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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 29.1897 (Nr. 327-339)

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Nr. 335
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https://doi.org/10.11588/diglit.28505#0094
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Meggendorfers Humoristische Blätter.


Waggons Platz genommen und starrten ihn von dort aus mit neu-
gierigen Augen an, einige andere standen noch am Zuge, zogen
sich aber bei seinen: Nahen zurück. Der Gegenstand ihrer Auf-
merksamkeit bemerkte dieselben erst, als er den Blick erhob, um
eine brennende Cigarre zu erspähen, an welcher er die seine
anzünden konnte. Er trat dann rasch auf einen jungen Mann
zu, der am Trittbrett seines Waggons stand und heftig eine
Tigarre dampfte.
Der junge Mann wurde totenbleich und seine Hand zitterte
so, daß ihm die Tigarre entfiel, wie gelähmt, mit weit auf-
gerissenen Augen starrte er den Direktor an.
„Sind Sie verrückt?" rief dieser und wandte sich dann
heftig ab.
Ein Hohngelächter schallte ihm nach.
In diesem Augenblicke fand sich der Dichter wieder ein. Er
präsentierte dein Erzürnten sein Feuerzeug und geleitete ihn
nun zum Coupö zurück. „So etwas ist mir noch nicht vorge-
kommen I" rief dieser. „Die Leute starren mich ja an, als wäre
ich ein Meerwunderl"
„Das sind Sie ja auch — das heißt: ,ein Land-, Stadt-
und Kunstwunder st Daß jeder gebildete Mensch Ihre Züge
kennt, kann Sie doch nicht verblüffen l Nun denn — das ist
allesI können Sie darüber staunen, daß die Leute den berühm-
ten Direktor H. einmal aus der Nähe bewundern wollen?"
„Aber das kann's doch nicht gewesen sein?" fragte der eitle
Mann schon viel sanfter, „was sonst?"
„Gewiß — was sonst?! Aber Feuer hätte mir der junge
Laste doch geben könnenI"
. . . weiter dampfte der Zug direkt gegen Süd durch das
Thal der Mürz und der Murr. Aber die beiden Reisenden
sahen nichts von den Reizen der grünen Steiermark. Auf die
Lederkissen gestreckt, schnarchten sie friedlich nebeneinander.
Erst dicht vor Graz weckte sie der schrille Ruf der Dampf-
pfeife. Und fast gleichzeitig erschien auch das bärtige
Haupt wieder am Fenster.
„Wir kommen gleich nach Graz", meldete der
Mann, „fünfzehn Minuten Aufenthalt — der Zug
wird nicht gewechselt."
„Schon gut!" rief der Direktor, „das wissen
wir ohnehin I"
Aber der Bärtige wich nicht, „wollen Sie beide
in Graz auf dem Perron prominenteren?" fragte
er den Dichter.
„was geht das Sie an?" rief der Direktor
wieder heftig dazwischen.
„Gewiß — beideI" erwiderte der Dicke.
„Dann muß ich es dem Herrn Stationsvorsteher
melden. Auf eigene Verantwortung übernehme ich
es nicht I"
„was?" schrie der Direktor, „was übernehmen
Sie nicht?"
Aber der Blaurock war bereits verschwunden.
Er öffnete alle anderen Coupös, bis auf jenes der
beiden Reisenden.
„Sind sie toll?I" kreischte der Direktor.
„Beruhigen Sie sich", sagte der Dichter schüchtern,
die Sache muß sich ja gleich aufklären I" In der
That erschien im nächsten Augenblicke der Stations-
vorsteher vor dein Coupe.
„Winkler!" rief der Direktor erfreut, „alter
Freund — bist Du jetzt hier 'stationiert?" Der
Beamte wurde bleich und wich einen Schritt zurück.

„M mein Gottl" rief er bestürzt, „es ist der arme H. — welch'
ein UnglückI"
„was ist ein Unglück?" rief der Direktor.
„Aber mich erkennt er doch!" fuhr der Beamte halblaut
in höchster Aufregung fort.
„Ja, warum sollt' ich Dich nicht erkennen, alter Kumpan?"
„wissen Sie es bestimmt?" wandte sich der Beamte an
den Kondukteur.
„Sein Begleiter hat es mir gesagt," meldete dieser, „und
obendrein hat er sich auch während der Fahrt fast tobsüchtig
benommenl"
„Tobsüchtig?" rief der Direktor kreischend. „Winkler, öffne
das Coupe, damit ich dem Schurken an die Kehle fahren
kann!"
Der Beamte wich wieder einen Schritt zurück. „G mein
Gottl" rief er, „es ist aber doch wahr!"
In diesem Moment hielt es der Dicke an der Zeit, zu
intervenieren. Er zog den Direktor mit sanfter Gewalt von:
Fenster weg und rief hinaus: „Es war ja nur eine List von
mir, um ein freies Coupe zu erhalten. Der Herr Direktor ist
so wenig verrückt wie ich und Sie!"
was nun folgte, mag sich die Phantasie des Lesers aus-
malen. Der Direktor brauste wütend auf. In diesem Moment
setzte sich der Zug wieder leise in Bewegung. Sie waren wieder
allein. Ls gab eine heftige Scene. Bald jedoch gelang es dem
Dichter, der sich nicht aus seiner Fassung bringen ließ, den Zorn
des großen Mimen durch Scherz und Liebenswürdigkeit zu ent-
waffnen. Der Direktor beruhigte sich und mußte endlich selbst
laut auslachen, als er sich all der erlebten Scenen erinnerte.
Es wurde dann Frieden geschlossen, und — er hat bis heute
gewährt. Das Lustspiel wurde in diesem Herbst aufgeführt und
hat schönen Erfolg gehabt.

Aus Vorsicht.


Sagen Sie mir, war::::: nur der Kommerzienrat seine alternde Gemahlin
mit Brillanten so unsinnig behängt?"
wie heißt unsinnig? wann er läßt die Brillanten im Schmuckkasten,
können sie ihm gestohlen werden, seine Sarah wird ihm auch mit die
Brillanten nicht gestohlen."

Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Schubertstreche 6.
 
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