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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0107
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Meggendorsers Humoristische Blätter.

99

Der Alops.

Humoreske von Muna.

inige Zeit darauf reiste ich nach S., um dort einen meiner be-
sten Freunde zu besuchen. Jn N. hatte ich mehr als eine
Viertelstunde Aufenthalt und setzte mich daher auf den
perron des Bahnhofs, Zeitung lesend. Als ich das Blatt wandte und
aufsah, bemerkte ich eine junge Vame, welche eine Reisetasche
und allerlei kleine Sächelchen trug und an den Tischen des
Perrons suchend entlang schritt. Sämtliche Tische waren be-
setzt, nur an dem meinigen war ich der einzige Gast. Nachdem
sich die junge Dame vergeblich nach einem unbesetzten Tisch um-
geschaut hatte, entschloß fie sich augenscheinlich mit Ueberwind-
ung an dem Tisch, wo ich mich bereits niedergelassen hatte,
plah zu nehmen. Sie merkte, wie ich sie mit „den Blicken
verschlang" und schlug errötend die Augen nieder; dieser Augen-
niederschlag hatte etwas so Riihrend-bittendes, daß ich wieder
meine Zeitung ergriff, sie zwischen uns haltend, um mich so
ihren Blicken zu entziehen. Meine Aufmerksamkeit war aber
gering. plötzlich bemerkte ich in meinem Zeitungsblatte gerade
zwischen den Ieilen eines sehr ernst gehaltenen Artikels über
die augenblickliche weltlage einen kleinen Riß; durchschauend
konnte ich mein schönes Gegenüber deutlich sehen. Jch konnte
meine junge Nachbarin nun ganz ungestört beobachten. Mittel»
groß, schlank, wohlgeformt war das reizende Geschöxf; es hatte
etwas Madonnenhaftes an sich, das vermehrt wurde durch seine
Frisur. Im Gegensatz zu den Modernen ihres Geschlechtes
trug sie glatt an Scheitel und Schläse anliegende Lsaare, so
daß die edle Form ihrer Stirne und ihres Aöpfchens bedeutsam
hervortrat. Da sie ihre großen Augen niederschlug, konnte ich
ihre langen Wimpern bewundern. So saß ich wohl einige
Minuten, so aufmerksam „zwischen den Zeilen des Leitartikels"
lesend, wie ich es bis dahin noch nie gethan hatte. plöhlich
sah sie empor; sie sühlte mit weiblichem Instinkt meinen
glühenden Blick auf sich gerichtet; sie bemerkte den Riß. Ueber
und über errötend wendete sic ihr Röxfchen, doch schien es mir
als glitte ein verstecktes, ganz leises Lächeln über ihre schönen
Iüge. Gleich darauf ging ein Gepäckträger an uns vorbei;
sie fragte ihn vergebens über verschiedene Dinge um Auskunft.
Da ich über die betreffenden Angelegenheiten orientiert war,
mischte ich mich in das Gespräch. Sie sah inich halb erstaunt,
halb vorwurfsvoll an, schien inir aber zu verzeihen. Durch
einen bescheidenen, ritterlich-ehrerbietigen Ton suchte ich wieder
gut zu machen, was ich vorhin durch meine neugierigen Blicke
verbrochen hatte. lvir kamen schließlich in ein Gesxräch. Sie
redete natürlich, aber doch in einer Meise, die jede Aühnheit
und jede neugierige Frage zuriickhielt; das machte der Iauber
reiner lveiblichkeit, die unbewußt ihre Macht ausübte. Ich er-
fuhr nur, daß sie nach meiner Universitätsstadt reise, um ver-
wandte zu besuchen. Beim Linsteigen in den Zug war ich ihr
behilstich; ich raffte ihre Taschen und Sächelchen an mich und
sie ließ es ruhig geschehen. In dem Moment, wo sie in das
Damencoupö einzusteigen im Begriff war, saßte ich einen Ent-
schluß, der mir später unerhört kühn schien. Ich nahm die
Rose, die ich in meinem Anopfloch trug und sagte: „Mein Fräu-
lein, für die kleinen Dienste, die ich Ihnen geleistet habe, sind
Sie mir auch einen kleinen Dank schuldig; nehmen Sie, bitte,
diese Rose; sie wird bald verwelken, so schnell, als Sie meine
Dienste vergessen werden." Sie schien einen Moment zu zögern;
dann griff sie schnell, ihr Aöpfchen neigend, nach der Blume;
es war eine schäne la Rrance. Der Zug brauste von dannen.
Ich blieb einen Augenblick stehen und kam mir plötzlich wie
verlassen vor. Ich mußte unwillkürlich an das verlaufene
„Schnäuzchen" denken und lächelte.

Bei meinem Freunde amüsierte ich mich herrlich. Ich hatte
ihm mein kleines Abenteuer erzählt und wurde nun von ihm
in einem Areise lustiger Gesellen geneckt.

(Schlllß).

Einige Tage nach meiner Rückkehr besuchte ich wieder
meinen alten Freund, den professor. !vie gewöhnlich öffnete
mir Frau Miiller die Thüre und auch Schnäuzchen empfing mich
mit freudigem Gebell. Als ich in die Studierstube des Professors
trat, bemerkte ich eine fremde Person, welche an einem Tische
säuberlich Uaffeetassen aufstellte. Mein Gönner eilte mir ent-
gegen und rief: „Ach, da sind Sie ja wieder, ich habe Sie aber
arg vermißtl Gerade jetzt, wo ich an einsm entscheidenden
Punkte meiner Broschüre angelangt binl Sehen Sie, da steht
siel" Tr wies auf die venus; meine Blicke glitten an ihr vor-
bei und richteten sich auf die fremde Person im Zimmer. Ls
war meine Lisenbahnbekanntschaftl Sie hatte mich, wie mir
schien, längst erkannt; an ihrem Busen bemerkte ich eine lu
Arance, schon ziemlich verwelkt. Während ich nach der jungen
Dame schielte, sagte ich, wie auf seine worte erwidernd: „Ia
und wie schön sie wieder istl" Meine junge Freundin errötete
und schlug ihre Augen nieder. „Ach," rief der Professor schnell,
„da habe ich ganz vergessen.... also hier, liebes Gretchen,
bserr .... und hier meine Nichtel Sie ist seit einigen Tagen
bei mir und wird es immer bleiben, nicht wahr Gretchen?" Die
junge Dame nickte leise mit dem Aopfe. — Ich blieb zum
Aaffee; wir xlauderten allerlei. Ich erzählte von meiner
Reise; aber mein ahnendes Gefühl und ein bittender Blick von
Fräulein Gretchen hielten mich ab, dem „Vnkel" unser Aben-
teuer zu verraten. Als der Professor einen Augenblick das
Zimmer verlassen hatte, sagte Gretchen leise, aber hastig: „D
bitte, bitte, sagen Sie nichts meinem Gnkel, er würde sehr böse
seinl" Der wiedererscheinende Dnkel schnitt weitere Ausein-
andersetzungen ab. Seit jenem Tage war ich noch öfter bei dem
Professor als sonst. Um es kurz zu sagen, ich verliebte mich
sterblich in Gretchen und ich merkte, daß meine Liebe nicht ohne
Gegenliebe war. Ich hätte dem Lngel oft um den Hals fallen
können, aber — der Gnkel. — Allein traf ich die Aönigin meines
kserzens nie; der Vheim ließ sie nie allein ausgehen; wenn auch nun
Frau Müller in das Geheimnis unserer kserzen eingeweiht war
und es begünsrigte, so blieb ihre Gesellschaft doch ein bsinder-
nis. Das Beste, was man unter vier Augen sagt, mußte ich
verschweigen. Lines Tages, als ich auf der Universität wieder
Schnäuzchen fütterte, überkam mich ein teuflischer Gedanke.
N)ie, wenn ich Schnäuzchen zu unserm Boten machtel Ich
teilte meinen Einfall Gretchen mit. Sie sagte anfangs: „Ach,
Sie schlechter Nenschl" gab aber auf mein Drängen ihren lvider-
stand sehr bald auf. So entstand dann eine kleine Postver-
bindung zwischen mir und ihr, bei der der Mops den Brief-
träger abgab; unter seinem Lsalsbändchen war der Brief-
kasten, in dem die Briese von und zu der Universität ge-
langten. lvelch einen Reiz hat dieses versteckte Spiel heim-
licher Liebel Des Morgens, wenn ich erwachte, war mein erster
Gedanke: das ksalsbändchen, der Briefl Dann jubelte mein
kserz vor lvonnel Schließlich aber sagte ich mir: mein lieber
Freund, das geht nicht so weiter. Ich hielt mir selbst eine
regelrechte Gardinenpredigt solgenden Inhalts:

Mein Ich: Schämst Du Dich nicht, den guten professor zu be-
trügen?

Mein Du: Allerdings schäme ich mich sehr ....

Mein Ich: Und noch dazu durch ein unvernünftiges Tier, das
er gern mag, das ihm aber nichts verraten kannl Ist das
nicht arg?

Mein Du: In der That, arg, sehr argl
Mein Ich: Und nun gar das Mädchenl nicht bloß, daß Du
schuldig wirst, Du verwickelst es beflissen in Deine Schuld;
Du zerstörst ihr gutes Gewiffen dem Gnkel gegenüber, Du
verdrehst ihr den Aopf, erregst Hoffnnngen in ihrl und es
ist ein braves Mädchen. lvillst Du dieses frivole Spiel
 
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