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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0117
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Meggendorfers Humoristische Blätter. isOY

Schsechte Ausrede.

Frau (w-Iche ganz unverhofft ihrcm Mann begegnet): „Aber warum hast Du
denn Deinen Lhering hcrunter?"

Mann: „Ach . . . bei der ksitzel"

Das ^seuöonym.

von Slcgfried Nagcl.

s war eine ärmliche Dachstube, in der er saß; denn er
war ein junger Dichter; junge Dichter sitzen immer in
ärmlichen Dachstuben. Sein Gesicht trug den Stempel
langjähriger Entbehrungen, war aber oval geformt. Die klaren,
blauen Augen leuchteten, und die hohe Stirne trug das Siegel
unerschiitterlicher Araft und hcchen Genies. Lr hatte also alle
Anlagen, ein echter Dichter zu sein. lfätte er in keiner ärm-
lichen Dachstube gelebt, kein oval geformtes Antlitz, grasgrüne
Augen und eine niedrige Stirne gehabt, und wäre er wohlbeleibt
in einem schönen Zimmer der ersten Ltage gesessen, es wäre
ihm vielleicht nicht eingefallen, zu dichten. Aber die Redakteure
wollten alle diese echten Dichtertugenden nicht würdigen und
schickten ihm alles zurück. Lr versuchte es mit Leitartikeln
voll beißender Satire für das Blatt der äußersten Linken, und
mit dem Lrwachen der ersten Liebe für das ,Familienjournall,
mit Sonetten fiir die ,Dichterlaube' und mit saftigen Witzen für
die ,lferrcnbibliothek'; aber alles kam zurück. Der junge Dichter
sann immer wieder nach, welches Blatt Beiträge „nimmt", und
schrieb blutrot oder tiefschwarz, für höhere Töchter und für
decadente Söhne, und doch wollte es nicht gelingen; denn er
hieß Franz Müller. Lr grollte seinem Vater für den Namen
Franz, und seinem Urahnen für den Namen Müller; mußte
der gerade ein schnödes Gewerbe treiben, anstatt Ariegsmann
zu sein, sich zum Ritter schlagen zu lassen, mit dem ehrenden
Prädikat v. Schneuzingen. Sein vater hätte ihn dann sogar
Franz taufen können, aber er hätte es sicher nicht gethan; er
hätte lferibert, Lothar oder waldemar gewählt, und diesem
lferibert v. Schneuzingen wäre Thüre und Thor offen gestanden;
gar nicht davon zu reden, daß der Ahne wenigstens etwas
falsches Mehl unter das echte hätte mischen können, um
dem Lnkel so etwas wie eine halbe Million zu hinterlassen;
dann wären sogar dem Franz Müller die Leute mit offenen
Armen und noch offeneren kjänden entgegengekommen. So
aber grollte Franz Müller seinem vorfahren, zumal da soeben
der Briefträger eine größere Anzahl voluminöser Pakete brachte,
die alle aus Redaktionen kamen. von Franz Müller bringt
man nichts. lver ist Franz Müller? Lin Nichts, ein Atoml
Ia, wenn man lferibert v. Schneuzingen hießel Der eine
Redakteur schrieb: „Zu meinem größten Bedauern sehe ich
mich," der andere: „Leider sind wir nicht in der. . ." und alle

Das ssseudonym.

schlossen mit dem Rehrreim „mit verbindlichstem Danke
zurück." Diese lföflichkeiten waren aber gedruckt. Linst
verklebte Franz Müller die Seiten mit Gummi. Der red-
selige Redakteur beklagte sich iiber die mangelnde Lharak-
teristik und die fehlende j?ointe. Das Manuskrixt war
aber noch immer zusammengeklebt. wo war die man-
gelnde Lharakteristik? Ls gibt keine mangelndere als

Franz Müller. lvo fehlte die pointe? Die Unterschrift
war Franz Müller. Unser kfeld begann zu verzweifeln.
Sein letztes ksungertnch, an dem er seit lvochen nagte,
hatte er fast aufgezehrt. Da kam ihm eine geniale Idee.
Lr schrieb eine Skizze voll scharfer Ausfälle gegen die
Maifeier und sandte sie an die radikalste Zeitung des
Landes. Darunter schrieb er kf. R. v. S. Der Lseribert
v. Schneuzingen hatte sich in seinem Ideenkreise festgenistet.
Tags darauf kam eine Zuschrift: „ksochwohlgeborener
kferrl Ihre liebenswürdige Linsendung hat uns sehr
erfreut; nur sind wir leider nicht imstande, die unstreitig
gut beobachtete Skizze zu bringen, da sie der Tendenz
unsres Blattes zuwiderläuft. lvenn Sie aber Jhre gesch.
Feder in den Dienst. . . ." So ging es fort. Franz staunte.
Sosort setzte er sich nieder und schrieb eine vernichtende
Rritik gegen das Strauchrittertum und sandte sie in die Freudal-
zeitung. Darunter stand ls. R. v. S. Ls dauerte kaum zwölf
Stunden, als er einen Brief bekam, worin ihn dcr Redakteur
flehentlich bat, seine eigenen Standesgenossen nicht zu brand-
marken. „Fm übrigen reflektiere man gerne." Franz staunte
schon nicht mehr. Lr wechselte rasch die Manuskrixte und
sandte sie ab. Binnen zwei Tagcn erschien in den radikalen
Blättern der blutrote Artikel, und in der Feudalzeitung der
andere. Die wenigen Leute, die beide Zeitungen lasen, staunten;
zu den wenigen aber gehörte auch der Redakteur der freisinnigen
lvochenschau. Tags darauf erschien ein flammender Leitaufsatz,
worin auf die krasfen Uebelstände in den andern parteien hin-
gewiesen wurde, indem einem Feudalen in den Sxalten der
Radikalen Raum gegeben werde. Iedes dritte lvort war
„Rorruption." Daraufhin kam in den Radikalen eine Berich-
tigung, worin betont wurde, daß ls. R. v. S. ein hervorragen-
der Schriftsteller und einer der treuesten Mitarbeiter sei, und
daß die Feudalzeitung die llnverschämtheit gehabt habe, dem
Autor eine seiner unreifen Iugendarbeiten herauszulocken,
während er durch Lrfahrung seine Ansichten bedeutend gemil-
dert habe. Ganz ähnlich schrieb die Feudalzeitung. Und nnn
wogte im Blätterwald ein heftiger Sturm wegen ls. R. v. S.
Die Feudalzeitung meinte, der Autor des betreffenden Artikels
sei ja keiner von den Müllers und Meiers, mit denen die
Radikalen nur so umsxringen könnten, sondern ein Mann von
Rang und Namen. Alle Zeitungen sxrachen von H. R. v. S.
Die eine meinte, hinter diesem Namen verberge sich ein unab-
hängiger Mann, der den freidenkenden Rreisen nicht unbekannt
sein dürfte, die andere meinte, die beiden Artikel seien von
einem hohen Beamten insxiriert, der mehr wisse als die gewöhn-
lichen Menschen; die dritte, endlich sei unter den höheren
Rreisen ein Mann erstanden, der stch gleicherweise gegen den
Terrorismus von unten und von oben wende. In der vierten
endlich erschien ein Artikel: Die lvahrheit über H. R. v. S.
Und nun erzählte sie ein wunderhübsches Märchen. Dies
dauerte lange fort, und die ganze Stadt, das ganze Land kannte
nur eine Frage: „lver ist ls. R. v. S.?" Da erschien eines
Tages der Bericht, das Residenztheater habe ein Stück des
bekannten Publizisten ks. R. v. S. zur Aufführung angenommen.
„Der hochstehende Autor," hieß es weiter, „hüllt sich in das
pseudonym Franz Müller; wieso er auf die Idee gekommen
ist, gerade diesen banalen Namen zu wählen, ist unbekannt."
 
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