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Llnsere möblierten Herren

Eines Tages kam Onkel Boleslaw aus Kleinmuckelheim
bei Zarotschin an der polnischen Knatter zugereist. Es war
leichtsinnig von uns, seinen Angaben, er sei unser Onkel und
wolle bei uns einen Roman schreiben, ohne weiteres Glau-
ben zu schenken. Aber er behauptete das so fteis und fest,
daß es unhöslich gewesen wäre, Zweifel zu hegen.

Einen Roman, sagte Onkel Boleslaw, könne man nur
in einem geeigneten Milieu schreiben, und bei uns sei das
Milieu sehr geeignet.

Er bekam unser schönstes Zimmer. Nach acht Wochen
war der Fußboden mit Curayaoflaschen bedeckt, aber mit
dem Roman hatte er noch nicht angefangen. Sei es, daß
unser Milieu doch nicht das richtige war, sei es, daß Onkel
Boleslaw überhaupt keinen Roman schreiben konnte, ein
halbes Zahr verging, und kein flchtbarer Erfolg zeigte sich,
nur die Curacaoflaschen nabmen immer mehr überhand.

Onkel Boleslaw wurde von Tag zu Tag seltsamer. Er
fing überall an den Wänden Lirschkäfer, wo gar keine
waren, und sah beim Mittagefsen Schwärme von Stichlingen

in der Suppenterrine. Eines Tages sagte er auf alle Fragen
nichts als: „Blattlausl" Wir verständigten unsern Laus-
arzt, und der ließ Onkel Boleslaw in eine Trinkerkuranstalt
abtransportieren.

In seinem verlafsenen Zimmer roch es durchdringend
nach Curacao, deshalb entschlossen wir uns, bis sich der
Geruch verzogen häkte, es anderweitig zu vermieten.

Auf unser Znserat meldete sich ein stellenloser Artist.
Er war ungeheuer stark, aber gutmütig wie ein Kind. Als
meine Frau Großreinemachen veranstaltete, trug er ein

eichenes Vüffet auf der flachen Land auf den Flur. Wenn
frisch gebohnert war, ging er rückstchtsvoll auf den Länden.
Ein so guter Mensch er aber auch war, seine Schattenseiten
hatte er auch: bald kamen wir nämlich dahinter, daß er aus
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Nahrungsmangel heimlich Kohlen fraß und zwar den kost-
spieligen Koks. Daravfhin kündigten wir ihm, aber er
drohte, alles kaputzaschtagen, falls wir die Kündigung nicht
zurücknähmen. Was tun?

„Fesseln wir ihn, wenn er schläft!" riet ich.

Wir besorgten 100 Meter Wäscheleine, schlichen in sein
Zimmer und banden ihm nach allen Regeln der Kunst die
Gliedmaßen aneinander, wobei uns die Lektüre von Karl
May sehr zu ftatten kam. Zur Vorsicht flocht ich noch einige
Sprungfedern aus einer alten Matratze mit hinein. Er
schlief ruhig weiter und merkte nichts.

Zum Frühstück aber war er zur Stelle, als ob nichts
gewesen wäre. Er schllttelte uns treuherzig die Lände und
wollte sich ausschütten vor Lachen. Zu spät erzählte er uns,
daß er einer der berllhmtesten Entfesselungskünstler sei.

Wie sollten wir ihn loswerden? Da kam meine Frau
auf einen famosen Gedanken. Im VarietS „Bunte Bühne"
traten zwölf Brothers Lalfgreen auf, starke Riesen, die
allabendlich Eisenbahnschienen wie Streichhölzer zerbrachen
und Diplomatenschreibtische zwischen den Zähnen hielten.
An einen dieser Lerren vermietete meine Frau das Zimmer,
mit der ausdrücklichen Bedingung, daß der Artist von ihm
hinausgeworfen werden müsse.

Lerr Lalfgreen kam und feierte mit unserm Mieter
ein fröhliches Wiedersehen. Sie waren jahrelang zusammen
gereift und hatten Schienen gebogen. Ietzt hatten wir all-
abendlich die 13 starken Männer in unsrer Wohnung. Sie
sparten das Lotel dabei und gingen auch nachts nicht mehr
fort. Weil das Zimmer sehr klein war, ordneten sie sich
abends zu kunstvollen Pyramiden an und schliefen so.

Anser nächster Mieter war ein sorgfältig ausgewählter,
schmächtiger junger Mann, von dem wir Kraftkunststllcke
nicht zu erwarten hatten. Auch er trat in einem Variets
auf, aber er sagte nicht, was er für ein Spezialfach hatte.
Er hieß Notatorio Subterrestre.
 
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