Bleggendorfers Humoristische Blätter.
s9
„RoöerLchen."
Line Lnta.nt tsrribls-Gcschichte von Tl). Müller.
ieutenant Erich von Schinetter war bei Mama auf Urlaub
und langweilte sich entsetzlich. Als Frequentant der Kriegs-
akademie war er von der Residenz her an ein großzügigeres
Leben gewöhnt als es dieses „Nest" bieten konnte, in das sich
seine Mutter nach dein Tode seines Raters, des Generals, zu-
rückgezogen hatte. Um alles aber hätte er der von ihm so herz-
lich geliebten und hochverehrten Fran nicht den Schmerz anthun
mögen, seinen Urlaub wo anders zu verbringen, denn sie hing
an ihm mit rührender Zärtlichkeit, mit einer Zärtlichkeit, die
sie sogar übersehen ließ, daß Erich nicht mehr der blasse hoch-
aufgeschossene Junge von ehemals, sondern ein kräftiger, sonnen-
verbrannter junger Mann mit einein starken Schnurrbarte war,
dem die Gardelieutenautsuniform, wie so und so viele Residenz
backfische behaupteten, „zum Entzücken" stand. Zwar, er batte
sich sein Arbeitsmaterial mitgebracht und saß fleißig hinter
seinen Büchern, auch fehlte es, da hier ein Infanterieregiment
lag, nicht an Kameraden und er besuchte häufig deren Kasino,
aber befriedigt verließ er es nie; er schwärmte von Truppen-
führung im großen Stile und hier waren fast ausnahmslos
sogenannte bon tronpiers, die ihm gar häufig in aller Freund-
schaft vorschlugen von „etwas Gescheiteren:" zu reden, wenn
er sich mal so recht gehen ließ und mit Brigaden und Divi-
sionen nur so um sich warf — es fehlten ihm die gleichge-
stimmten Seelen.
Da er also bei den Menschen nicht das Verständnis für
das fand, was seinen innersten Busen bewegte, so flüchtete er
gewöhnlich mit seinen Gefühlen an den Busen der Natur und
wir sehen ihn auch heute morgen wieder gesenkten Pauptes
den Stadtpark durchschreitend ein verzwicktes strategisches Prob-
lem verarbeiten. Er war dabei tief in die Anlagen hineinge-
kommen und als er schließlich als Sieger aus seinen: Gedanken-
tournier hervorgegangen war und Zeit hatte, sich umzusehen
wo er eigentlich hingeraten war, da fand es seinen Beifall,
daß das Grientierungsresultat die unmittelbare Nähe des Wald-
restaurants „Idylle" ergab, was ihm außerordentlich will-
kommen war, da er einen ganz kannibalischen punger verspürte.
Daß dieser punger zu so verhältnismäßig früher Stunde und
mit solcher Intensivität auftrat und zwar nicht nur heute, son-
dern regelmäßig alle Tage so lange nun schon sein Urlaub dauerte,
war aber nicht zu verwundern, das hatte seinen Grund in der
schon eingangs berührten, stark übertriebenen Muttersorge.
Weil Erich einmal als zwölfjähriger Knabe viel nut dein
Magen zu thun gehabt hatte, durste er ihm auch heute uoch
nichts zumuten — er bekam morgens eine kleine Tasse Milch
und ein Brötchen und der musterhafte Sohn fügte sich — ein
zweites Frühstück entschädigte ihn ja dafür und dieses nah»: er
klugerweise auswärts, peute hatte er das, des erwähnten
Problems wegen versäumt, nun wollte er es aber in der „Idylle",
wo man ganz gut bedient wurde, gründlich nachholen, denn
sein Magen war so leer, daß er bereits Schmerzen empfand.
Er schlug also den Pfad ein, welcher am direktesten zu seinen:
Ziele führte, aber es gab noch einen kleinen Zwischenfall,
welcher den perrn Lieutenant, welcher sonst nicht gerne fluchte, ?
doch ein kräftiges „Donnerwetter" entlockte. Ein ihm ent-
gegenkommender Bettler hatte ihn un: ein Almosen angesprochen
und er hatte, da er gerne gab, in die Tasche gegriffen um die
Börse zu ziehen, aber sie war nicht dal Da nicht und auch
nicht in den andern Taschen, er mochte sie durchwühlen so lange
er nur wollte. Mit verständnisinnigen: Lächeln zog der Strolch
ohne Gabe ab, er gedachte jedenfalls des 28ten, den inan heute
schrieb und schien es zu begreifen, daß bei so weit vorge-
schrittenen: Monat ein Lieutenant nicht mehr „bei Börse" zu
sein pflegt.
Jetzt war es natürlich mit der Einkehr in die „Idylle"
vorbei. Direkt wollte er nicht umkehren, um das unverschämte
Gesicht des Kerls nicht noch einmal sehen zu müssen, er ging
also weiter, um später in einen: weiten Bogen um die genannte
Restauration herum wieder auf den peimweg zu kommen und
sich die liegen gelassene Börse zu holen.
Es sollte anders kommen. Nach einer scharfen Wegbiegung
sah er sich plötzlich einer Bank gegenüber, aus der eine junge
Dame mit einen: kleinen Burschen von vielleicht vier Jahren
Platz genommen hatte Dieser letztere ersah aber kann:
den Lieutenant, als er auch schon aussprang und ein lautes
„purrah" ausstieß. Dann trat er den: Offizier in den Weg,
spreizte die strammen Beinchen auseinander, schlug die Arme
unter und blickte den: Stehengebliebenen lustig mit seinen kecken
blauen Augen an. Von Schmetter war von jeher ein Kinder-
freund gewesen, ihn amüsierte der Knirps, der sich so selbst-
bewußt vor ihn hingepflanzt hatte und er nahm daher das
Monocle ins Auge, stemmte die Arme in die Seite und sagte:
„Nanu?"
„Ich bin froh, daß endlich ein Soldat kommt, jetzt wird
die Therese schon mit in die Idylle gehen, damit wir was zu
essen bekommen und Bier dazu trinken können, ich hab' furcht-
bar pungerl"
Der Lieutenant lachte, die junge Dame aber hatte den
Knaben am Arme genommen und glühend rot: „Aber Robert!"
gerufen. Der kleine Mann wehrte sich jedoch mit aller ihm zu
Gebote stehenden Kraft gegen das Pinwegzerren und begann
das reinste Indianergeheul. Das Fräulein, das erst jetzt von
Schinetter genauer betrachtet wurde, rang in ratloser Verzweif-
lung die pände — es schien, daß dieses nicht die erste Ver-
legenheit war, welche ihr Robert aus dein heutigen Ausgange
bereitet — während der Offizier ganz entzückt seine Augen
nicht von der reizenden Mädchenerscheinung losbringen konnte.
Nun verbeugte er sich und stellte sich vor: „Gnädiges Fräu-
lein scheinen Ihre liebe Not mit dem Brüderchen zu haben,
scheint ein sehr eigenwilliges perrchen zu sein?" Der Ange-
sprochenen schien es nicht ganz angenehm zu sein, hier so nölens
volens zu einer perrenbekanntschast zu kommen; sie wollte ohne
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„RoöerLchen."
Line Lnta.nt tsrribls-Gcschichte von Tl). Müller.
ieutenant Erich von Schinetter war bei Mama auf Urlaub
und langweilte sich entsetzlich. Als Frequentant der Kriegs-
akademie war er von der Residenz her an ein großzügigeres
Leben gewöhnt als es dieses „Nest" bieten konnte, in das sich
seine Mutter nach dein Tode seines Raters, des Generals, zu-
rückgezogen hatte. Um alles aber hätte er der von ihm so herz-
lich geliebten und hochverehrten Fran nicht den Schmerz anthun
mögen, seinen Urlaub wo anders zu verbringen, denn sie hing
an ihm mit rührender Zärtlichkeit, mit einer Zärtlichkeit, die
sie sogar übersehen ließ, daß Erich nicht mehr der blasse hoch-
aufgeschossene Junge von ehemals, sondern ein kräftiger, sonnen-
verbrannter junger Mann mit einein starken Schnurrbarte war,
dem die Gardelieutenautsuniform, wie so und so viele Residenz
backfische behaupteten, „zum Entzücken" stand. Zwar, er batte
sich sein Arbeitsmaterial mitgebracht und saß fleißig hinter
seinen Büchern, auch fehlte es, da hier ein Infanterieregiment
lag, nicht an Kameraden und er besuchte häufig deren Kasino,
aber befriedigt verließ er es nie; er schwärmte von Truppen-
führung im großen Stile und hier waren fast ausnahmslos
sogenannte bon tronpiers, die ihm gar häufig in aller Freund-
schaft vorschlugen von „etwas Gescheiteren:" zu reden, wenn
er sich mal so recht gehen ließ und mit Brigaden und Divi-
sionen nur so um sich warf — es fehlten ihm die gleichge-
stimmten Seelen.
Da er also bei den Menschen nicht das Verständnis für
das fand, was seinen innersten Busen bewegte, so flüchtete er
gewöhnlich mit seinen Gefühlen an den Busen der Natur und
wir sehen ihn auch heute morgen wieder gesenkten Pauptes
den Stadtpark durchschreitend ein verzwicktes strategisches Prob-
lem verarbeiten. Er war dabei tief in die Anlagen hineinge-
kommen und als er schließlich als Sieger aus seinen: Gedanken-
tournier hervorgegangen war und Zeit hatte, sich umzusehen
wo er eigentlich hingeraten war, da fand es seinen Beifall,
daß das Grientierungsresultat die unmittelbare Nähe des Wald-
restaurants „Idylle" ergab, was ihm außerordentlich will-
kommen war, da er einen ganz kannibalischen punger verspürte.
Daß dieser punger zu so verhältnismäßig früher Stunde und
mit solcher Intensivität auftrat und zwar nicht nur heute, son-
dern regelmäßig alle Tage so lange nun schon sein Urlaub dauerte,
war aber nicht zu verwundern, das hatte seinen Grund in der
schon eingangs berührten, stark übertriebenen Muttersorge.
Weil Erich einmal als zwölfjähriger Knabe viel nut dein
Magen zu thun gehabt hatte, durste er ihm auch heute uoch
nichts zumuten — er bekam morgens eine kleine Tasse Milch
und ein Brötchen und der musterhafte Sohn fügte sich — ein
zweites Frühstück entschädigte ihn ja dafür und dieses nah»: er
klugerweise auswärts, peute hatte er das, des erwähnten
Problems wegen versäumt, nun wollte er es aber in der „Idylle",
wo man ganz gut bedient wurde, gründlich nachholen, denn
sein Magen war so leer, daß er bereits Schmerzen empfand.
Er schlug also den Pfad ein, welcher am direktesten zu seinen:
Ziele führte, aber es gab noch einen kleinen Zwischenfall,
welcher den perrn Lieutenant, welcher sonst nicht gerne fluchte, ?
doch ein kräftiges „Donnerwetter" entlockte. Ein ihm ent-
gegenkommender Bettler hatte ihn un: ein Almosen angesprochen
und er hatte, da er gerne gab, in die Tasche gegriffen um die
Börse zu ziehen, aber sie war nicht dal Da nicht und auch
nicht in den andern Taschen, er mochte sie durchwühlen so lange
er nur wollte. Mit verständnisinnigen: Lächeln zog der Strolch
ohne Gabe ab, er gedachte jedenfalls des 28ten, den inan heute
schrieb und schien es zu begreifen, daß bei so weit vorge-
schrittenen: Monat ein Lieutenant nicht mehr „bei Börse" zu
sein pflegt.
Jetzt war es natürlich mit der Einkehr in die „Idylle"
vorbei. Direkt wollte er nicht umkehren, um das unverschämte
Gesicht des Kerls nicht noch einmal sehen zu müssen, er ging
also weiter, um später in einen: weiten Bogen um die genannte
Restauration herum wieder auf den peimweg zu kommen und
sich die liegen gelassene Börse zu holen.
Es sollte anders kommen. Nach einer scharfen Wegbiegung
sah er sich plötzlich einer Bank gegenüber, aus der eine junge
Dame mit einen: kleinen Burschen von vielleicht vier Jahren
Platz genommen hatte Dieser letztere ersah aber kann:
den Lieutenant, als er auch schon aussprang und ein lautes
„purrah" ausstieß. Dann trat er den: Offizier in den Weg,
spreizte die strammen Beinchen auseinander, schlug die Arme
unter und blickte den: Stehengebliebenen lustig mit seinen kecken
blauen Augen an. Von Schmetter war von jeher ein Kinder-
freund gewesen, ihn amüsierte der Knirps, der sich so selbst-
bewußt vor ihn hingepflanzt hatte und er nahm daher das
Monocle ins Auge, stemmte die Arme in die Seite und sagte:
„Nanu?"
„Ich bin froh, daß endlich ein Soldat kommt, jetzt wird
die Therese schon mit in die Idylle gehen, damit wir was zu
essen bekommen und Bier dazu trinken können, ich hab' furcht-
bar pungerl"
Der Lieutenant lachte, die junge Dame aber hatte den
Knaben am Arme genommen und glühend rot: „Aber Robert!"
gerufen. Der kleine Mann wehrte sich jedoch mit aller ihm zu
Gebote stehenden Kraft gegen das Pinwegzerren und begann
das reinste Indianergeheul. Das Fräulein, das erst jetzt von
Schinetter genauer betrachtet wurde, rang in ratloser Verzweif-
lung die pände — es schien, daß dieses nicht die erste Ver-
legenheit war, welche ihr Robert aus dein heutigen Ausgange
bereitet — während der Offizier ganz entzückt seine Augen
nicht von der reizenden Mädchenerscheinung losbringen konnte.
Nun verbeugte er sich und stellte sich vor: „Gnädiges Fräu-
lein scheinen Ihre liebe Not mit dem Brüderchen zu haben,
scheint ein sehr eigenwilliges perrchen zu sein?" Der Ange-
sprochenen schien es nicht ganz angenehm zu sein, hier so nölens
volens zu einer perrenbekanntschast zu kommen; sie wollte ohne