Tine Zahnextraktton
bädern, die ihm allerdings auch bequemer waren und den
Schmerz auch wirklich linderten, aber immer nur, so lange
das Wasser im Munde noch nicht warm geworden war.
And so lag er nun im Bett und verbrauchte die Nacht llber
sechs Karaffen voll Wasser; den Spuckeimer mußte er ein-
mal leeren. Endlich dämmerte trübe und grau, wie immer
bei tragischen Begebnissen, der Morgen, und allmählich nahte
auch die Zeit, wo die Aerzte und Zahnärzte nicht mehr die
Nachttaxe verlangen dürfen. Daraus hatte Kniebel gewar-
tet, sehnsüchtig geharrt, ja gelauert. Gleich um die Ecke
wohnte ein gewisser Zahnarzt Storch. Wohl viele tausende
Male schon hatte Kniebel sein Schild gesehn, ohne besürch-
tet zu haben, daß er von der damit ausgedrückten Einla-
dung einmal Gebrauch machen würde. Er kannte den Mann
nicht, aber das machte nichts, — so viel, wie zum Zahnaus-
reißen gehört, würde er jedenfalls können. And das sollte
er besorgen. Kniebel war entschlossen, die Zahnruine be-
seitigen zu lassen. Nützen konnte sie ihm doch nicht mehr
viel, — wozu sollte er also womöglich tagelang Schmerzen
leiden und dann am Ende gar eine Eiterung, eine Zahn-
fistel oder dergleichen kriegen. Man muß ein Aebel immer
im Keim ersticken, und nicht, wie die Staatsmänner das so
oft machen, es wachsen lassen, bis unabsehbare Folgen dar-
aus entstehen.
„Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Ge-
sunde nicht." Zahnarzt Storch schien grade ganz außeror-
dentlich gesund zu sein, denn er machte nicht nur kein mit-
leidsvolles, sondern sogar ein sehr vergnügtes Gesicht, als
er Kniebel mit seinen vom Leid durchfurchten Zügen er-
blickte. Beinahe unpassend vergnügt aber wurde er, als er
in Kniebels Mund hineinsah. „O, da ist allerdings sehr
viel vernachlässigt; ja, da muß eine ganze Menge in Ord-
nung gebracht werden."
Vielleicht, ja wahrscheinlich keimten in Zahnarzt Storch
bedeutende Loffnungen. Aber Kniebel zerstörte sie sofort.
„Nein, bitte, Äerr Doktor: nur um den einen Zahn handelt
es sich, — den hintersten auf der linken Seite. Der muß
'raus! Auf alles andere kann ich mich jetzt nicht einlassen;
das würde grade nicht mit meinen sonstigen Dispositionen
zusammenpassen. Aber später, ja später!"
„Ach so!" sagte Zahnarzt Storch nicht mehr so vergnügt.
Was das „Später" zu bedeuten hatte, wußte er schon. „Sehen
wir einmal zu!" And dann haute er mit irgend einem me-
tallenen Instrument auf den Zahn. Er nahm aber natür-
lich keinen Schlüssel wie Kniebel, sondern ein zu seiner Pra-
xis gehörendes Gerät. Kniebel brüllte, — sogar mehr, als
eigentlich nötig war. Die meisten Patienten brüllen beim
Zahnarzt ewas mehr, als eigentlich nötig ist.
„Ia, da hätten wir also eine Periodontitis", erklärte
Zahnarzt Storch. „Eiterung ist noch nicht da, würde aber
unfehlbar eintreten, wenn wir den Zahn nicht entfernen.
Ich rate unbedingt zur sofortigen Extraktion."
„Und die kostet?" erkundigte sich Kniebel. Bisher hatte
er an diese Seite der Angelegenheit vor Schmerzen noch
gar nicht gedacht, aber jetzt drängte stch ihm die Notwen-
digkeit dieser Frage doch auf.
„3 Mark," sagte Zahnarzt Storch freundlich.
„Donnerwetter!" Kniebel wäre wieder von dem Opera-
tionsstuhl heruntergeklettert, wenn ihm Zahnarzt Storch
vorhin mit dem metallenen Instrument nicht doch recht kräf-
tig auf den Zahn gehauen hälte, so daß die Schmerzen jetzt
ganz niederträchtig waren. Er ergab sich. „Na schön. Aber
das Ausziehen selbst ist doch schmerzlos? Sie nehmen doch
Kokain, Lerr Doktor?"
Zahnarzt Storch zuckte bedauernd — dies war das erste
Bedauern, das er zeigte — die Achseln. „Eine schmerzlose
Extraktion wird mit 6 Mark berechnet."
Kniebel überlegte einen Augenblick. Das Lerausreißen
eines Zahnes, eines Backenzahnes ist ja etwas Furchtbares
— für den Besitzer des Zahnes natürlich — aber immerhin:
er mußte rechnen, sogar sehr genau rechnen, er mußte sich
viele Entbehrungen auferlegen-ach was, die Geschichte
dauerte ja nur einen Augenblick. Er ließ sie über sich er-
gehn, und dann hatte er doch wenigstens 3 Mark gespart.
„Neißen Sie aus, Lerr Doktor, — ohne Kokain!"
„Ganz nach Belieben. Sie brauchen keine Furcht zu
haben, es ist sofort geschehen." Zahnarzt Storch suchte
unter seinen Instrumenten. Kniebel fand, daß er ein biß-
chen zu sehr dabei klapperte; das war ein so unangenehmes
Geräusch. Er klammerte sich mit beiden Länden an den
Lehnen des Operationsstuhls fest, kniff die Augen zusam-
men, riß den Mund recht weit auf, bemühte sich, an gar
nichts zu denken-und dann brachen alle Leiden der Welt
auf sein Laupt herein. O, wenn er das sich vorher so recht
vorgestellt hätte, — all sein bares Geld hätte er doch lieber
für eine tüchtige Kokaineinspritzung hingegeben! —
Eine Minute später konstatierte Zahnarzt Storch be-
dauernd, und dies war das zweite Bedauern, das er zeigte:
„Der Zahn war bereits sehr brllchig. Die Krone ift
-.- -.-_—. —- ______-.., _... -....
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bädern, die ihm allerdings auch bequemer waren und den
Schmerz auch wirklich linderten, aber immer nur, so lange
das Wasser im Munde noch nicht warm geworden war.
And so lag er nun im Bett und verbrauchte die Nacht llber
sechs Karaffen voll Wasser; den Spuckeimer mußte er ein-
mal leeren. Endlich dämmerte trübe und grau, wie immer
bei tragischen Begebnissen, der Morgen, und allmählich nahte
auch die Zeit, wo die Aerzte und Zahnärzte nicht mehr die
Nachttaxe verlangen dürfen. Daraus hatte Kniebel gewar-
tet, sehnsüchtig geharrt, ja gelauert. Gleich um die Ecke
wohnte ein gewisser Zahnarzt Storch. Wohl viele tausende
Male schon hatte Kniebel sein Schild gesehn, ohne besürch-
tet zu haben, daß er von der damit ausgedrückten Einla-
dung einmal Gebrauch machen würde. Er kannte den Mann
nicht, aber das machte nichts, — so viel, wie zum Zahnaus-
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er besorgen. Kniebel war entschlossen, die Zahnruine be-
seitigen zu lassen. Nützen konnte sie ihm doch nicht mehr
viel, — wozu sollte er also womöglich tagelang Schmerzen
leiden und dann am Ende gar eine Eiterung, eine Zahn-
fistel oder dergleichen kriegen. Man muß ein Aebel immer
im Keim ersticken, und nicht, wie die Staatsmänner das so
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aus entstehen.
„Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Ge-
sunde nicht." Zahnarzt Storch schien grade ganz außeror-
dentlich gesund zu sein, denn er machte nicht nur kein mit-
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er Kniebel mit seinen vom Leid durchfurchten Zügen er-
blickte. Beinahe unpassend vergnügt aber wurde er, als er
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