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Meggendorfer-Blätter — 55.1903 (Nr. 667-679)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16705#0145
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Aeitschrift für Humor und Aunft


Äie IZriestasche.

weihnachtsgeschichtc von Max Hartnng.

er 2-^. Dezember hatte viel
Schnee gebracht — das echte
Weihnachtswetter. Die Flok-
ken wirbelten in wildem
Tanze an dem kleinen Fen-
ster vorüber, an dem ein
hübscher dunkler tkiädchen-
kopf über eine Stickerei-
arbeit gebeugt war.

Der Tag begann schon in Dämmerung
überzugehen, und diese zwang die fleißige
Arbeiterin, die Lamxe anzuzünden.

kfedwig Andorf war eine Waise,
welche für ein großes Taxisserie-GeschLft
arbeitete. Auch heute mußte fie noch emsig die Nadel führen,
denn die Brieftasche, in die sie mit Goldfäden ein ttlonogramm
einstickte, sollte spätestens um 6 Uhr abgeliefert werden.

Endlich war sie mit ihrer Arbeit fertig. 5ie warf einen
Blick auf die Uhr. Schon '/2S Uhrl

Schnell zog sie ihren Paletot an und setzte ihren tfut auf.
Dann schnürte ste die vollendete Arbeit mit anderen zu einem
Paket zusammen. Noch eine Schaufel Kohlen auf das herab-
gebrannte Dfenfeuer — und nun ging's eilig die Trexpe
hinunter.

Aus den Straßen hcrrschte ein
buntbewegtes Treiben. Tausende
von Menschen drängten mit pake-
ten beladen frohgelaunt aneinander
vorüber.

Ls war emxfindlich kalt ge-
worden. Der festgetretene Schnee
bildete eine Liskruste, welcher die
Wege glatt und unsicher machte.

Als lfedwig Andorf aus dem
bfause heraustrat, glitt fie aus;
aber fie kam nicht zu Fall, nur das
paket entfiel ihrem Zlrme.

Sie hob es auf und eilte weiter.

Im Geschäfte von Me^er
L Lo., wo fie ihre Arbeiten abzu-
liefern hatte, nahm sie wahr, daß
ihr die Brieftasche fehlte. Sie
mußte sie verloren haben.

Sie war zu Tode erschrocken
und lief den ganzen tVeg zurück,
den sie gekommen war. Aber alles
Suchen war vergebens. Die Brief-
tasche blieb verschwunden.

Der Thef der Firma Meyer
Ld Lo. ward sehr böse, als er von
dem Verluste hörte. Er hatte einer
seiner besten Aundinnen die Ab-

lieferung der Stickerci zum heiligen Abend bestimmt zugesagt
und konnte nun sein versprechen nicht halten.

Lr schalt auf das MLdchen los und hieß sie, sogleich zur
Bestellerin zu gehen und sich selbst bei dieser zu entschuldigen.

Auch dort wurde sie mit Schmähreden überhäuft. Ls hatte
wenig gefehlt, und sie wäre von der zornigen Dame in der auf-
fallenden Uleidung geschlagen worden.

lsedwig kehrte weinend nach ksause zurück. Tränen am

heiligen Abend I Und so allein und verlassen in ihrem engen
Zimmer l Nieinand, dem sie hätte ihr bserz ausschütten und
der ihr hätte ein Mort des Trostes sagen könnenl

Da hörte sie plötzlich eine Türe gehen, und eine männliche
Stimme rief im vorsaale: „Frau Bäumel! — Frau Bäumell"

Das war der neue Zimmerherr, der berühmte Geiger Peter
Zöfel, welcher nach vorn heraus wohnte. Was mochte er von
der Wirtin wollen? vielleicht konnte sie ihm helfen.

Sie öffnete ihre Tür ein wenig und sagte:

„Entschuldigen Sie — Frau Bäumel ist bei ihrer Schwester
zur Bescherung und kommt heute wohl sxät nach ksausel"

„G je, das ist fatal!"

„Aann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?"

„Das käme darauf an," entgegnete er zögernd.

„wer sind Sie denn, Aleine? Lassen Sie sich doch einmal
sehen l" Mit diesen Worten trat er vor ksedwigs Tür, stutzte
aber, als er das feine Aöpfchen zwischen der hell erleuchteten
Türsxalte gewahrte, und fuhr nach einer verbeugung fort:
„verzeihung — ich wußte nicht — wer — das kann ich Ihnen
nicht zumnten." —

„Was ist es denn?" fragte sie ermunternd.

„Ich hatte vor, den Lhristabend in einer mir befreundeten
Familie zu verleben. Daraus ist aber nichts geworden, und

nun komme ich nach ksause, um
hier zu bleiben, und finde das
Zimmer kalt." —

„Nun, dem läßt sich abhelfen,"
versetzte ksedwig, „ich habe Kohlen
genug zur ksand und werde Jhnen
in Ihrem Dfen gleich ein tüchtiges
Leuer anmachen."

„Wirklich? Nun, das wäre
sehr liebenswürdig von Ihnen,
wenn Sie das tun wollten. Aber
darf ich denn auch eine solche ksilfe-
leistung von Ihnen annehmen?"
ksedwig erwiderte nichts darauf.
Sie ergriff einfach die Aohlen-
schaufel, entnahm ihrem Dfen einen
hellen Brand und trug ihn hinüber
in des Aünstlers Gfen, in dem
bald ein lustiges Feuer prasselte.

lsedwigs Arbeit war getan.
Sie wünschte Zöfel einen „fröh-
lichen Weihnachtsabend" und wollte
sich wieder entfernen.

„ksaben Sie es denn gar so
eilig, Fräulein?" fragte Zöfel.
„Sie haben mir einen großen Dienst
erwiesen und müssen sich nun auch
meinen Dank gefallen lassen."

Lr reichte ihr die ksand hin,
die sie flüchtig berührte. Dann fuhr er fort:

„So einsam am Lhristabend? Auch ich bin so alleinl
Wollen wir den Abend nicht vereint feiern?"

„Das geht doch nicht an!"

„Aber warum denn nicht?"

„Das dürfen Sie nicht denken von mir l" hauchte sie vor-
wurfsvoll und wandte sich errötend ab.

„Nun, nun l Seien Sie mir nur nicht böse l Ich verlange
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Die Brieftasche
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hlavaty, Franz
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Winter
Frau
Mann
Tür
Bewohnte Initiale
Sticken
Fenster

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 55.1903, Nr. 678, S. 141
 
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