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Meggendorfers Humoristische Blätter.
„Der Zug war ja schon dicht vor dein Abgehen", erwiderte
dieser begütigend, „da konnte der Mann Sie doch nicht wehr
aussteigen lassen!"
„Aber das hätte er mir doch sagen können!"
„wie sollte ein Kondukteur zu guter Lebensart kommen?"
. . . . Und sie nahmen ihre Partie Pikett wieder auf, und
spielten fort, bis der alte mächtige Kirchturm von Wiener-
Neustadt in Sicht kam.
Pier hält der Zug zehn Minuten und die Reisenden pflegen
diese Pause zum Frühstücken zu benützen. Die Bahnhof-Restau-
tion ist ihrer „Krenwürste" wegen berühmt.
„Wenn Sie erlauben", erbat sich der Dichter, „so hole ich
für uns beide einige dieser trefflichen Würstchen."
Er rief den Kondukteur, dieser öffuete und schlug, kaum
daß der Dichter hinuntergeklettert, die Thüre wieder zu.
„Pedal" rief der Direktor, „lassen Sie die Thüre
offen, der perr kommt wieder!"
Der Mann blickte ihn starr an und ging davon.
Das wäre selbst für einen minder ungeduldigen
Menschen zu viel gewesen.
„Sie Lümmel!" schrie der Direktor und beugte sich
weit aus dem Fenster vor, „Sie öffnen augenblicklich!"
Aber der Blaurock hielt sich in der Ferne und
kam erst wieder heran, als der Dichter einsteigen wollte.
„Sie Schlingel, was soll das heißen?" rief ihm der
Direktor wutzitternd entgegen, „ich werde Sie bei der
Direktion anzeigen!"
Der Kondukteur verzog keine Miene, half dem
Dichter beim Linsteigen, schloß hierauf das Coupe sorg-
fältig und ging seiner Wege.
„Lieber Direktor", begann der Dichter sanft und faßte die
pand seines Gefährten, der wortlos dasaß — „der Mann ist
eben ein Grobian — wer wird sich über einen Kondukteur ärgern!"
„Aber so ein Benehmen ist mir noch nie vorgekommen —
das ist ja geradezu unerhört?" „Gewiß — aber ich wiederhole:
,ein Kondukteur ist unseres Zornes nicht wert!'"
Der Direktor ließ in der That bald seinen Zorn fahren;
er war überhaupt nicht der Mann, irgend eine Empfindung
lange festzuhalten. Vielleicht trugen übrigens diesmal zu seiner
Besänftigung auch die Würstel bei, die ihm der Dichter überreichte.
So kamen sie wieder in vergnügliches plaudern, während
der Zug langsam und keuchend die pöhe des Semmering empor-
glitt. Ehe er in jenen großen Tunnel einfuhr, welcher an der
Grenze zwischen Besterreich und Steiermark liegt, erschien plötz-
lich das bärtige Paupt des Kondukteurs im geöffneten Fenster.
„Sie werdeneinige Minuten imFinstern bleiben," wandte er sich
an den Dichter, „wünschen Sie, daß ich die Lampe anzünde?"
„Das geschieht ja sonst nicht?"
„Ich meinte nur —", erwiderte der Kondukteur und streifte
den Direktor mit einem scheuen Blick.
„Machen Sie, daß Sie fortkommenl" rief dieser.
Der Mann schien es nicht gehört zu haben. „Nun?" meinte
er nochmals, zum Dichter gewendet.
„Es ist nicht nötig," erwiderte dieser und der Bärtige ver-
schwand. „Was mag nur der Mensch gegen mich haben?" fragte
der Direktor erstaunt, „gegen Sie ist er so höflich!"
„Sie werden sich doch nicht um die Antipathie eines solchen
Menschen kümmern!" erwiderte der Dichter.
So fuhren sie ins Dunkel hinein und dann wieder ans
Tageslicht, bis sie endlich in den großen Bahnhof von Mürz-
zuschlag einfuhren. Ls ist dies die Mittagsstation des Schnell-
zugs.
wieder erschien, ehe der Zug hielt, das bärtige Paupt im
Fenster, „was wollen Sie wieder?" fuhr der Direktor auf.
„Werden Sie beide hier aussteigen?" fragte der Konduk-
teur den Dichter.
„Ia!"
„pm — wie Sie meinen ..." Und er öffnete die Thüre.
Aber kaum standen sie auf dein Perron, als der Blaurock ihnen
voraus auf den Wirt zueilte, der unter der Thüre der Restauration
stand, was er ihm ins Ghr flüsterte, konnten die beiden
Reisenden nicht hören, aber daß es ihnen galt, mußten sie ge-
wahren. Der wirt machte ein bestürztes Gesicht und trat ihnen
dann furchtsam entgegen. (Schluß folgt).
Der leidenschaftliche Turner.
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Schubertstratze 6.
Meggendorfers Humoristische Blätter.
„Der Zug war ja schon dicht vor dein Abgehen", erwiderte
dieser begütigend, „da konnte der Mann Sie doch nicht wehr
aussteigen lassen!"
„Aber das hätte er mir doch sagen können!"
„wie sollte ein Kondukteur zu guter Lebensart kommen?"
. . . . Und sie nahmen ihre Partie Pikett wieder auf, und
spielten fort, bis der alte mächtige Kirchturm von Wiener-
Neustadt in Sicht kam.
Pier hält der Zug zehn Minuten und die Reisenden pflegen
diese Pause zum Frühstücken zu benützen. Die Bahnhof-Restau-
tion ist ihrer „Krenwürste" wegen berühmt.
„Wenn Sie erlauben", erbat sich der Dichter, „so hole ich
für uns beide einige dieser trefflichen Würstchen."
Er rief den Kondukteur, dieser öffuete und schlug, kaum
daß der Dichter hinuntergeklettert, die Thüre wieder zu.
„Pedal" rief der Direktor, „lassen Sie die Thüre
offen, der perr kommt wieder!"
Der Mann blickte ihn starr an und ging davon.
Das wäre selbst für einen minder ungeduldigen
Menschen zu viel gewesen.
„Sie Lümmel!" schrie der Direktor und beugte sich
weit aus dem Fenster vor, „Sie öffnen augenblicklich!"
Aber der Blaurock hielt sich in der Ferne und
kam erst wieder heran, als der Dichter einsteigen wollte.
„Sie Schlingel, was soll das heißen?" rief ihm der
Direktor wutzitternd entgegen, „ich werde Sie bei der
Direktion anzeigen!"
Der Kondukteur verzog keine Miene, half dem
Dichter beim Linsteigen, schloß hierauf das Coupe sorg-
fältig und ging seiner Wege.
„Lieber Direktor", begann der Dichter sanft und faßte die
pand seines Gefährten, der wortlos dasaß — „der Mann ist
eben ein Grobian — wer wird sich über einen Kondukteur ärgern!"
„Aber so ein Benehmen ist mir noch nie vorgekommen —
das ist ja geradezu unerhört?" „Gewiß — aber ich wiederhole:
,ein Kondukteur ist unseres Zornes nicht wert!'"
Der Direktor ließ in der That bald seinen Zorn fahren;
er war überhaupt nicht der Mann, irgend eine Empfindung
lange festzuhalten. Vielleicht trugen übrigens diesmal zu seiner
Besänftigung auch die Würstel bei, die ihm der Dichter überreichte.
So kamen sie wieder in vergnügliches plaudern, während
der Zug langsam und keuchend die pöhe des Semmering empor-
glitt. Ehe er in jenen großen Tunnel einfuhr, welcher an der
Grenze zwischen Besterreich und Steiermark liegt, erschien plötz-
lich das bärtige Paupt des Kondukteurs im geöffneten Fenster.
„Sie werdeneinige Minuten imFinstern bleiben," wandte er sich
an den Dichter, „wünschen Sie, daß ich die Lampe anzünde?"
„Das geschieht ja sonst nicht?"
„Ich meinte nur —", erwiderte der Kondukteur und streifte
den Direktor mit einem scheuen Blick.
„Machen Sie, daß Sie fortkommenl" rief dieser.
Der Mann schien es nicht gehört zu haben. „Nun?" meinte
er nochmals, zum Dichter gewendet.
„Es ist nicht nötig," erwiderte dieser und der Bärtige ver-
schwand. „Was mag nur der Mensch gegen mich haben?" fragte
der Direktor erstaunt, „gegen Sie ist er so höflich!"
„Sie werden sich doch nicht um die Antipathie eines solchen
Menschen kümmern!" erwiderte der Dichter.
So fuhren sie ins Dunkel hinein und dann wieder ans
Tageslicht, bis sie endlich in den großen Bahnhof von Mürz-
zuschlag einfuhren. Ls ist dies die Mittagsstation des Schnell-
zugs.
wieder erschien, ehe der Zug hielt, das bärtige Paupt im
Fenster, „was wollen Sie wieder?" fuhr der Direktor auf.
„Werden Sie beide hier aussteigen?" fragte der Konduk-
teur den Dichter.
„Ia!"
„pm — wie Sie meinen ..." Und er öffnete die Thüre.
Aber kaum standen sie auf dein Perron, als der Blaurock ihnen
voraus auf den Wirt zueilte, der unter der Thüre der Restauration
stand, was er ihm ins Ghr flüsterte, konnten die beiden
Reisenden nicht hören, aber daß es ihnen galt, mußten sie ge-
wahren. Der wirt machte ein bestürztes Gesicht und trat ihnen
dann furchtsam entgegen. (Schluß folgt).
Der leidenschaftliche Turner.
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Schubertstratze 6.