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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 29.1897 (Nr. 327-339)

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Nr. 327
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https://doi.org/10.11588/diglit.28505#0013
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Bleggendorfers Humoristische Blätter.


der ihr und seinen: Freunde stets Billets zu den großen Künstler-
Veranstaltungen besorgte.
Nun endlich würde auch sie die Herrlichkeiten, deren Be-
schreibung sie so oft gelesen, mit genießen dürfen. Jenen: ge-
fälligen Freunde ihres Vetters war es geglückt noch drei
Billets zu beschaffen: sie durfte mit!
Es gab an: Tage des Künstler-Ausfluges in: Umkreise von
zehn Meilen kaum ein glücklicheres Wesen, als sie — als Adele.
Ihre langgehegten Wunsche sollten heute in Erfüllung
gehen. Unter den Menschen, deren Werke sie so oft bewunderte,
sollte sie heute weilen, ihre geistesvollen Gespräche hören.
Diese Künstler, die überall als Poesie erscheinen, wenn
den: Dichter die Prosa seiner Schöpfung zu dick wird, diese
Allerweltseroberer, in die sich in Italien die Herzoginnen und
Prinzessinnen nur so dutzendweise verlieben, sie wird sie heute
in der nächsten Bähe sehen können.
Alle die herrlichen Erzählungen, in denen der poesieumwobene
Bildhauer den Fürsten mit dreiundsechszig Ahnen aus dein Perzen
der Gräfin verdrängt und der allbegeisternde, sagenhaft schöne
Maler mit dem Sammetjaquet
und den: liebeglühenden Perzen
zwei perzoginnen in den Tod
jagt und dann — ein einfaches
Modell von der „spanischen
Treppe" heiratet, alle diese Er¬
zählungen schwirrten ihr in:
Köpfchen.
Adele war, trotzdem sie die
Selekta der höheren Töchter¬
schule erreichte, sogar Physik ge-
lernt hatte und Lhopinsche Noc-
turnen spielte, ein naives Kind
geblieben. Wie sich die Kinder
vorstellen, daß ein König mit
der Krone zu Bett' geht, so
glaubte sie, der Künstler habe
immer ein Knnstfeuilleton im
Munde.
Die Mutter Natur hatte sich bei Adelens Entwicklung
denScherz erlaubt, sie so ganz gegen die Art der Eltern werden
zu lassen.
Weder Papa noch Mama hatten Knnstbedürfnisse. Papa
hatte durch eine gute Arbeitslohnberechnung in der Knopf-
fabrikation ein großes vermögen erworben und Mama stammte
aus einer praktischen Gärtnerfamilie, die so klug gewesen war,
vor achtzig Jahren ein Grundstück für fünftausend Thaler zu er-
werben, das jetzt eine halbe Million wert ist. — Ja, mit Intelli-
genz und Fleiß kann inan es zu etwas bringen, wie das Mahn-
wort so hübsch lautet.
Weder Papa noch Mama hatten großes verlangen, den
Künstler-Ausflug nach Grünau mitzumachen, wollten aber dennoch
ihrer verzärtelten Adele die Freude nicht verderben.
So standen sie denn au: Tage des Ausfluges im fürchter-
lichsten Gedränge — Adelen zu Liebe — um auf den Fest-
dampfer zu gelangen.
Die Enge war kleider- und lebensgefährlich und das eine
über das andere Mal rief die geängstigte Maina den: Töchter-
lein zu: „Iieb man acht, daß et nich zn sehr verknautscht
wird." —
Das hellblaue Kleid nämlich, das Adele extra zu diesem
Vergnügen angezogen, stand ihrer schlanken Gestalt sehr
gut, das süße Kind wußte es. Das blaue Kleid wäre auch
wirklich sehr maltraitiert worden, wenn nicht ein junger Mann,
soweit es in seiner Macht stand, den Raum für Adele er-
weitert hätte.

Der junge Mann schien im Großstadttrsiben sich eine große
Geschicklichkeit angeeignet zu haben, in: Gedränge die Neben-
menschen dünner zu machen, denn in: Nu hatte er zwei Teil-
nehmer des Künstler-Ausfluges so zusammengepreßt, daß Adele
etwas freier aufatmen konnte. Sie sandte einen Blick des
Dankes zu den: Retter ihres Kleides empor, senkte ihn aber
bald zu Boden.
Welch glutvolle Augen hatte er und wie schön, wie genia-
lisch sah er aus! Wie eben nur Künstler aussehen können.
Der schwarze, breitränderige Schlapphut saß keck auf seinen:
interessanten, von einen: Vollbart umrahmten Kopf und die
Endei: eines wildgeschlungenen palstuches fielen malerisch auf
sein Iaquet. Er lüftete seinen Schlapphut und warf dabei
mit einer unnachahmlichen Bewegung das paar, das ihn: in
die Stirn fiel, zurück.
Alles so frei, so ungezwungen, so künstlerisch! Adele hätte
noch eine Stunde in dem Gedränge stehen mögen. Sie litt
durchaus nicht so darunter, wie Papa und Mann:, die sich gegen-
seitig vorwürfe machten, daß sie die zwei Dampfer, die schon
abgefahren seien, verpaßt hätten.
Papa fand die Ursache in
der Länge der Mahlzeit, die sie
vorher eingenommen und die in
dieser Ausdehnung gar nicht
nötig gewesen wäre und Mama
betonte den Umstand, daß man
in solchen Fällen immer „Droschke
erster Jüte" nehmen müsse. —
Sie hattcn's ja dazu.
Adele kau: die Sache gar
nicht so schlimm vor, sie faßte
sie von der poetischen Seite
auf, fand das Gedränge interes-
sant und als der Retter ihres
Kleides, ihr Nachbar mit den:
breitränderige:: Schlapphut sich
den Scherz nicht versagen konnte,
„ja die Künstler sind oft in einer gedrückten Lage", da ver-
meinte sie, eines Künstlergeistes gewaltigen pauch zu spüren.
— Wären der Postsekretär Müller und der Kaufmann Ratke,
mit denen ihr Papa einen Skat spielte, wohl jemals auf
einen so witzigen Einfall gekommen? Schwerlich!
Der junge Mann schien sich nun ganz als ihr «Tuvuliere
servunte» zu fühlen, er stellte sich höflicherweise sofort den
Eltern vor, mit jenen: Gemurmel, das man in der modernen
Gesellschaftswelt als Namensnennung zu accextieren über-
eingekommen. Der Name kam Adelen in jeden: Falle
berühmt vor.
Er mußte ein sehr bekannter Künstler sein. Da war kein
hervorragender Mann in der Gesellschaft auf den vier Ausflugs-
Dampfern (sie hatten inzwischen einen nut Mühe und Not
erklommen) von den: er nicht interessante Geschichtchen zu er-
zählen wußte. Ihn: schienen die Ateliergeheimnisse sämtlicher
Künstler vertrant.
Und wie zuvorkommend war er gegen seine Kollegen!
In wie glänzenden: Lichte zeigte sich seine bescheidene Künstler-
natur! Er versäumte es nie, den put zu lüften, wenn er einen
Kollegen bemerkte, während diese kann: den Finger an die
Krempe legten — manche sind nun einmal so patzig.
Aber den echten Künstler ziert Bescheidenheit. Und „er"
war ein echter Künstler und angenehmer Plauderer dazu. Ueber
alles wußte er zu reden. Mit Papa redete er über Termins
und Grundstückpreise, über „Geschäftskonjunkturen", der Maina
erzählte er scherzhafte Anekdoten von früheren Künstlerfesten,
 
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