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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0067
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Neggenüorfers Humoristische Blätter.

59

0^ VII' . . .

Skizze v-m Th. Müller.

em auffallend hübschen jungen Mann, der bis jetzt init
der Miene stiller Gliickseligkeit von seinem jdlatze vor
dem eleganten Boulevard-blaffee aus in die vorüber-
flutende Menge gesehen hatte, schien xlötzlich ein lustiger Ge-
danke zu kommen. Lr sprang auf und winkte einem älteren
kserrn, der nach einem sreien Stuhle sxähte. Ietzt hatte dieser
seine lebhaften Zeichen bemerkt.

„Welch angenehmer Zufalll bester Graf," rief er, „ich
komme, ich kommel" Jndes, das ging nicht so rasch, die Beine
schienen bei dem alten kserrn nicht mehr zum besten zu sein.

Der Graf, welcher ihn, sein Lächeln noch aus den Lixxen,
beobachtete, wie er trotzdem jugendliche Llastizität zu heucheln
suchte, murmelte in sich hinein: „Gh, die Nachricht, welche ich
ihm mitteilen werde, wird wohlthätig auf seine Gehwerkzeuge
einwirken, ich wette, er läuft heute noch die halbe Stadt ab, um
sie so rasch und so weit als möglich zu verbreiten, und das ist's,
was ich will, mein Glück kann gar nicht rapid genug unter die
Leute kommenl"

Nun war der Baron heran und er nötigte ihn, sich zu
setzen. „Ah, mein werter junger Freund, wir sehen ja vortreff-
lich aus", sagte dieser, sein Visavis lächelnd betrachtend, „ja
die Iugend, ach die Iugend!"

„Nun, jnng zu sein ist kein verdienst, sich aber die
Iugend zu erhalten, das ist eines, und darin, Baron, sind
Sie unübertrefflicher Meisterl"

Der Barou wehrte mit den bsänden ab, aber das Aomxli-
ment hatte ihm ersichtlich wohl gethan. Lr hatte zweiSchwächen:
diese, für jung gehalten zu werden und eine weitere, Neuig-
keiten zu verbreiten.

Als ihn daher der Graf, gemütlich ein Bein über das
andere legend, nach einer kleinen Pause mit einem Blicke ansah,
der ihm deutlich sagte: „Du wirst horchenl" hatte er auch schon
dessen bsand gefaßt und sagte: „Ah, bester Graf, Sie haben
sicher eine kleine Neuigkeit für mich, bitte lasscn Sie mich nicht
lange schmachten, Sie werden sehen, ich bin in der Lage mich
zu revanchieren . . . oh, ich habe soeben bei einer Lousine etwas
sehr jdikantes erfahren ... I"

„Ia, ich habe etwas für Sie", unterbrach ihn der Graf
„. . denken Sie, ich habe mich vor kaum einer Stunde mit
Lomtesse Saillie verlobt, ich bin überglücklich, unsere vermäh-
lung wird noch diesen bserbst stattfinden ... I"

Der Graf hielt inne und betrachtete den Baron mit höch-
stem Lrstaunen. Seine Neuigkeit hatte nämlich auf diesen eine
großartige kvirkung ausgeübt, sie hatte ihn eine Art Luftsprung
ausführen lassen. Dann hatte er sich wieder gesetzt und nun
murmelte er schon das dritte Mal: »kuuvre umi, puuvrs umi l-
„Aber so sagen Sie mir doch ... I"

„verzeihen Sie, es ist ja nichtsl"

Der Graf wurde ernst. „kserr Baron, Sie sind mir eine
Lrklärung schuldigl"

„Aber bester Grafl"

„Ich bestehe daraufl"

„Jch sehe, Sie würden Jhren wunsch, mich Jhnen zu er-
klären, mit dem Degen in der Faust wiederholen; Saxristil
inan hat nur ein Leben in die Schanze zu schlagen, ich werde
also reden . . . ich versxrach Jhnen eben eine Neuigkeit nnd
— welcher Zufalll — gerade die betrifft die Lomtessel Ich
komme von einer Lousine, wie ich schon sagte, und diese hat
gestern eine Zofe engagiert, welche direkt aus dem Dienste der
jungen Lomtesse kam . . . diese Zofe nun hat Aussagen ge-
macht . . ."

„lsat sich diese Person an die vergangenheit der Gräffn
gewagt?"

„Nein, nein, das nicht."

„Nun also — Dienstbotenklatschl"

„Ls scheint doch nicht."

„Ich bitte um vollste Mffenheit."

„wollen Sie mir nicht doch lieber erlassen zu sxrechen?"

„Das kann ich jetzt unter keinen Umständen mehrl"

„Nun denn — aber es ist schrecklich sür inich, in dieser
delikaten Angelegenheit agieren zu miissen und ich kann dieses
Geheimnis auch nur direkt in Jhr Ghr hauchen . . . die Lom-
tesse, dieser Lngel von Angesicht, diese venus von Gestalt hat
. . . hat . . . wie soll ich mich nur ausdrücken . . . hat
inkorrekte Beine!"

„Inkorrekte Beine??"

„Sehr inkorrekt", der Baron streckte beide Ieigesinger
und schrieb mit diesen ein ,D' in die Lust, „s 0 behauptet die
Zofe."

Der Graf sprach kein kvort mehr. Lr versank in so tiefes
Nachdenken, daß er nicht einmal bemerkte, wie der Baron sich
erhob und empfahl.

Solche Beinel Das war allerdings entsetzlich. Das konnte
der heißesten Liebe einen Dämpfer aufsetzen. Lr hörte sich
schon den ,Gatten der Dame mit den inkorrekten Beinen'
nennen . . . aber es konnte nicht sein, mochten die Lästerzungen
behauxten was sie wollten, er wollte sein gegebenes U)ort
halten, nichts sollte ihn beirren und mit der Waffe in der

ksand würde er jedem entgegentreten.und doch . . .

in seinem Schädel summte es ununterbrochen: ,solche Beine,
solche Beine . . . er hielt es nicht mehr aus, er rannte fort,
er mußte erst zur Ruhe kommen, dann wollte er weiter über-
legen. —

Der Baron war indes das Trottoir entlang gehumpelt,
hatte, um den desolaten Zustand seiner Gehwerkzeuge zu ver-
bergen, da eine Auslage, dort irgend etwas Anderes betrachtet
und dachte schon, sich auf den kseimweg zu machen und den ge-
quälten Gliedern Ruhe zu gönnen und das hochxikante Aben-
teuer mit dem Grafen nochmals zu durchdenken, um morgen
planmäßig an dessen verbreitung zu arbeiten, als er sich beim
Namen gerufen hörte. Sich seitwärts wendend, gewahrte er
eine hübsche Dame, welche einen reizenden Tilbury, Groom
hinten auf, kutschierte. „Ah, wie charmant, Madame cle ^urre-
tisrs, ich küsse Ihnen die bsandl"

„wissen Sie, daß ich Ihnen schon zehn Minuten nachfahre
und können Sie den Grund davon erraten?"

„In der That ..."

„Nun, ich will ihn Ihnen sagen. Sie wissen, ich bin entsetz-
lich neugierig und Sie machen heute ein Gesicht, Baron, als
ob Sie wieder einen Sack voll der xikantesten Neuigkeiten bei
sich trügen; aber, ullons, schwingen Sie sich herauf zu mir,
ich fahre Sie spazieren und setze Sie sxäter vor Jhrer woh-
nung ab?"

Die Einladung war dem Baron aus zweierlei Gründen an-
genehm, aus einem dritten unangenehm.

Sie war, ihm angenehm, weil er müde war, und nun eine
teure Droschke ersxaren konnte und dann, was gab ihm das
wieder „Relief", wenn man ihn an der Seite dieser schönen
Witwe sah, die auf dem direktesten Wege war, eine der Mode-
löwinnen zu werdenl: „Seht da, diesen Baronl" würde er
wieder heißen, „da fährt er mit der schönen jsarretiers; dic
ewige Iugend, der reine Teufelskerl, dieser Baronl"

Der unangenehme Grund war der, daß er ahnte, sein
wunderhübsches Geheimnis, mit dem er Furore zu machen
dachte, werde sie bald zur Mitwisserin haben, dieses weib
brachte alles aus ihm heraus, und dann konnte er es ihr nur
 
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