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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0048
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Rleggendorfers Humoristische Blätter.


GeheiK.

niehr richtig beurteilen könne und dieselben näher sähe, als sie
iu wirklichkcit seien. Meine gute Mathilde machte bei diesen
Worten ein höchst bedenkliches Gesicht, und der Reisxudding,
dem sie sonst als ihrem Lieblingsgericht vollste Gerechtigkeit
widerfahren ließ, fand nicht die geringste Beachtung. Nach
dem Lssen zog sich Lessoir auf sein Zimmer zurück, und meine
Frau und ich verbrachten den Rest des Abends in trübseligem
Schweigen. Des Nachts härten wir plötzlich — unser Schlaf-
zimmer befand sich unterhalb der Fremdenstube — wie Lessoir
aufstand, laut stöhnte uud wie von
Schmerz getrieben rasch im Zimmer
hin und her lief.

Mathilde wälzte sich ruhelos auf
ihrem Lager umher und stieß tiefe
Seufzer aus, so daß ich anstng,
tiefes Mitleid mit ihr zu fühlen.

Aber trotzig kämxfte ich jede sanfte
Regung nieder und stellte mich schla-
fend, bis mein Freund droben mit
seinem Zimmermarsch aufhärte, und
ich wirklich wieder in Schlummer
versank.

Am nächsten Morgen war
Lessoir nicht beim Lrühstück zu-
gegen; er ließ sich durch das Dienst-
mädchen entschuldigen und uns
sagen, daß ihn fürchterliche Schmer-
zen zu einem Augenarzt getrieben
hätten. Nach verlauf von zwei
Stunden machte er mit zerstärtem
Aussehen und einem verbundenen
Auge seine Aufwartung. Meine
arme Frau erblaßte und fragte in
fieberhafter Aufregung: „Um
Gotteswillen, wie steht es?"

„Ls thut mir unendlich leid,

Ihnen sagen zu miissen," hauchte
er mit schwacher Stimme, „daß Ihr
Aamillenbad mein Augenlicht ge-
fährdet hat. Ihnen will ich es
nicht nachtragen, denn Jhre Ab-
stchten waren jedenfalls die besten.

Aber das Sammelwerk von Unsinn
und Gemeinschädlichkeit, durch wel-
ches Sie sich leiten ließen, ver-
wünsche ich in den tiefsten Abgrund
der Ljöllel"

„D, lege doch das unglück-
selige Rezeptenbuch ins Feuer,"
seufzte meine Frau. Ukit der
Schuelligkeit des Biitzes stürzte ich
auf den Schrank zu, riß die Thüren
auf, nahm däs Ungetüm heraus
und schleud'erte es in die xrasseln-
den Flammen des Uaminfeuers,
die sogleich lustig daran emxor-
züngelten.

Mein Freund verließ an
demselben Abend in gedrückter
Stimmung uuser kjaus; am näch-
steu Tage jedoch erhielten wir ^

eine Dexesche des Inhalts, daß eine bedeutende Besserung ein-
getreten sei, und nach einer Woche verkündete Lessoir die voll-
ständige wiederherstellung seiner Sehkraft. Uieine Frau atmete
auf; sie war vollständig von ihrer Manie geheilt, und wenn
Ukathilde seitdem manchmal bei einem Anfall ihrer früheren
Sammelwut nach der Schere greift, brauche ich nur „Kamillen-
bad" zu sagen, dann entfinkt die erhobene lvaffe ihrer kjand
und der Oämon des Rezeptenbuches entweicht schleunigst aus
dem gefeiten Ureise unseres häuslichen Glückes.

Auf dem Vasse.

Fräulein: „kjerr Lieutenant, Sie sind ja heute recht schweigsam."
Lieutenant: „Ia, moltketiere!"

verantwortlicher Redakteur: !Nax Schreiber. Druck und verlag von I. F. Schreiber in Lßlingen bei Stuttgart.

Geschäftsstellq in München, Schubertstratze 6.
 
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