— „Aber, Äerr Krause, warum stellen Sie sich denn hier
mitten auf'n Fahrweq?"
— „Donnerwctter! Dauernd vergißt man, daß man ab-
gebaut ift. Äier war ich frllher Verkehrsschutzmannl"
Eine Zahnextraktion Von Peter Robinson
Schon seit längerer Zeit hatte August §?niebel — in
den Registern des Eiuwohnermeldeamts steht von ihm ver-
merkt, und es wird also wohl stimmen, daß er am 13. Iuni
1^73 zu Krimmitschau geboren, ledig geblieben und Ver-
sicherungsbeamter ist — schon seit längerer Zeit also hatte
dieser August Kniebel es sich angewöhnt, um neun Ahr ins
Bett zu gehn. Das ist ein bißchen früh, fllr einen Groß-
städter, aber warum sollte Kniebel es anders machen! Aus-
gehn, ins Theater oder ein Lokal, das kostet Geld; aus
dem Sofa sitzen und etwas lesen, das kostet auch Geld, denn
das Licht muß man teuer bezahlen und noch teurer im
Winter die Leizung, und die Lektüre muß man sich doch
auch besorgen, wenn man nicht selber eine Bibliothek be-
sitzt, was aber bei Kniebel nicht der Fall ist. Er hat nur
ein einziges, zufällig einmal in seinen Besitz geratenes Buch:
Der kranke Mensch und seine Leilung auf naturgemäßem
Wege. And darin könnte er doch nicht immerzu lesen. Im
Bett zu liegen, kostet aber kein Geld, —wenigstens zu Lause
nicht, im Gasthof ift das eine andere Sache. Und deshalb
eben pflegt Kniebel seine Lagerstätte so frllh aufzusuchen.
Er schläft dann aber noch nicht gleich ein, er denkt noch
ein bißchen an dieses und jenes, an allerlei angenehme Dinge.
Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, daß diese Dinge fast
ausnahmslos der Vergangenheit angehören. Kniebel spaziert
im Garren seiner Erinnerungen. Er ist nicht sehr groß,
100
dieser Garten, und es wachsen bescheidene Blumen darin;
etwas Ankraut, aber nicht sehr böses, ist auch dazwischen,
und in den schmalen Wegen ein paar kantige Steine. Es
tut Kniebel wohl, darin herumzuspazieren, und allmählich
wird er darllber mllde und schläft dann recht schön ein.
Leute nun hatte Kniebel, mollig sich einwickelnd, wieder
mit dem Glockenschlage Neun die Bettdecke halb über den
Kopf gezogen und die Augen zugemacht. Ah, das tat wohl,
so im sicheren Lafen zu sein! Da ist man doch am besten
aufgehoben, da kann einem nichts Passieren. Beinahe wäre
ihm heute wirklich etwas fehr Anangenehmes passiert, —
auf dem Nachhausewege hätte ihn ein Nadfahrer um ein
Laar umgefahren. Davor muß man sich jetzt verteufelt in
acht nehmen; die jungen Burschen rasen ja wie verrllckt
durch die Straßen. Mit ordentlichen Prllgeln sollte ihnen
das ausgetrieben werden. So etwas hatte es doch früher
nicht gegeben. Nanu, er war doch auch als junger Kerl
Nad gefahren, aber er hatte niemals jemand beinahe über-
rannt. Ia, das waren noch Zeiten gewesen, als er sich sein
erstes Nad angeschafft hatte! Auf Abzahlung natürlich.
Zwanzig Mark hatte er an jedem Monatsersten bezahlt;
18 Monate lang hatte er pllnktlich und getreulich ein blankes
Goldstllck dahingegeben. Donnerwetter, wenn er die jetzt
noch hätte! Aber Kniebel kehrte lieber zu seinen Radfahrer-
erinnerungen zurllck. Ia, herrliche Fahrten hatte er gemacht.
Einmal zu Ostern, — aher nein, es war Pfingsten gewesen,
es war ja alles schon grlln und so furchrbar heiß gewesen
— da war er also nach dem berühmten Park von Wöilitz
gefahren und hatte sich alles genau angesehn. Auch im
Gotischen Lause die BUder von dem Maler mit dem merk-
wllrdigen Namen: Schnapphahn hieß er. Oder nein:
Snaphan, was aber schließlich dasselbe ist. Eine ganze Reihe
Prinzessinnen halte der Mann gemalt, darunter eine, die
die schöne Gabriele hieß. Kniebel hatte sie aber gar nicht
so schön gefunden. And wenn ein Maler, der eine Prinzessin
malt, sie nichr einmal besonders schön macht, — na, dann
muß es in Wirklichkeit mit der Schönheit gar nicht so groß-
artig sein. (Fortsetzung Seite 103)
— „Verdruß jehabt! Mein alter Lerr hat
mir leschrieben, ich sollte endlicv in mich jehn."
— „Na ja, das jchreibt so 'n alter Lerr
immer, wenn er selber außer sich is'."
mitten auf'n Fahrweq?"
— „Donnerwctter! Dauernd vergißt man, daß man ab-
gebaut ift. Äier war ich frllher Verkehrsschutzmannl"
Eine Zahnextraktion Von Peter Robinson
Schon seit längerer Zeit hatte August §?niebel — in
den Registern des Eiuwohnermeldeamts steht von ihm ver-
merkt, und es wird also wohl stimmen, daß er am 13. Iuni
1^73 zu Krimmitschau geboren, ledig geblieben und Ver-
sicherungsbeamter ist — schon seit längerer Zeit also hatte
dieser August Kniebel es sich angewöhnt, um neun Ahr ins
Bett zu gehn. Das ist ein bißchen früh, fllr einen Groß-
städter, aber warum sollte Kniebel es anders machen! Aus-
gehn, ins Theater oder ein Lokal, das kostet Geld; aus
dem Sofa sitzen und etwas lesen, das kostet auch Geld, denn
das Licht muß man teuer bezahlen und noch teurer im
Winter die Leizung, und die Lektüre muß man sich doch
auch besorgen, wenn man nicht selber eine Bibliothek be-
sitzt, was aber bei Kniebel nicht der Fall ist. Er hat nur
ein einziges, zufällig einmal in seinen Besitz geratenes Buch:
Der kranke Mensch und seine Leilung auf naturgemäßem
Wege. And darin könnte er doch nicht immerzu lesen. Im
Bett zu liegen, kostet aber kein Geld, —wenigstens zu Lause
nicht, im Gasthof ift das eine andere Sache. Und deshalb
eben pflegt Kniebel seine Lagerstätte so frllh aufzusuchen.
Er schläft dann aber noch nicht gleich ein, er denkt noch
ein bißchen an dieses und jenes, an allerlei angenehme Dinge.
Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, daß diese Dinge fast
ausnahmslos der Vergangenheit angehören. Kniebel spaziert
im Garren seiner Erinnerungen. Er ist nicht sehr groß,
100
dieser Garten, und es wachsen bescheidene Blumen darin;
etwas Ankraut, aber nicht sehr böses, ist auch dazwischen,
und in den schmalen Wegen ein paar kantige Steine. Es
tut Kniebel wohl, darin herumzuspazieren, und allmählich
wird er darllber mllde und schläft dann recht schön ein.
Leute nun hatte Kniebel, mollig sich einwickelnd, wieder
mit dem Glockenschlage Neun die Bettdecke halb über den
Kopf gezogen und die Augen zugemacht. Ah, das tat wohl,
so im sicheren Lafen zu sein! Da ist man doch am besten
aufgehoben, da kann einem nichts Passieren. Beinahe wäre
ihm heute wirklich etwas fehr Anangenehmes passiert, —
auf dem Nachhausewege hätte ihn ein Nadfahrer um ein
Laar umgefahren. Davor muß man sich jetzt verteufelt in
acht nehmen; die jungen Burschen rasen ja wie verrllckt
durch die Straßen. Mit ordentlichen Prllgeln sollte ihnen
das ausgetrieben werden. So etwas hatte es doch früher
nicht gegeben. Nanu, er war doch auch als junger Kerl
Nad gefahren, aber er hatte niemals jemand beinahe über-
rannt. Ia, das waren noch Zeiten gewesen, als er sich sein
erstes Nad angeschafft hatte! Auf Abzahlung natürlich.
Zwanzig Mark hatte er an jedem Monatsersten bezahlt;
18 Monate lang hatte er pllnktlich und getreulich ein blankes
Goldstllck dahingegeben. Donnerwetter, wenn er die jetzt
noch hätte! Aber Kniebel kehrte lieber zu seinen Radfahrer-
erinnerungen zurllck. Ia, herrliche Fahrten hatte er gemacht.
Einmal zu Ostern, — aher nein, es war Pfingsten gewesen,
es war ja alles schon grlln und so furchrbar heiß gewesen
— da war er also nach dem berühmten Park von Wöilitz
gefahren und hatte sich alles genau angesehn. Auch im
Gotischen Lause die BUder von dem Maler mit dem merk-
wllrdigen Namen: Schnapphahn hieß er. Oder nein:
Snaphan, was aber schließlich dasselbe ist. Eine ganze Reihe
Prinzessinnen halte der Mann gemalt, darunter eine, die
die schöne Gabriele hieß. Kniebel hatte sie aber gar nicht
so schön gefunden. And wenn ein Maler, der eine Prinzessin
malt, sie nichr einmal besonders schön macht, — na, dann
muß es in Wirklichkeit mit der Schönheit gar nicht so groß-
artig sein. (Fortsetzung Seite 103)
— „Verdruß jehabt! Mein alter Lerr hat
mir leschrieben, ich sollte endlicv in mich jehn."
— „Na ja, das jchreibt so 'n alter Lerr
immer, wenn er selber außer sich is'."