außer mir noch ein zweiter Steuermann da, was
eigentlich nicht nötig war, denn wir fuhren bloß zwischen Lamburg und Niga, — hin
mit Stückgütern und zurück mit Lolz und manchmal auch Kocn. Stantien hieß mein
Kollege, Iochen Stantien. War 'n fixer Kerl, ging aber 'n bißchen gar zu leicht mit
seinem Geld um. Immer hat er wetten müssen, und es waren meist ganz dumme
Wetten, wo einer schon voraus wußte, daß Stantien verlieren würde. An mich hat
er auch manches Goldstück verloren. And einmal gleich ganze hundert Äkark, und
das war bei der Geschichte mit der Verlobung.

Im Fiühjahr war ich auf die „Adele" gekommen, und wie wir nun immer
zwischen Lamburg und Niga hin und her fuhren, da kam's mir so in den Smn, wie
nett das doch sein müßte, wenn ich hier oder dort richtig zu Laus wäre, — mit 'ner
hübschen kleinen Wohnung und 'ner lieben jungen Frau darin. So immer ein paar
Tage, wenn die „Aoele" löschte und Ladung nahm, zu Laus zu sthen und dann wieder
ein Weilchen fort zu sein, daß man sich aufs Wiedersehn freute, — das schien mir
grad' das Ncchte. !lnd es war doch auch was Solides dabei, und das konnt' ich
gut brauchen, denn, die Wahrheit zu sagen, ich spitzte mich 'n bitzchen aus den
Kapitänsposten, weil doch der alte Claassen wohl bald von Bord gehn würde.

Ia, also heiratenl Dazu muß man aber erst 'ne Vraut haben, eine richtige, wie
ich schon gesagt habe. Eine ganz richtige hatte ich nun noch nicht, aber zweie, von denen
jede es werden konnte. Die eine saß natürlich in Lamburg und die andre in Riga.

Die in Lamburg war die Emma, — Stremel mit Vatcrsnamen, was ste aber
S-tremel aussprach, denn sie sagte auch S-tock und S-tuhl und S-tein, und das gcfiel
mir. Lübsch war sis natürlich, denn ich hätte doch gar nicht mit einer bekannt sein
mögen, die nicht ordentlich zum Ansehn gewesen wäre. Groß war sie, beinah' 'n bißchen
zu groß, und blonde Laare hatte sie, beinah' 'n bißchen zu blond, und blaue Augen,
beinah' 'n bißchen zu blau. And sehr ruhig war sie und hatte sehr feine Manieren
und mächtig viel gelernt, und überhaupt — man mußte gewaltig vor ihr Nespekt haben.
Der Vater war schon tot, war Zollbeamter gewesen am Freihafen, und deshalb hatte
sie 'n Intercsse für Seeleute. Die Mutler hatte 'ne hübsche Pension, aber es war auch
sonst noch Geld da, und außerdem hielten Mutker und Tochter einen Kindergarten,
denn das hatte die Emma gelernt. Jch muß sagen: beinah' zu gut gelernt. Denn ich
hab' mir den Kindergarten mal angesehn, grad' mitten im richtigen Betrieb, und so
was von Zucht und Ordnung und anständigem Betragen hätt' ich nie sür möglich ge-
halten. Mir taten die Kinderchen beinah' leid; fle mußten sich doch eigentlich schrecklich
 
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