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Zeitschrift für Humor und Kunst 247

Ironie — „Wegen uns zwei Passagieren wollen Sie den Zug ab-

gehen lassen, Äerr Stationsvorsteher? Warten Sie doch
wenigstens so lange, bis der dritte Mann zum Skat kommtl"

Der habgierige Eseltreiber

Von C. A. Lennig

Abdnl Lamanid, der große Kalist
ging an einem dämmerigen Abend mit
seinem Wesier Ali ben Kefir nach alther-
kvmmlicher Sitte durch die Straße» seiuer
Liauptstadt spazieren, um etwas zn
erleben.

Beide hohen Äerren hatten sich
natürlich uukenntlich gemacht, und damit
ihr Znkognito ja gesichert sei, sprachen
sie auch die Sprache des gewöhnliche»

Volkes.

So sehr sie aber auch spähten und
aufmerkten und sich unter die drängenden,
schreieuden und feilschenden Gruppen vor
den Basaren uud in dcn Karawansereien
mischten, so wenig wollte sich etwas
ereignen, was ihrer besonderen Aus-
merksamkeit würdig gewesen wäre.

„Es ist rein wie verhext", brummte
der Kalis, „nix rührt sich."

„Nein, es rührt sich nix", pflichtete
der Wesier bei.

„Sollte es denn wirklich möglich
sein", uahm Abdul .Hamanid wieder das
Wort, „daß in ciner so großen und
lebhasten Stadt eiu Tag vergehen kann,
ohne daß eine gute oder strafwürdige
Tat geschieht?"

„Es scheint so, Lerr der vierund-
zwanzig goldencn Sonnenschirme und
Besitzer von elftausend seidenen Pan-
toffeln", erwiderte Ali bcn Kefir.

Aber sein Gebieter fuhr ihn barsch an.

„Laß dein Dummes: es scheint so,
es scheint so, und kümmere dich jetzt
nicht um meine Sounenschirme und
Pantoffeln. Es hat nicht so zu scheinen,
und ich will etwas erleben, verstehst du!"

Der Wesier verstand recht gut, und
so sagte er: „Schaun ma halt!"

Das gefiel dem Kalifen, und so
schauten sie.

Und wie sie so Llmschau hielten,
gewahrten sie in der Ferne eine Lütte,
i» der ein Licht schimmerte.

„Wenn uns nichts absonderliches
entgegenkommt", sagte der Kalif, „so
wollen wir es aufsuchen. Siehst du die Äütte dort, Ali
ben Kefir?"

„Iawohl, löerr!" gab der Wesier zurück.

„Nun gut, mein Freund. In diese Lütte wollen wir
eintreten und K>erz und Nieren ihres Besitzers prüsen.
Wir geben uns für ein paar verirrte Wandercr aus u»d
bitten ihn uin etwas zu essen!"

„Das ist eine gescheite Idee, Lerr", erwiderte Ali ben
Kesir, „denn ich habe einen ganz verwünschten Lunger und
Schlaf krieg ich allmählich auch bald."

„Ra also", antwortete der Kalif.

!lnd so schritten sie beide auf die Äütte zu.

In der Lütte aber wohnte Kassub, der Eseltreiber. Es
gab im ganzen osmanischen Neiche keinen Menschen, der
so selbstsüchtig nur sein eigenes Interesse im Auge hatte
und es mit einer so schmuhigen Gewinnsucht wahrte, wie

besagter Eseltreiber. Er war gerade dabei, ein Ziegen-
viertel, das er sich irgendwo ergaunert hatte, am Feuer zu
rösten, als er zusällig einen Blick zum Fenster hinauswars
und die beiden Münner schnurstracks auf sein Laus zu-
kommen sah.

„Die führt der Satan her", schrie er vor Zorm und
Angst. „Sie werden bei mir einkehren und mir mein
Ziegenviertel wegfressen."

Mit flackernden Blicken schaute er sich in der Stube
um, wo er es hätte verbergen können, aber in der Eile
fand er kein passendes Versteck, auch hätte sich dieses
durch den Geruch verraten. Da nahm er schnell entschlossen
den Braten vom Feuer und schlang davon hinuuter, was
nur der Magen immer zu sassen vermochte. „Lieber nicht
kauen, als nicht verdauen", gurgelte er, nahe daran, zu
platzen.
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