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Meggendorfer-Blätter — 55.1903 (Nr. 667-679)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16705#0051
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Zeitschrift für Humor und Aunft



Braut, sondern nur ein Mesen, das mich mit seiner Schneiderin
verwechselte. Ich habe fünf Toiletten niit etwa zwanzig varia-
tionen daraufhin beurteilen inüssen, ob sie in dieser oder jener
Form kleidsamer sind. Das heißh ich saß eine halbe Stunde
nn Salon und wartete geduldig bis Berta erscheinen würde.
Dann kam sie, verschwand nach drei Mnuten in ihrem Zimmer
und tauchte nach einer jdause von fünfundzwanzig Minuten
wieder in einein neuen Gewand auf. Sehr amüsantes Spieh
^asl Ljat eine Woche gedauert. Sieben verlorene Abende!

5eit acht Tagen habe ich keinen Auß erhalten. Angeblich,
weil man nicht wissen konnte, ob nicht Aatarrh in mir steckte,
i'on ich auf sie übertragen konnte, wodurch sie am Singen ge-
hindert worden wäre. Diese Anordnung ist ein Geschenk Deiner
verehrten Frau Gemahlin gewesen — so was brütet in der
Regel auch nur einc Schwiegermutter aus. Ich hätte Berta,
obwohl ich so gesund bin, wie ein Fisch, anstecken können. Der
kjcrr Professor aber, der wie ein krankes Nilxferd husteh der
durfte jeden Tag in ihrer Nähe, ich betone, in ihrer nächsten
Nähe verweilen. Dieser lferr, ich habe wunderbare Ghren,
durfte ihr, wenn er vorm Rlavier saß nnd sie sich über ihn
herabbeugte, süße, fade Schmeicheleien ins Bhr tuscheln, und
uls ich niir erlaubte, Deine werte Frau Gemahlin darauf auf-
werksam zu machen, da lächelte sie init der ihr eigenen Ueber-
legenheit und sagte, ich sei ein allerliebster, eifersüchtiger Schäker.

Nur der große Respekt, den ich vor dem zarteren Geschlecht
auch dann nicht vergesfe, wenn es, wie Deine teure Gattin, die
ersten Iugendjahre hinter sich hat, verhinderte mich, ihr diese
holde Redensart heimzuzahlen. Der lferr jdrofessor fteht übrigens
seitdem auf meiner Sxeisekarte, ich warte nur, bis er sich so-
weit erholt hat, daß er einen Säbel halten kann."

„Gho, sei so gutl Der profesfor ist der harmloseste Mensch
auf Gottes Lrdbodenl"

„Was," rief Müller, „harmlos? Der harmlos? Na, mein
Derehrtester, das ist ein ganz gerissener Süßholzrasxler, ein
gefährliches Individuum sag' ich Dir, so ein Schleicher und
öchmeichler, so ein Dhrwürmchen . . . und wenn es inich drei
Iahre Festung kostet l"

„lhm, hm, Du scheinst nicht übel geladen zu sein. Natürlich,
ohne Dir nahe treten zu wollen. Sonst bindest Du am Lnde
auch noch mit mir an."

„bfab' die Güte und nimm das, was ich Dir sage für
meinen blutigen Lrnst. Also jetzt kam die herrliche Soiree von
vorgestern. Da habt ihr inir cine Rolle zugemutet, die geradezu
lächerlich war. Ich habe in ineinem ganzen Leben das Gefühl
der absoluten Nichtigkeit noch niemals auch nur in einem an-
nähernden Grade so stark gekostet, wie an diesem unseligen
Abend. Daß Berta den Mittelxunkt der Gesellschaft bildete,
um den sich alles drehte — gut, das ist in der Grdnung. Daß
die versammelten blond- oder schwarzgelockten Lieblinge der
Musik ihr mehr oder minder geschmackvolle bjuldigungen an-
gedeihen ließen, sie umtänzelten und umschwänzelten wie
Lchmetterlinge eine Flamme, gut, darüber will ich auch noch
nichts sagen, obwohl ich ihnen ganz gerne die Flügel aus-
gerissen hätte. Und daß sich gar niemand um mich kümmerte,
nun das hätt' ich auch ziemlich leicht ertragen. Ich wäre ruhig
und ergeben in meinem NAnkel hocken geblieben und hätte den
dummen Aerl gespielt, aber daß Deine verehrte Ehehälfte, als
sie so ein musikalischer Säugling fragte, ob ihre Tochter verlobt
sei, mit dem Finger über die Achsel deutete und flötete i ja, der
da hinten, das ist ihr Bräutigam, das werde ich so wenig
vergessen, wie den niitleidigen Blick, den mir der Alavier-
zerschmetterer widmete. Wohlverstanden, nicht Mitlcid mit mir,
so wie etwa eingesieischte Iunggesellen einen bedauern, der
heiratet, sondern Mitleid mit meiner Iämmerlichkeit — ein
Blick in die Zukunft war dasl Gh, daß ich ihn erwürgen

hätte dürfen oder wenigstens vor Gericht stellen — den Blick
natürlich l Lin anderer, der Schilcher, Oiolinist seines Ieichens,
der all sein Leid und lVeh auf den vier Schafdärmen in die
Welt wimmert, hat die Gnade, sich meiner zu erinnern und mich
durch eine Ansxrache auszuzeichnen. „Spielen Sie auch Alavier,
Ljerr Amtsrichter?" fragte mich der Iüngling und wendete sich
ganz gekränkt von mir ab, als ich ihm entgegnete, ob er dcr
kferr sei, der sich voriges Iahr in der Isar ertränkt habe.

Der infame Bursche weiß sehr gut, daß ich so viel von Musik
verstehe wie er. Und der bjerr Aapellmeister Zitzler, der radi-
kalsten einer, der Richard Wagner überwundon hat und den
Nibelungenring eine von lherrschaften abgelegte Bffenbachiade
nennt, dieser tferos hat mich darauf aufmerksam zu machen
geruht, daß Aarl Maria von lVeber eine Gper komponiert habe,
der Freischütz betitelt, deren neue Inszenierung mir sicherlich
gefallen würde. Ich habe ihm zum Dank mitgeteilt, daß Friedrich
der Große sehr schwer erkrankt sei und demnächst sterben
werde.

All diesen musikalischen lhochmut und das ganze geschwollene
Bonzentum habe ich geduldig schlucken müssen und habe nicht
aufzumucken gewagt, weil ich mit Schrecken wahrnahm, daß
Berta vor einem geladenen Publikum viel schlechter sang, als
sonst. Ich hab mir's gleich so vorgestellt, daß ihre Natur nicht
für die Geffentlichkeit geschaffen wäre. Dazu ist sie zu weich,
zu feinfühlig. Aber Deine verehrte Gattin hat entschieden,
Berta hat eine hübsche Stimme, Berta hat für teures Geld
singen gelernt, Berta muß — es rast der See und will
sein Gxfer haben — in einem Iliuseumskonzert auftreten.
Und ich, als ich sie an jenem schönen Abend hörte, wußte,
meine liebe Berta wird mit jdauken und Trompeten, oder richtiger
mit Alavierbegleitung durchfallen. Und um das nach Aräften,
wie wir sagen, „hintanzuhalten," also aus purer Gutmütigkeit
habe ich dio größte Dummheit meines Lebens begangen. Ich
lasse mir gestern den ganzen Tag freigebon, nehme einen lvagen
und fahre bei sämtlichen Rezensenten vor. Antichambriere bei
jedem cine halbe Stunde lang und bitte und bettle diese gnädigen
kjerren, sie möchten gütigst berücksichtigen, daß meine Braut eine
Dilettantin sei, daß es ja nur eine kleine Probe sein sollte,
dieses Aonzert, und was man halt da alles redet, um diesen
kjoheiten das Gist zu schwächen.

Mein Lieber, Du ahnst es nicht, was ich da alles zu hörcn
bekain. Der Doktor Schleifimwald hatte die Güte, mich ruhig
ausreden zu lassen. Das war der Ldelste von allen. Lr bot
mir sogar einen Sitz an. Damit war aber seine Menschlichkeit
erschöxft, und er begann, nachdem er mir nicht undeutlich zu
verstehen gegeben hatte, daß ich als Beamter von der Aunst
jedenfalls einen äußerst mangelhaften Begriff habe, mir einen
höchst lehrreichen vortrag über diesen Gegenstand zu halten,
der darin gixfelte, daß er mir den Rat erteilte, diese schwierige
Sache den Berufsmenschen zu überlassen und morgen lieber das
Aonzert abzusagen, als ihn in die unangenehme Lage zu ver-
setzen, mich scharf zerxflücken zu müssen.

Als ich ihn mit der Sanftheit eines Lngels darauf auf-
merksam machte, daß es sich ja gar nicht um mich, sondern um
meine Braut handle, griff er sich seufzend an die Stirne, sxrang
auf, eilte zum Flügel und spielte einige Takte, worauf er ein
Notenpaxier nahm und hastig zu schreiben anfing. Dann erhob
er sich wieder und verabschiedete mich mit den lVorten: „Ich
danke Ihnen herzlich für Ihren Besuch, es ist mir unterdessen
ein herrliches Motiv eingefallen; ich werde es zu einem Trauer-
marsch verwenden." Ich wollte ihn fragen, ob ich ihm nicht
Prosxekte von Nervenheilanstalten schicken dürfte, zog es aber
des lieben Friedens halber vor, schweigend mich zu entfernen.

Der Zweite, ein gewisserSchneider, machte schon viel weniger
Umstände. Lr unterbrach mich im schroffsten Ton, schrie mich
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