Haltnanns erfter Jour
Uon Franz Xaver Kappus
Herr und Frau Oberftleutnant Haimann galten
in der 6arnifon als Kuriofitäten. Nein 6ott,
fie waren ja nette, liebe Leute, aber ihre Spar-
famheit — ihre Sparfamheit ging einfach über
die Hutfchnur. Don ihm erzählte man, daß er
zum Frühftüchskaffee Kommißbrot aß und feine
Hofen viermal wenden ließ, ehe er fie aus-
rangierte, — fie wieder lief im Haufe in rot-
baumwollenen Strümpfen herum und fdiwärmte
für ftreng vegetarifchelebensweife — wenigftens
foweit das Dienftmädchen in Betracht harn. ®
Kein Nenfch konnte fagen, was die zwei inner-
halb ihrer vier Wände eigentlich trieben. Kam
einmal jemand zu Befudi, fo hatte die ßnädige
regelmäßig „ihre tlerven“, und der Herr Oberft-
leutnant empfing den 6aft mit breiter Gemüt-
lichkeit, plauderte eine Diertelftunde mit ihm
und verfidrerte ein über das andere Nal, daß
er weder rauche noch trinke und höchftens mit
einem ßläsdien felbftbereiteten Likörs aufwarten
könne. Der felbftbereitete Likör war das Stich-
wort, auf das bisher noch jeder die Flucht
ergriff, denn das dunkelgrüne ßebräu war
gefürchtet wie die afiatifche Lholera. flicht ein-
mal der Nagen eines profeffionellen Schwert-
fdiluckers hätte dem widerftehen können. (Q
Und das föllte nun alles anders werden. ®
Dor kurzem hatte das Regiment einen neuen
Kommandanten gekriegt, einen gefchmeidigen,
aalglatten Herrn, der feinen Offizieren mit den
unerhörteften Zumutungen kam.
„Neine Herren,“ hatte er in feiner Rntrittsrede
getagt, „die Stellung des Offiziers erfordert
nicht nur die Erfüllung dienlicher, fondern auch
gefellfchaftlidier Pflichten. Wir alle gehören
einer großen Familie an, und nichts ift natür-
licher, als daß die Nitglieder diefer Familie
auch in privater Beziehung in inniger Fühlung
miteinander leben. Ich werde es unter keinen
Umftänden dulden, daß einzelne in auffälliger
Weife fich von den anderen abfondern und ein
mehr oder weniger unkontrollierbares Dafein
unter der Oberfläche führen. Befonders von
den verheirateten Herren erwarte ich, daß fie
der Kameradschaft nunmehr eine intensivere
Pflege zuteil werden laffen, als dies bisher der
Fall gewefen zu fein Scheint.“ ($£)
Rn diefem Tage wankte Haimann als ein gebroche-
ner Nann nach HauSe und verfluchte im Stillen die
Stunde, in der er mit gnadenweifer Hachficht der
Kaution geheiratet hatte. Rn diefem Tage bekam
auch feine öattin die erfte echte Nigräne. (£)
Der Herr Oberft aber hatte nicht umfonit ge-
sprochen.
Schon nach einer Woche regnete es Einladungen
zu Jours und gefelligen Rbenden in Schwerer
Nenge. Ein paar Stabsoffiziere begannen damit,
und die anderen folgten in angemeffenen Rb-
ftänden. Dem Regimentskommandanten mußte
man feinen Willen tun, das war ja klar, und
fo fügte fich eben jeder ins Unvermeidliche. (£)
Tlur einer — Haimann — fügte fich nicht. Und
ob die Kameraden auch täglich eine Einladung
von feiner Seite erwarteten: er blieb der Rite
und mied auch weiterhin hartnäckig jede 6e-
felligkeit. ®
Eines Tages — der Oberft hatte das Einfiedler-
paar längft in Rcht und Bann getan — ge-
fchah das Unglaubliche dennoch: Haimanns
kündigten ihren erften Jour an. ®
Und mit einem Nale geftaltete Sich das bevor-
ftehende Ereignis zu einer kleinen Senfation.
In der Neffe fprach man darüber, und auf dem
Korfo gab es kein anderes Thema. (&
„Oberftleutnant Haimann — und Jour!“ mek-
kerten die jungen Leutnants, „das ift einfach
zum Brüllen!“ — „Dem Pärchen werden wir kor-
porativ die Bude ftürmen,“ meinten andere,
und wieder andere fügten boshaft hinzu: „Flur
müffen wir uns reichlich mit Proviant verfehen,
damit wir nicht verhungern.“