Das Sfterlaufen
für das Mtrtelalter, er nannte es
eine desiere Zeit, er bedauerte, nicht
im Mittelalter gelebt zu haben,
wobei er freilich nicht verriet, ob
er sich dazu auch einen anderen
Beruf gewünscht hätte. Ob es
die Oberpostsekretäre im Mittel-
alter beffer gehabt haben, ift eine
Frage, die Kundigere beantworten
mögen. Wen es interessiert, der
kann ja in Regensburg, wo sie
wohl noch alte Llrkunden haben
werden, anfragen, was bei Thurn
und Taxis ein Oberpoftsekretär
Gehalt und Pension bekommen
hat, wie es mit den Dienststunden
war usw.-
Am Ostermorgen ließ Frau
Beate Zademack ihre beiden Iun-
gen, den dreizehnjährigen Rudolf
und den zwölfjährigen Kurt, zu-
nächst die gewohnten süßen Oster-
eier suchen, was schnell gemacht
war, denn viele gab es nicht, in
gebührender Berückstchtigung des
Amstandes, daß immer am zweiten
Ostertage ein viel ertragreicheres Suchen stattfand, bei Frau
Zademacks Vater nämlich, der ein braver, guter und nütz-
licher Großpapa war. Er wohnte ein Stllck außerhalb der
Stadt, an der schönen alten Landstraße, die grade bei Zade-
macks Quartier ihren Anfang nahm, so daß die Besuche beim
Großvater auch immer vortrefflrche Spaziergänge ergaben.
Dies kam jetzt dem Oberpostsekretär zustatten, als er nun
an die angekündigte Wiederbelebung eines allen Osterbrauches
ging. Er hatte sich, was anzuerkennen ist, ernstlich vorge-
nommen, dabei die rechte Mitte zu halten zwischen ge-
ziemender Osterfreundlichkeit und dem strengen Eifer des
Kulturhistorikers, nahm sich dann aber doch nicht zusammen
und ließ den harlen Ernst vorwalten. Aber die Wiffenschaft
darf eben keine Rücksichten kennen. In dem spärlichen kleinen
Garten neben dem Äause versammelte er seine Familie. Ein
Tischchen und zwei Stühle, für die Gattin und sich, hatte
er schon bereit gestellt; auf dem Tisch stand ein Korb mit den
Kleines Mißverständnis
— „Aehnlich,wie bei uns,Gnädigste. Mein Großvater hatte zwei weltberühmte Pferde."
beorderten hundert srischen Lühnereiern und noch ein leeres
kleines Körbchen.
And nun sprach der Oberpostsekretär Zademack: „Anter
den mannigfachen Osterbräuchen einer vergangenen schöneren
Zeit habe ich — paßt auf, Rudolf und Kurt! — einen ge-
funden, der mir ganz besonders geeignet erscheint, auch von
den Knaben unserer Zeit wieder gellbt zu werden, da er
Gelegenheit zu einem munteren Wettstreit gibt, bei dem
tüchtige Brust und fiinke Füße einerseits, Gewandtheit und
Behutsamkeit anderseits um den Siegespreis ringen. Dieser
Brauch war im Mittelalter in der schönen Neichsstadt Augs-
burg ein bei der Iugend beliebtes Oftervergnügen. Dort
versammelten sich die Knaben vor dem Rotentor, und zwei
von ihnen traten zum Wettbewerbe an. Für den einen legte
man hundert Eier in grader Linie so auf den Boden hin,
daß eines immer zwei Schuh von dem andern entfernt war.
Er mußte nun diese Eier ausheben, in einen Korb tun und
unzerbrochen dem Leiter des Spiels bringen,
aber, paßt auf, Rudols und Kurt: immer nur
ein einziges Ei bei jedem mal. Inzwischen lies
der andere Knabe nach dem Dorfe Göppingen
' und zurück. Sieger war natürlich, wer zuerst
seine Aufgabe bewältigt hatte. So, Iungens,
— das werden wir jetzt auch machen!"
Zademack tat so wichtig, als wollte er zum
mindesten eine Ritterschlags- oder Belehnungs-
zeremonie neu aufleben laffen. Seiner Galtin
gefiel die Sache nicht. „Ach was, wir sind doch
hier nicht in Augsburg, und wie soll denn einer
von den Iungen nach dem Dorf laufen, — wie
heißt es doch?"
„Göppingen!" sagte Zademack ungeduldig.
„Aber darauf kornmt es doch gar nicht an. Ich
habe an Land der genaueften Karten festgestellt,
daß der Augsburger Knabe eine Kleinigkeit
weiter zu laufen hatte, als der Weg von hier
nach Großvaters Lause beträgt. Nudolf, du
wirst also laufen und Großvater guten Tag
23
— „Verzeihung, sind Sie viel-
leicht die Tischrunde, die diese
Flasche Wein beftellt hat?"
für das Mtrtelalter, er nannte es
eine desiere Zeit, er bedauerte, nicht
im Mittelalter gelebt zu haben,
wobei er freilich nicht verriet, ob
er sich dazu auch einen anderen
Beruf gewünscht hätte. Ob es
die Oberpostsekretäre im Mittel-
alter beffer gehabt haben, ift eine
Frage, die Kundigere beantworten
mögen. Wen es interessiert, der
kann ja in Regensburg, wo sie
wohl noch alte Llrkunden haben
werden, anfragen, was bei Thurn
und Taxis ein Oberpoftsekretär
Gehalt und Pension bekommen
hat, wie es mit den Dienststunden
war usw.-
Am Ostermorgen ließ Frau
Beate Zademack ihre beiden Iun-
gen, den dreizehnjährigen Rudolf
und den zwölfjährigen Kurt, zu-
nächst die gewohnten süßen Oster-
eier suchen, was schnell gemacht
war, denn viele gab es nicht, in
gebührender Berückstchtigung des
Amstandes, daß immer am zweiten
Ostertage ein viel ertragreicheres Suchen stattfand, bei Frau
Zademacks Vater nämlich, der ein braver, guter und nütz-
licher Großpapa war. Er wohnte ein Stllck außerhalb der
Stadt, an der schönen alten Landstraße, die grade bei Zade-
macks Quartier ihren Anfang nahm, so daß die Besuche beim
Großvater auch immer vortrefflrche Spaziergänge ergaben.
Dies kam jetzt dem Oberpostsekretär zustatten, als er nun
an die angekündigte Wiederbelebung eines allen Osterbrauches
ging. Er hatte sich, was anzuerkennen ist, ernstlich vorge-
nommen, dabei die rechte Mitte zu halten zwischen ge-
ziemender Osterfreundlichkeit und dem strengen Eifer des
Kulturhistorikers, nahm sich dann aber doch nicht zusammen
und ließ den harlen Ernst vorwalten. Aber die Wiffenschaft
darf eben keine Rücksichten kennen. In dem spärlichen kleinen
Garten neben dem Äause versammelte er seine Familie. Ein
Tischchen und zwei Stühle, für die Gattin und sich, hatte
er schon bereit gestellt; auf dem Tisch stand ein Korb mit den
Kleines Mißverständnis
— „Aehnlich,wie bei uns,Gnädigste. Mein Großvater hatte zwei weltberühmte Pferde."
beorderten hundert srischen Lühnereiern und noch ein leeres
kleines Körbchen.
And nun sprach der Oberpostsekretär Zademack: „Anter
den mannigfachen Osterbräuchen einer vergangenen schöneren
Zeit habe ich — paßt auf, Rudolf und Kurt! — einen ge-
funden, der mir ganz besonders geeignet erscheint, auch von
den Knaben unserer Zeit wieder gellbt zu werden, da er
Gelegenheit zu einem munteren Wettstreit gibt, bei dem
tüchtige Brust und fiinke Füße einerseits, Gewandtheit und
Behutsamkeit anderseits um den Siegespreis ringen. Dieser
Brauch war im Mittelalter in der schönen Neichsstadt Augs-
burg ein bei der Iugend beliebtes Oftervergnügen. Dort
versammelten sich die Knaben vor dem Rotentor, und zwei
von ihnen traten zum Wettbewerbe an. Für den einen legte
man hundert Eier in grader Linie so auf den Boden hin,
daß eines immer zwei Schuh von dem andern entfernt war.
Er mußte nun diese Eier ausheben, in einen Korb tun und
unzerbrochen dem Leiter des Spiels bringen,
aber, paßt auf, Rudols und Kurt: immer nur
ein einziges Ei bei jedem mal. Inzwischen lies
der andere Knabe nach dem Dorfe Göppingen
' und zurück. Sieger war natürlich, wer zuerst
seine Aufgabe bewältigt hatte. So, Iungens,
— das werden wir jetzt auch machen!"
Zademack tat so wichtig, als wollte er zum
mindesten eine Ritterschlags- oder Belehnungs-
zeremonie neu aufleben laffen. Seiner Galtin
gefiel die Sache nicht. „Ach was, wir sind doch
hier nicht in Augsburg, und wie soll denn einer
von den Iungen nach dem Dorf laufen, — wie
heißt es doch?"
„Göppingen!" sagte Zademack ungeduldig.
„Aber darauf kornmt es doch gar nicht an. Ich
habe an Land der genaueften Karten festgestellt,
daß der Augsburger Knabe eine Kleinigkeit
weiter zu laufen hatte, als der Weg von hier
nach Großvaters Lause beträgt. Nudolf, du
wirst also laufen und Großvater guten Tag
23
— „Verzeihung, sind Sie viel-
leicht die Tischrunde, die diese
Flasche Wein beftellt hat?"