s20
Neggendorfers humoristische Blätter.
Satz sür Satz init seiner pathetischen Stimme vor. vergebens
rang ich nach der Kraft, die mich noch kürzlich jenen energischen
Standpunkt hatte einnehmen lassen.
Da geschah ein Ereignis, das mir für lange Zeit einen
vernichtenden Schlag versetzte; andrerseits aber zahlte ich dabei
nur das Lehrgeld für die Erlangung all' der Eigenschaften, die
ich bis dahin am allerwenigsten besessen hatte.
Schon lange war es nur aufgefallen, daß Amadeus so gar
nichts in seiner Kunst zu wege brachte; schon in der ersten
Woche seines Pierseins freilich hatte er nächst der Berolina —
die immer noch nicht dazu gekommen war, dem einziehenden
Künstler den Koffer abznnehmen und ihn mit den: Lorbeerreis
zn krönen — eine ganze Reihe anderer epochemachender Ent-
würfe erwogen, die aber immer wieder noch epochemachenderen
Platz machten. Am fruchtbarsten schien seine luftige Produktivität
zu sein, wenn er, eine meiner Cigarren rauchend, auf meinem
Sopha lag, das er, zur stillen Wut meiner Wirtin, auch während
vermutlich das herbe Geschick, das mir wiederfahren, mitem-
psunden, und das war ihm zu Perzen gegangen.
Sobald ich wieder bei Kräften war, begab ich mich bei
Mondenschein hinunter zum Teutoburger Platz und begrub unter
einer der Linden das Manuskript und die kleine Leiche, mit
ihnen aber auch meine Schwachheit, von der ich mich auf ewig
lossagte.
Der schändliche Abschmierer räumte alsbald das paus; von
Amadeus war ich für immer befreit.
So oft ich einmal meine Schritte zum Tiergarten lenke,
sehe ich den Künstler fast immer auf einer der langen steinernen
Bänke gegenüber dem Brandenburger Thor sitzen und traum-
verloren zur Erde blicken; offenbar beschäftigt er sich mit Ent-
würfen zu epochemachenden Werken.
Täglich aber, wenn ich aus dem paus trete, führt mich
mein weg an jenem Baum vorüber, und dann erneuere ich im
Stillen den Schwur, den ich mir in jener Stunde gethan.
meiner Abwesenheit anfsuchte.
Trotz aller Störungen hatte ich
mit pilfe des letzten Maikäfers — den
vorletzten hatte Amadeus dem Enkel
der Wirtin geschenkt, der ihn dann
auf der Straße an einen guten Freund
verschacherte — meine Untersuchungen
fast zum Abschluß gebracht. Da fiel
mir eine soeben erschienene Schrift in
die pände, die genau dasselbe Problem
behandelte. Das mag ja in der wissen-
schaftlichen Welt nichts Seltenes sein,
aber ich glaubte mit einer Untersuchung
über das Verhalten der Maikäfer gegen-
über den ^strahlen doch ein noch gänz-
lich unerforschtes und fernliegendes
Gebiet betreten zu haben.
Der schreckliche Verdacht, der so-
fort in mir aufstieg, wurde mir einige
Tage später durch Frau Iielisch, ge-
borene Ungewitter, bestätigt. Sie war
eng befreundet mit der schwatzhaften
paushälterin eines in unserem Pause
wohnenden, ziemlich verkommenen In-
dividuums, das sich für einen Privat-
gelehrten ausgab. Amadeus hatte ihn
in irgend einer Kneipe kennen gelernt/
wo beide dann den teuflischen plan
aushegten.
Ich war vernichtet, hatte aber
noch so viel Kraft, Amadeus, der bald
darauf, heiter wie immer, erschien, ohne
irgend welche begleitende Worte beim
Kragen zu fassen und zur Thür hin-
aus zu befördern. Der Koffer muß
ihn etwa in pöhe des dritten Stock-
werks erreicht haben.
Dann verfiel ich in ein starkes
Fieber. Als ich erwachte, fiel mein
erster Blick auf den Glaskasten. Ich
ließ ihn mir ans Bett bringen und
hob behutsam den Deckel. Da lag er,
der letzte seines Stammes, auf einem
vertrockneten Kastanienblatt. Er war
tot. Das gefühlvolle Tierchen hatte
Immer Jurist.
Amtsrichter: „Emilie, möchtest Du bei Deiner Balltoilette nicht lieber die Geffent-
lichkeit ausschließen?',
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Schubertstraste 6.
Neggendorfers humoristische Blätter.
Satz sür Satz init seiner pathetischen Stimme vor. vergebens
rang ich nach der Kraft, die mich noch kürzlich jenen energischen
Standpunkt hatte einnehmen lassen.
Da geschah ein Ereignis, das mir für lange Zeit einen
vernichtenden Schlag versetzte; andrerseits aber zahlte ich dabei
nur das Lehrgeld für die Erlangung all' der Eigenschaften, die
ich bis dahin am allerwenigsten besessen hatte.
Schon lange war es nur aufgefallen, daß Amadeus so gar
nichts in seiner Kunst zu wege brachte; schon in der ersten
Woche seines Pierseins freilich hatte er nächst der Berolina —
die immer noch nicht dazu gekommen war, dem einziehenden
Künstler den Koffer abznnehmen und ihn mit den: Lorbeerreis
zn krönen — eine ganze Reihe anderer epochemachender Ent-
würfe erwogen, die aber immer wieder noch epochemachenderen
Platz machten. Am fruchtbarsten schien seine luftige Produktivität
zu sein, wenn er, eine meiner Cigarren rauchend, auf meinem
Sopha lag, das er, zur stillen Wut meiner Wirtin, auch während
vermutlich das herbe Geschick, das mir wiederfahren, mitem-
psunden, und das war ihm zu Perzen gegangen.
Sobald ich wieder bei Kräften war, begab ich mich bei
Mondenschein hinunter zum Teutoburger Platz und begrub unter
einer der Linden das Manuskript und die kleine Leiche, mit
ihnen aber auch meine Schwachheit, von der ich mich auf ewig
lossagte.
Der schändliche Abschmierer räumte alsbald das paus; von
Amadeus war ich für immer befreit.
So oft ich einmal meine Schritte zum Tiergarten lenke,
sehe ich den Künstler fast immer auf einer der langen steinernen
Bänke gegenüber dem Brandenburger Thor sitzen und traum-
verloren zur Erde blicken; offenbar beschäftigt er sich mit Ent-
würfen zu epochemachenden Werken.
Täglich aber, wenn ich aus dem paus trete, führt mich
mein weg an jenem Baum vorüber, und dann erneuere ich im
Stillen den Schwur, den ich mir in jener Stunde gethan.
meiner Abwesenheit anfsuchte.
Trotz aller Störungen hatte ich
mit pilfe des letzten Maikäfers — den
vorletzten hatte Amadeus dem Enkel
der Wirtin geschenkt, der ihn dann
auf der Straße an einen guten Freund
verschacherte — meine Untersuchungen
fast zum Abschluß gebracht. Da fiel
mir eine soeben erschienene Schrift in
die pände, die genau dasselbe Problem
behandelte. Das mag ja in der wissen-
schaftlichen Welt nichts Seltenes sein,
aber ich glaubte mit einer Untersuchung
über das Verhalten der Maikäfer gegen-
über den ^strahlen doch ein noch gänz-
lich unerforschtes und fernliegendes
Gebiet betreten zu haben.
Der schreckliche Verdacht, der so-
fort in mir aufstieg, wurde mir einige
Tage später durch Frau Iielisch, ge-
borene Ungewitter, bestätigt. Sie war
eng befreundet mit der schwatzhaften
paushälterin eines in unserem Pause
wohnenden, ziemlich verkommenen In-
dividuums, das sich für einen Privat-
gelehrten ausgab. Amadeus hatte ihn
in irgend einer Kneipe kennen gelernt/
wo beide dann den teuflischen plan
aushegten.
Ich war vernichtet, hatte aber
noch so viel Kraft, Amadeus, der bald
darauf, heiter wie immer, erschien, ohne
irgend welche begleitende Worte beim
Kragen zu fassen und zur Thür hin-
aus zu befördern. Der Koffer muß
ihn etwa in pöhe des dritten Stock-
werks erreicht haben.
Dann verfiel ich in ein starkes
Fieber. Als ich erwachte, fiel mein
erster Blick auf den Glaskasten. Ich
ließ ihn mir ans Bett bringen und
hob behutsam den Deckel. Da lag er,
der letzte seines Stammes, auf einem
vertrockneten Kastanienblatt. Er war
tot. Das gefühlvolle Tierchen hatte
Immer Jurist.
Amtsrichter: „Emilie, möchtest Du bei Deiner Balltoilette nicht lieber die Geffent-
lichkeit ausschließen?',
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Schubertstraste 6.