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— „Die Lebkuchenherzen sind aber klein sllrs Geld."

— „Ia mei, liebe Frau, — heuzutag' gibr's nix Großherziges mehr."

Geselligkeit

Nach dem Mittageffen legte mir meine Frau die Liste
der Geladenen vor. Es war eine kleine Gesellschast, ganz
intim, nur siebzehn Personen, sogar wenn ich mich mitzählte.

„Ich habe es so arrangiert, daß wir älteren Leute im
Wohnzimmer essen, das junge Volk aber im Speisezimmer.
Dort wird für neun Personen gedeckt. Es ist noch Gretchen
Massenbach, weißt du, das junge Mädchen mit der Lorn-
brille eingeladen, ich kann sie ja nicht recht leiden, aber es
ging nicht anders, und außerdem, — doch das interessiert
dich ja doch nicht. Loffentlich funktioniert das elektrische
Licht! Es war heute morgen erst dreimal der Installateur
da, ein sehr tllchtiger Mensch, wie unser Mädchen Kathinka
sagt, die ihn von ihrer frllheren Lerrscbast her kennt.

Das Essen ist natürlich einfach: Suppe, Zander, Reh-
rllcken, Limbeerpudding. Bitre, widme dich etwas dem Ge-
heimrat v. Röckrny! Der arme Mann ist in der leyten Zeit
etwas schwerbörig, und nun kriegt er auch noch den Weis-
heitszahn und kann kaum ein Wort sprechen. Er ist ein so
guter alter Lerrl"

Geheimrat v. Röcknitz war der erfte, der kam. Es war
erst vier Ahr, aber er hatte knvs o'ciock verstanden. Zch
konnte den Salon nicht finden und fllhrte ihn aus Ver-
sehen ins Badezimmer, bis meine Frau uns erttdeckte und
an Land eines Wohnungsgrundrisses den Salon ausfindig
machte.

Um sieben war ich bereits so herunter, daß ich Kampser
spritzen mußte. Eine halbe Stunde später erschien der Medi-
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ziner. Er erzählte, daß er Willensgymnastik triebe und es
bereits dahin gebracht habe, kondensierte Milch durch den
bloßen Willen gerinnen zu lassen. Nun, ich finde, das ist
nicht so schwer. Wenn man den Willen hat, Milch gerinnen
zu laffen, ist das sehr leicht zu erreichen. Man läßt sie ein-
sach stehen. Außerdem warf Gert Schnetder eine SLvres-
Vase herunter, eines unsrer besten Stücke. Aber das hatte
osfenbar mit dem Willen nichts zu tun. Nach und nach
süllten sich die Räume. Grerchen Masscnbach war wirklich
trotz der Lornbrille schrecklich kurzsichtig. Sie hielt den Ge°
heimrat v. Röcknitz mit seinem Lörrohr für einen Radio-
apparat und fiel aus einem Entzllcken ins andere.

Wir unterhielten uns llber Einstein, bis das Essen kam.
Der Geheimrat wollte absolut die chemische Formel des
Weinfteins wissen und verwickelte mich in einen sehr an-
strengenden Disput über Brauscpulverfabrikation. Dann
kamen wir auf Sprengstoffe. Es war ein halb neun. Meine
Frau wurde unruhig und ließ den Knops der elektrischen
Klingel nicht mehr los, deren Wirkungen iroendwo in der
Wohnung erqebnislos verhallten. Das Essen kam nicht.

Dafllr ging um dreiviertel neun plötzlich das Licht aus.
Mir warteten. Im Zimmer der jungen Leute war grokes
5)allo. Zemand hielt einen Vortrag llber Bolichewismus.
Einige Mägen fingen an, verhalten zu knurren, darunter,
wie ich aus befter Quelle weiß, auch meiner. Dann machte
ein Äerr den Vorschlag, doch die Sicherungen nachzusehen,
aber niemand getraute sich, in der großen Wohnung nach
der Schalttafel aus die Suche zu gehen.
 
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