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0-L0-P2-0-O-0^ ZeitschrifL für Humor und Kunst <X>00-0-0<


Dcr kleinste Gentleman

allem andern stehende Größe hatte, war der Kopf. Die
Tanten und andere alte Weiber trösteten: „Das wird sich
schon noch geben. Er wächst eben langsam heran. Das
ist viel besser, als wenn sich die Natur zu schnell ausgibt."
Solchen Besürchtungen, daß die Natur sich ausgibt, kann
man oft begegnen; sie siud aber unsinnig und zeugen von
unbegriindetem Mißtrauen gegen die Solidität der Natur.

Erst nach dem vierten Lebensjahre fing Arthur — das
war sein Nufname — zu laufen an. Oder eigentlich war es
mehr ein schwächliches Watscheln. Nach dem zwölften Iahre
maß er sünfundsiebzig und nach dem sechzehnten fünsund-
neunzig Zentimeter. Dabei blieb es. Als er zur Kon-
firmation in die Kirche gekommen war, hatte der Küster
gesagt: „§>allo, wir haben doch heute keine Taufel" Das
sollte natürlich ein Witz sein, denn der Küster kannte ja
Arthur Taudien so gut wie die
ganze übrige Stadt. Die Schule
hatte man dem Iungen erspart.

Der Nektor selbst hatte ihn
privatim unterrichtet, gegen ein
Geringes, mehr um seine päda-
gogischen Talente an einem so
merkwürdigen Objekt zu er-
proben und in das rechte Licht
zu setzen. Wenn er sich nachher
rühmte, datz sein Schüler vor-
trefflich lesen und rechnen ge-
lernt hätte und auch einen an-
ständigen kleinen Aufsatz, nicht
ohue Forschheit uild gewissen
Witz, zu schreiben wüßte, wenn
der Lerr Nektor dies Erreichte
als etwas ganz Außerordent-
liches hinstellte, so tat er sich
damit zu viel Ehre an. Denn
Arthur Taudien war gar nicht
ein so übermäßig schwieriges
Ausbildungsobjekt gewesen. Er
war ein ganz v erständiger Zwerg.

Ia,aberebenleider einZwerg.

And was sollte nun aus ihm
werden? Mit des Vaters gut
gehender Bäckerei war ihm ja
eigentlich ein prächtiger Platz
in der Welt bereitet, aber er
war eben ein wenig zu klein
geraten, als daß er diescn Platz
genügend hätte aussüllen können.

Denn das Bäckerhandwerk ist,
wie man von allen Bäckern
hören kann, ein sehr aufreibcnder
Verus. And an Arthur Taudien
wardoch nichtso viel aufzureiben;
es wäre ja nichts von ihm übrig
geblieben. Man überlegte, wel-
chen Erwerbszweig er denn sonst
wohl mit seinen kleinen Länden
ergreisen könnte, riet hin und
her, zerbrach fich den Kopf, —
und wurde mit einem Male
aller Schwierigkeiten enthoben,
als das reisende Varietötheater
des Äerrn Direktor Odersweiler-
Oderill nach Müskenburg kam

und im Saale des Schützenhauses einige Vorstellungen gab.
Äerr Direktor Odersweiler-Oderill bekam Arthur Taudien,
den Zwerg von Müskenburg, zu Gesicht und fand, daß es
ein nützlicher und verwendbarer Zwerg wäre. Er ging zu
Taudien senior und setzte ihm auseinander, daß es das
beste wäre, wenn sein Sohn sich dem ausgezeichneten Unter-
nehmen der Direktion Odersweiler-Oderill anschlöße. Denn
hätte ihn die Natur, die gütig für alle ihre Geschöpfe sorgt,
durch seiue vortreffliche Kleinheit nicht ganz klar darauf
hingewiesen, daß er eine Größe des Varietö werden müßte?
Aebrigens: Geld könnte er verdienen, viel, viel Geld!

Dieser letzte Linweis überzeugte Bäckermeifter Taudien.
Trotz der Tränen seiner Frau, für die ihr kleiner Arthur
immer noch ein sorglich zu hütendes Baby war, sagte er
ja und nahm die sünfzig Mark, die ihm Direktor Oders-
weiler-Oderill verlockend als Arthurs erste Monatsgage

überreichte. Späterhin sollte es
natürlich mehr sein, selbstver-
ständlich viel mehr. !lnd dann,
am 23. September 1892, verließ
Arthur Taudien Müskenburg,
seine Vaterstadt, die ihn, wenn
auch nur in bescheidenem Maße,
hatte heranwachsen sehen, und
die er nun ihrer größten Merk-
würdigkeit beraubte. Äerr
Direktor Odersweiler-Oderill
wollte das neue Mitglied seiner
Truppe auf ein Kinderbillett
sahren laffcn. Aber das glückte
ihm nicht. O nein, die Bahn-
beamten in Müskenburg kannten
Arthur Taudien genau; sie
wußteu, daß er eben über sech-
zehn Iahre alt war.

Direktor Odersweiler-Oderill
bereiste, größere Städte mit
allzu verwöhnten Ansprüchen
vermeidend, das ganze deutsche
Vaterland. Drei Iahre nach
seinem Fortzug aus Müsken-
burg befand sich Arthur Taudien
mit der Truppe in Cleve. Ietzt
freilich hieß er Prinz Gregor.
Daruuter mochte das verehrte
Publiknm sich einen russischen
Fürsten vorstellen, — einen
Kleinrussen, scherzte Direktor
Odersweil-Oderill, der den Na-
men erfunden hatte. Prinz
Gregor hatte sich schnell in das
neue Leben hineingefunden,
Leimweh und Verlangen nach
der guten Mutter abgerechnet.
Angenehm empfand er es, daß
seine Zwerghaftigkeit in loh-
nende Funktion getreten war,
statt nur ein Gegenstand des
Angaffens und des Nachschreiens
der Gassenjungen zu sein. Er
hatte nicht viel zu lernen gehabt.
Ihm besondere Kunstsertigkciten
beizubringen, etwa einenZwerg-
akrobaten oder dergleichen aus

— „Sie wollen schon gehen, Äerr Lämmchen? In-
teresflert Sie der Ausstieg nicht?"

— „Das seh' ich in meiner Stammkneipe jede Woche:
wenn einer aufgeblasen ist, fliegt er."
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