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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 20.1895 (Nr. 210-222)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16558#0067
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L'. e'g g e n d o rf e r s 1) u Nlo r istisch e Blätter.

59

Zm (öajlhaus.

fteUichl Sie werden ihn doch für kei>ie Ratze gehalten tzabeil?"
„Das nicht, aber für eine — Insektenfaininluntzl"

Der Schwiegersohn.

as war zuviell Gffenbarer kfohn nochl Der kfauptinann,
außer sich vor Zorn, war im Begriffe sich anf den
Aünstler zu werfen und Frau Iosephine Rüchlein stieß einen
Schrei aus, der eine kunstvolle Mischung von Zorn, Angst nnd
Liebe darstellte, als cherr Boll plötzlich erschien und chrieden
gebot. „Lferr Grösiler hat das Ziininer geinietet und darf dort
treiben, was ihin gutdünkt."

„Dann mag der chenker tsier wohnen, ich ziehe heut am
Tage ausl" donnerte der bsauxtinann.

„Zch ziehe mitl" rief Frau Iosephine aus, verbesserte sich
dann aber und sagte hocherrötend: „Ich ziehe auch ausl"

„Gehst Du zur Rechten, so geh' ich zur Linkcnl" fprach
cherr Tobias achtungsvoll.

Und fo geschah es. Nach zwei Tagen war die Etage geräumt
und Lserr Gröhler tummelte sein Instrument nach Herzenslust.

Das Ronzert hatte stattgefunden. Lferr Gröhler, der durch
ein s)osauiien-Solo die Gemüter und den ziemlich baufälligen
Ronzertsaal erfchüttert hatte, war mit rasendem Beifalle über-
schüttet worden. In der vordersten Reihe der Zuhörer saß
Eugenie, jeder Zoll ein Ghr; mit Wonne nahm sie die surcht-
baren Töne in sich aus. Ein Lorbeerkranz mit Schleife, den
sie am Schlusse warf, verfehlte leider sein Ziel, indem er —
anstatt von dem Rünstler ausgefangen zu werden — dessen
kreisartig aufgestellte Gehwerkzeuge als Durchgang benützte,
uin im Lsintergrunde zu verschwinden.

Boll und Töchterlein warteten auf Gröhler vor dem
Ronzerthause; sie hatten ihn, liebevoll aus seine Eigenart
eingehend, zu einem Abendessen eingeladen. Fräulein Lu-
genie konnte sich vor Entzücken nicht sasictt und utnarmte
und küßte in Lrmangelung eines Besiern ihren würdigen

vater unzählige male, was sür cherrn Boll, dxr nach dem
stundenlaiigen Ronzert eine andere Lrsrischung vorgezogen
hätte, wiederum nur ein sehr mäßiger Genuß war. Lndlich
erschien der Lrsehnte und nun ging es zu der elegantesten
weinrestauration. Eugenie hing sich zärtlich an Gröhlers Arm,
nachdem sie vorher ihre Glückwünsche dargebracht hatte. Ihr
cherz bebte in Erwartung der Dinge, die da kominen sollten.

Ein behagliches separiertes Zimmer mit reizend gedecktem
und blumengeschmücktem Tische empsing die Ankommenden.
Lald war die Abendunterhaltung in vollem Gange: kserr
Gröhler warf sich mit sreudigem Mute auf die Schüsseln und
jdlatten und cherr Boll, seinerseits auch kein Roftverachter,
begann einen edeln wettkampf mit ihm. Fräulein Lugenie
allein vermochte vor sreudiger Aufrcgung kaum einen Bissen
zu essen und nipxte nur zuweilen an einer Rotelette. Das
fiel selbst Lserrn Gröhler auf, der, als einen Augenblick seine
Rauwerkzeuge srei wurden, die Frage an sie richtete: „Aber
marum essen Sic denn gar nichts, Fräulein Eugenie?"

„GI" seufzte sie in einem wehmütigen Glücksgefühl und
zwei Thränen verließen gleichzeitig ihre Augen, „o! wenn
das lserz so voll von Freude ist, dann kann man doch an
materielle Genüsse nicht dcnken."

Lserr Gröhler schien nun diese edle Empfindung bei andern
ganz in der Grdnung zu finden, denn cr nickte der Dame ver-
ständnisinnig zu; sür sich selbst huldigte er indeß offenbar
andern sdrinzipien, indem er sich gleichzeitig sine vrächtige
Rehkeule vorlegte.

„Ial" suhr Fräulein Eugenie mit bebender Stimme fort,
„ich bin ^u glücklich iiber Ihren Lrsolg. Und es muß doch
auch sür Sie eine große Freude sein, cherr Gröhlerl"

„Ia sür mich auch. Und erst sür meine Zraul"

„Ihre — Ihrc — Frau?" Lugenie stammelte diese Frage
mit dem Ausdruck dcs höchsten Entsetzens. lherrn Boll, den
eben eine rulsige reizeude Zukunft mie ein sdhantom umgaukelte,
da er sich der Sorgen um sein launen- und ansxruchsvolles
Töchterchen enthoben sah, und der vor Freude über diese Aus-
sicht eben ein prachtvolles Gansbein in den Mund schob, blieb
dieses auf halbem wege steckcn. Aber obwohl Eugenie ihren
würdigen Lrzeuger in der Gefahr des Erstickens sah, eilte sie
ihm nicht zu Lsilfe, sondern richtete die wiederholte Frage an
Lserrn Gröhler:

„Ihre Frau — sagcn Sie?"

„Nun natürlichl" erwiderte dieser, sie mit seinen wasser-
blauen Augen anglotzend. „Soll sie sich etwa nicht freuen?"

„Und das haben Sie verschwiegen, mein Lserr?" sagte jetzt
Fräulein Eugenie, welche die Farbe oewechselt hatte, „wissen
Sie, wie man ein solches Betragen nennt?"

„Aber ich bitte Sie," Ljerrn Gröhler ward etwas ängstlich
zu lNute, denn es standen noch verschiedene Gerichte aus dem
Tische, „aber ich bitte Sie, Sie haben mich ja gar nicht gefragt?"

„Gefragt?" hohnlachte Lugenie, deren Teint allmählich
aus dem wachsweißen in das Grünliche zu schillern anfing,
„gefragt? Sie haben uns einsach beschwindelt, Lsirr Gröhler,
Sie haben mich betrogen, Sie — Sie —" und bei diesen
wortcn fiel sie wirklich um und gerade in die Arme ihres
vaters. Ls war cin Glück, daß Lsirr Boll den Ramxf mit
dem Gansbein siegreich durchgefochten hatte und nunmehr voll
seinen väterlichen Lsilichten sich widmen konnte. Lr fing sein
Töchterchen sanft auf, merkte er doch sofort, daß diese Ghn-
macht vor allen srüheren den vorzug der Echtheit besaß. Dann
aber fuhr er auf Lsirrn Gröhler los:

„Ia Sie haben uns betrogen, Sie haben mein armes Rind
— da sehen Sie — ich glaube, es ist ihr Tod l"

„Um Gotteswillen, ksirr Boll, Sie irrenl Fräulein Lugenie
 
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