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Meggendorfers Humoristische Blätter.
übergehen, um ihre Schätze dann möglichst graziös in seine
pände nicderzulegen. — Nur unter der Bedingung eines un-
verrückbaren Wandplatzes, der das junge Ding völlig von der
Möglichkeit ausschloß, am Balle teilznnehmen, und weil der zu
Feiernde den Namen Blücher trug, hatte der Urgroßvater die
Mitwirkung seiner Tochter gestattet. Die Urgroßmutter erhielt
jedoch von ihm die strikte Weisung, sich wie ein Stoßvogel auf
das Kind zu stürzen, sobald jene Gruppe vor dem Beginn des
Tanzes sich löste, um es mit nach Pause zu nehmen und, wie
sich's für artige Rinder gehörte, ins Bett zu stecken.-
Ja, aber ein Festkleid mußte dennoch hergestellt werden,
blieben sie an der lebendigen Rosenknospe haften, die ihn eben
begrüßt. — Und immer neue Rosen regneten nach diesem Blick
auf ihn herab und erreichten ihn selbst noch, als er auf der
Estrade, in dein bekränzten Sessel, Platz genommen hatte, den
man eben jener Mädchen-Pyramide gegenüber aufgestellt. —
— Während all den verschiedenen Ansprachen aber, die nun ge-
halten wurden, verlor der Gefeierte die Rosenspeuderin keinen
Moment aus den Augen, und als die Blumengrupxe sich nun
endlich löste, da rief der lachende Mund Blüchers nur gebietend:
„Vorwärts! — Kleine!" und die pand winkte meine Groß-
tante herbei. — — Und sie kam auch — glühend vor Jubel
das war nicht zu umgeheu, weuu auch vom billigsten weißen
Musselin, es galt ja eine Blücherfeier. — Die Stoffforderung
der zu Rate gezogenen Schneiderin war aber eine so unerhörte,
nach Meinung der entsetzten Urgroßmutter, daß eine Einigung
der beiden streitenden Parteien nur durch eine ungewöhnliche
Idee schließlich zu stände kam, da keine nachgeben wollte.
Nach einigen schlaflosen Nächten und kummervollen Tagen,
unter denen selbst der Rüchezettel litt, entschied nämlich der
praktische Ropf meiner Urgroßmutter: „Das Rleid wird vorne
national mit allem Pomp der Falbeln, Puffern und Schleifen
gemacht und hinten ganz schlicht französisch wie bisher. Damit
basta. Ls sieht's ja niemand." — Sie bewilligte also genau
nur die pälfte jener Schneiderinnenforderung und die Fee von der
Nadel verfuhr denn auch, bitter grollend, nach Vorschrift. Die
kleine Roseuspenderin wurde natürlich in ahnungsloser Un-
wissenheit dieser Verschwörung erhalten. Sie kümmerte sich anch
um nichts und war nur glückselig, wenigstens für ein paar
Stunden zu den „Großen" gezählt zu werden und dem leib-
haftigen Fürsten Blücher so viel Rosen zu werfen, bis der große,
wohlgefüllte Rorb bis auf den Grund geleert sein würde. —
Und das patriotische Fest nahm denn auch seinen programm-
mäßigen Anfang und die erste Rose, lachend und errötend
geworfen mit voller Iugendkraft, traf auch den greisen
Pelden an den Ropf. — Da hoben sich die Falkenaugen
Blüchers und über alle anderen Erscheinungen hiuwegfliegend
und Begeisterung und empfing sein Lob und — ehe sie sich
dessen versah, seinen väterlichen Ruß. — —
Die Urgroßmutter soll sich in diesen: Moment im Bewußt-
sein des Werkes der Modenkünstlerin blaß .und bebend zu einer
neben ihr Sitzenden gewandt haben mit den leise gehauchten
Worten: „Nachbarin, Euer FläschchenI" Der Urgroßvater aber
hat gelächelt und nur ein klein wenig nut dein Finger gedroht,
als seine Aelteste, die jetzt schon eigentlich schlafen sollte, mit
glückseligen: Gesichtchen an ihm vorüber und von einen: Arn:
in den anderen flog, nachdem sich der Marschall Vorwärts selber
zuerst nut ihr im Rreise gedreht und eine ihrer Rosen ins
Knopfloch seines Uniformrockes gesteckt hatte. Mb irgend jemand
die nicht ganz korrekt-patriotische Toilette bemerkt hatte? -
Nun, die Männer sicher nicht, denn sonst würde ihre Trägerin
doch nicht so viel getanzt haben, wie keine andere auf de n
ganzen Balle. — Und die Frauen? Nun, die hätten doch das
Festkleid unbarmherzig zerpflückt, wenn es noch so untadelig ge-
wesen I -- — Der Ehrengast des Abends hatte ja mit der
kleinen Rosenknosxe getanzt, die ja im Grunde noch gar nicht
hierher gehörte. — Nach Jahren hat man noch begeistert in:
Städtchen von diesen: patriotischen Fest erzählt, versicherte die
Großtante. Aber das halb französische, halb nationale Rleid
hing leider nicht in dem großen lavendelduftenden Schrank, es
ist zu einer Wiegendecke für meinen Dnkel Fritz einst zer-
schnitten worden. — — — Schädel —
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck uud Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München, Schubertstratze 6.
Meggendorfers Humoristische Blätter.
übergehen, um ihre Schätze dann möglichst graziös in seine
pände nicderzulegen. — Nur unter der Bedingung eines un-
verrückbaren Wandplatzes, der das junge Ding völlig von der
Möglichkeit ausschloß, am Balle teilznnehmen, und weil der zu
Feiernde den Namen Blücher trug, hatte der Urgroßvater die
Mitwirkung seiner Tochter gestattet. Die Urgroßmutter erhielt
jedoch von ihm die strikte Weisung, sich wie ein Stoßvogel auf
das Kind zu stürzen, sobald jene Gruppe vor dem Beginn des
Tanzes sich löste, um es mit nach Pause zu nehmen und, wie
sich's für artige Rinder gehörte, ins Bett zu stecken.-
Ja, aber ein Festkleid mußte dennoch hergestellt werden,
blieben sie an der lebendigen Rosenknospe haften, die ihn eben
begrüßt. — Und immer neue Rosen regneten nach diesem Blick
auf ihn herab und erreichten ihn selbst noch, als er auf der
Estrade, in dein bekränzten Sessel, Platz genommen hatte, den
man eben jener Mädchen-Pyramide gegenüber aufgestellt. —
— Während all den verschiedenen Ansprachen aber, die nun ge-
halten wurden, verlor der Gefeierte die Rosenspeuderin keinen
Moment aus den Augen, und als die Blumengrupxe sich nun
endlich löste, da rief der lachende Mund Blüchers nur gebietend:
„Vorwärts! — Kleine!" und die pand winkte meine Groß-
tante herbei. — — Und sie kam auch — glühend vor Jubel
das war nicht zu umgeheu, weuu auch vom billigsten weißen
Musselin, es galt ja eine Blücherfeier. — Die Stoffforderung
der zu Rate gezogenen Schneiderin war aber eine so unerhörte,
nach Meinung der entsetzten Urgroßmutter, daß eine Einigung
der beiden streitenden Parteien nur durch eine ungewöhnliche
Idee schließlich zu stände kam, da keine nachgeben wollte.
Nach einigen schlaflosen Nächten und kummervollen Tagen,
unter denen selbst der Rüchezettel litt, entschied nämlich der
praktische Ropf meiner Urgroßmutter: „Das Rleid wird vorne
national mit allem Pomp der Falbeln, Puffern und Schleifen
gemacht und hinten ganz schlicht französisch wie bisher. Damit
basta. Ls sieht's ja niemand." — Sie bewilligte also genau
nur die pälfte jener Schneiderinnenforderung und die Fee von der
Nadel verfuhr denn auch, bitter grollend, nach Vorschrift. Die
kleine Roseuspenderin wurde natürlich in ahnungsloser Un-
wissenheit dieser Verschwörung erhalten. Sie kümmerte sich anch
um nichts und war nur glückselig, wenigstens für ein paar
Stunden zu den „Großen" gezählt zu werden und dem leib-
haftigen Fürsten Blücher so viel Rosen zu werfen, bis der große,
wohlgefüllte Rorb bis auf den Grund geleert sein würde. —
Und das patriotische Fest nahm denn auch seinen programm-
mäßigen Anfang und die erste Rose, lachend und errötend
geworfen mit voller Iugendkraft, traf auch den greisen
Pelden an den Ropf. — Da hoben sich die Falkenaugen
Blüchers und über alle anderen Erscheinungen hiuwegfliegend
und Begeisterung und empfing sein Lob und — ehe sie sich
dessen versah, seinen väterlichen Ruß. — —
Die Urgroßmutter soll sich in diesen: Moment im Bewußt-
sein des Werkes der Modenkünstlerin blaß .und bebend zu einer
neben ihr Sitzenden gewandt haben mit den leise gehauchten
Worten: „Nachbarin, Euer FläschchenI" Der Urgroßvater aber
hat gelächelt und nur ein klein wenig nut dein Finger gedroht,
als seine Aelteste, die jetzt schon eigentlich schlafen sollte, mit
glückseligen: Gesichtchen an ihm vorüber und von einen: Arn:
in den anderen flog, nachdem sich der Marschall Vorwärts selber
zuerst nut ihr im Rreise gedreht und eine ihrer Rosen ins
Knopfloch seines Uniformrockes gesteckt hatte. Mb irgend jemand
die nicht ganz korrekt-patriotische Toilette bemerkt hatte? -
Nun, die Männer sicher nicht, denn sonst würde ihre Trägerin
doch nicht so viel getanzt haben, wie keine andere auf de n
ganzen Balle. — Und die Frauen? Nun, die hätten doch das
Festkleid unbarmherzig zerpflückt, wenn es noch so untadelig ge-
wesen I -- — Der Ehrengast des Abends hatte ja mit der
kleinen Rosenknosxe getanzt, die ja im Grunde noch gar nicht
hierher gehörte. — Nach Jahren hat man noch begeistert in:
Städtchen von diesen: patriotischen Fest erzählt, versicherte die
Großtante. Aber das halb französische, halb nationale Rleid
hing leider nicht in dem großen lavendelduftenden Schrank, es
ist zu einer Wiegendecke für meinen Dnkel Fritz einst zer-
schnitten worden. — — — Schädel —
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck uud Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München, Schubertstratze 6.