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182 Meaaendorfer-Blätter, München

— „Im Winter bin ich siebzig Iahr, im Sommer aber, da bin ich achtzig,
damit unsere Sommergäst' merken wie gesund, daß es hier bei uns ist."

Der würdevolle Praktikant Von sans sollinger
Der Praktikant Stanglmeier war bereits siebenunddreißig
Iahre alt und hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Seine
Äaare zeigten schon verdächtig graue Fäden und sein mäch-

tiger Vollbart, den er nur aus Mangel an Nasier-
geld wuchern ließ, machte ihn noch älter als er war.

Als unbezahlter Praktikant konnte er nur
existieren, solange seine Geldmittel ausreichten.
Das war klar. Da diese aber in allernächster Zeit
zu Ende gingen, so mußte irgend etwas geschehen.
And darum schwur er eines Tages einen schauer-
lichen Eid, nicht eher zu rasten und zu ruhen, als
bis er das Anstellungsdekret in den Länden hielte.

Zunächst überreichte er dem Lerrn Personal-
referenten ein entsprechendes Gesuch. Doch dieser
ließ sich nur zu der Erklärung herbei, daß von
ihm selber gar nichts, sondern alles von der
Gestaltung der Verhältnisse abhinge. !lnd je
mehr Stanglmeier redete, desto verschleierter
wurden die Antworten des Lerrn Referenten.

Da war also nichts zu machen. Kurz ent-
schlossen ließ er sich bei Exzellenz, dem Ches der Ver-
waltung, selbst melden. Er gab dem im Vorzimmer
sihenden Diener seine Namenskarte, auf die er
aus gesellschaftlichen Gründen in den letzten sechs
Iahren seiner Praktikantenzeit keine Standesan-
gabe mehr drucken ließ, und bemerkte nur, daß er Ex-
zellenz in persönlicher Angelegenheit um Gehör bitte.

!lnd Exzellenz empfing ihn wirklich. „Labe
die Ehre, Lerr Stanglmeier!" begrüßte sie ihn
herablassend und beglückte ihn mit einem wohl-
wollenden Exzellenzenblick. „Wie ich aus der
Personalliste sehe, ist ein Lerr Stanglmeier als
Praktikant in unserer Verwaltungl" !lnd mit
einem teilnehmenden Blick auf seinen würdevollen
Besucher fuhr sie fort: „Ihr Lerr Sohn! Richt
wahr? Leider hat er eine so ungünstige Konkurs-
note, daß ich momentan gar nichts für ihn tun kann!"

Dem Praktikanten Stanglmeier war schon
vieles begegnet in seinem wechselreichen Leben.
Einmal wurde er sogar bei seiner Ankunft in einem
Provinzbahnhof mit einem regierenden Fürsten
verwechselt und mit Böllerschüssen, Blechmusik
und Iungfrauengesang empfangen, aber noch
niemals hatte ihn jemand für seinen eigenen
Vater gehalten. Er war so verblüfft darüber,
daß er im Augenblick keine Worte fand, um den
Irrtum aufzuklären. Als er endlich zu reden
anfing, stand er bereits im Vorzimmer und der
Diener reichte ihm teilnehmend ein Glas Wasser.

Nach zwei Tagen erst hatte er sich von diesem
Schlage wieder erholt. Nun beschloß er, zum
Personalreferenten zu wandern, um ihm sein
Unglück zu erzählen. Llber statt des gewohnten
freundlichen alten Lerrn trat ihm ein unheil-
drohender, eisenhart blickender Beamter entgegen:
„Lerr Prakti—kant! das trifft sich ja aus-
gezeichnet, daß Sie kommen. Ich habe nämlich
verschiedenes mit Ihnen zu sprechen! Sie scheinen
dem Grundsatze zu huldigen, daß der Zweck die
Mittel heilige? — In Ihrem letzten Anstellungs-
gesuch führen Sie auch an, daß Sie von zu Lause
keine slnterstützung mehr erhielten, da Ihr Lerr
Vater erst kurz — ha ha — gestorben sei. ünd wie
ich Exzellenz das Gesuch vorlege, sagt mir Exzellenz,
daß Ihr Lerr Vater soeben bei Exzellenz vor-
gesprochen habe! — Mir fehlen momentan die richtigen Aus-
drücke für Ihr Verhalten, aber das kann ich Ihnen jetzt schon
sagen, daß Sie auf diese Art und Weise gar nichts erreichen!"
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