Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 36.1899 (Nr. 419-431)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16697#0018
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Meggendorfers Humoristische Blätter.


Nachbarin, Luer Fläschchen! Meh uns, dreimal wehl" Jch
mußte über meine kleine Frau lachcn, aber in meinein Innern
tauchte die triibe Ahnung gestörten Friedens auf. —

Als wir die Treppe hinunterstiegen, begegneten wir den
Neuangekominenen; große Freude und Bcgrüßungl „Mein
verehrter kserr v. 5., 5ie hier! UAe reizcnd Frau v. S., Sie
hier so überraschend zu trcffcnl Wir koinincn direkt von B.
Msscn Sie schon das Neueste? Die prinzessin G. hat einen
Fahrradklub für unverheiratete Damen der vornchmen Gesellschaft
gegründet; man ist sich aber noch nicht über das vereinskostüm
cinig; ist das nicht iuteressant? Schade nur, daß wir die erste
Ausfahrt nicht init ansehcn können l Ls wird Sic auch interes-
sieren," sagte die Baronin, geborene Miiller, zu ineiner Frau,
„zu hören, daß sich die Gräfin F. — Sie kennen sie dochl —
init dcin Baron A. verloben solll Aber ich weiß es besser;ich
glaube nicht daran, sie hat inir selbst etwas andores gesagt . . .
ja, ich kenne sie sehr gut, (das „sehr" betonte sie), sie ver-
kehrt in unsercin lsause; bei Ihnen gewiß auch?" — „Nein,"
sagte meine Frau. — „So, ich dachte," sagte die Baronin,
augenscheinlich befriedigt. „Uobrigeus," begann der Präsident,

„komint Jhre lsoheit, die Erbprinzessin.nächstens

hierher aus Berlin, uin das Ainderheim in N. sich anzu-
sehen." — „Du wirst ihr doch ein Bouquot überreichen,"
sagte die Präsidentin zu ihrem ehelichen Gemahl gewendet.
„Sicherlich, liebe Frau!" — „lvir haben nämlich Beziehungen,"
erläutcrte die präsidentin; „gefällt Ihnen die Tochtep, j)rin-
zessin Gerti? Ich sinde sie rcizend." — „Das kann ich nicht
findon," sagte meine Frau, „ich halte sie fllr hochnäsig." —
„Ach, wir haben das nie gefunden," erwiderte die Baronin,
„gegen uns war sie iininer die Licbenswürdigkcit selbst . . . ."
„Aber Sie werden gewiß auszupacken haben," sagten wir.
— „Lsoffentlich sehen wir uns recht bald wieder," antwortete
das Aleeblatt im Lhor. — Als wir uns getrennt hatten, sah
mich ineine Frau, ich meine Frau an; wir hatten uns ver-
standen. „Wcißt Du," sagte sie, „ein Trost bleibt uns: unser
Nest, d as entdecken sie nicht!" Ich nickte; init Malkasten und
Buch bewaffnet zogen wir in unser Waldversteck. Als wir
auf unsere Ziiniuer zuriickkehrten, fanden wir drei visitenkarten
vor, je eine von dem präsidenten und der Präsidentin; auf der
dritten stand „Baronin von P ....", das „geborene Müller" war
weggelassen. Als wir das Mittagszimmer der oberen Zehntausend
betraten, befand sich das Uleeblatt bereits in Unterhaltung mit den
übrigen Tischgenossen; es hatte sich ihnen schleunigst bekannt
gemacht. Man schien über die Themata, welche die Ankömm-
linge auf das Tapet brachten, nicht allzu entzückt zu sein; die
Unterhaltung war matter wie gewöhnlich. Line Pause benutzte
der vertretcr des Rleeblatts, um also vernehmlich zu reden:
„Uebrigens habe ich aus ganz sicherer Tuelle erfahren, daß
unsere Gesellschaft bald um eine interessante Lrscheinung bc-
reichert werden wird; Seine Lxcellenz, der NUnister p. wird
hier in wenigen Tagen mit seiner Familie Anfenthalt nehmen."
Ls trat einen Augenblick Stille ein, die der Redner beniitzte,
um den Lindruck seiner kvorte zu beoba-chten; cr war sichtlich
unzufrieden, denn die Anwesonden ließen sich aus der Betrach-
tung und xraktischen verwertung des geradc servierten Aalbs-
bratens nicht im mindesten herausreißen. „Ich freue mich sehr,
wir freuen uns sehr, Seine Lxcellenz wiederzusehen," fuhr
der präsident mit erhobener Stimme fort. „Mr haben ihn
und Gemahlin," fuhr die Baronin ergänzend fort, „öfter in
Berliner Hofgesellschaften gesehen, cr ist ein sehr liebenswür-
diger bserr, kennen Sie diese Familie, Frau v. S.?" — „Nein,"
sagte meine Frau lakonisch, in dem Genusse ihres Salats fort-
fahrend, „wir haben nur von ihr gehört, durch Verwändte."

Die Baronin sah uns mitleidig an.-—

Am nächsten Morgen zogen wir wieder heimlich, mißtrau-

ische Blickc um uns werfend, nach unserm „Nest." Als wir
den lvald bereits erreicht hattcn und, um eine Lcke biegend,
einen Teil des zurückgelegten lveges überschauen konnten,
siüsterte mir meinc Frau ins Ghr: „lvir werden verfolgt, das
Alcoblatt ist auf unserer Fährte, sieh Dich aber nicht um, um
koinen Preis!" Zur Seite schielend bei einer lvegebiegung,
sah ich, wic recht sie hatte; wie ein Lseer nahte uns der Feind,
die Baronin als Avantgarde, als Gros der Armee dic Präsi-
dentin, als Nachhut solgte der Präsident, sich von Zeit zu Zeit
die Stirn wischend. Sie beeilten sich augenscheinlich; „schreiten
wir schneller," sagte meine Frau, „vielleicht entgehcn wir ihnen,
wenn wir dort die Ecke zur rechten Zeit erreichen, den platz
finden sie so leicht nicht." —

Als ich gerade die interessante Lektüre eines neuen Aaxi-
tels begann und mcine Frau den letzten jdinselstrich an ihrem
Bilde „lvaldeinsamkeit" machen wollte, hörten wir plötzlich
Schritto auf dem Aieswege und im nächsten Augenblicke ertönte
es: „Nein, sind Sie aber gut zu Fuß, fast wie die prinzessin
S., dic neulich das Matterhorn bestiegenl lvie reizendl Sie
malen und ohne vorlagel" Da stand das Aleeblatt pustend
und fächelnd; wir begriffen in dem Augenblicke, wie man einen
verhaßten Gegner vom Felsen in den Abgrund stoßen könne.
„Lin reizendes Plähchen," sagte die Baronin, „aber lassen Sie
sich gar nicht stören! (Sie betonte das „gar nicht"). lvenn Sie
gestatten, setzen wir uns zu Ihnen und genießen so Natur und
Gesellschaft; die Gräfin A. sagte neulich zu mir: das lööchste,
wenn sich Natur und Aunst vereinigenl Uebrigens wissen Sie
schon, daß sich die Baronin lv. von ihrem Manne scheiden
lassen will. Ein großer Skandal, na er war aber auch zu leicht-
stnnigl lvie konnten die beiden zusammenpasscn I Meine
Lousine, die Gräfin D. erzählte mir neulich, wie er ihre Be-
kanntschaft gemacht hatl Lr: Rittmeister, sie: ein unerfahrcnes
Mädchen von siebzehn Iahrenl" — „ksier ist übrigens die
Zoitung," sagte der Präsident, „dcr Minister kommt ganz sicher,
meine Lrkundigungen waren richtig!" — „lsaben Sie dieses
Iahr viel Gesellschaften mitgemacht?" flötete die Präsidentin;
„das einzige, was man hier vcrmißt, ist die geistige Anregung,
ich meine . . ." Meine Frau fiel ihr boshaft ins lvort. „Sie
sxrachen vorhin, Baronin, von Ihrer Lousine Gräfin D.; ich
kenno sie gut; wie ist sie mit Ihnen denn verwandt?" — „D,"
sagte dic Baronin, „sie ist die Schwägerin mcines angeheirate-
ten vetters." — „Ach so l" sagte diesmal meine Frau, was ihr
einen giftigen Blick des Aleeblatts einbrachte. Line Stunde
drauf, nachdem wir in der Unterhaltung alle Anstrengungen
der Saison noch einmal durchgemacht hatten, empfahlen sich die
dreie mit den lvorten: „lvenn Sie erlauben, treffen wir noch
recht oft hier zusammen ..." — „Um," fuhr mcine Frau fort,
„die lvaldeinsamkeit zu gcnießenl" — „Gewiß," sagten die
Arglosen, also auf lviedersehnll" Als sie fort waren, dekla-
mierte meine Frau zur Bank gewcndet:

Meine Ruh' ist hin, ! Ich finde sie nimmer,

Mein lserz ist schwer, ! Ach nimmermehr! —

Zwei Tage daraus saßeiz wir wieder auf der veranda und
tranken, friedlich wie wir gesonnen, unsern Morgenkaffee; xlötz-
lich erschien die Baronin ganz außer Atem, uns aufgeregt be-
grüßend: „lvissen Sie schon?" — lvir dachten beide der Präsi-
dent der vcreinigten Staaten sei ermordet worden. „Nein," sagte
meine Frau. — „Sie kommen, sie sind schon dal" — „lver denn?"
— „Nun, Ministers I" — Sie sah uns vorwurfsvoll wegen so ge-
ringen Interesses und verständnisses an. „Lr läßt sich," fuhr
die Baronin fort, „jetzt einen vollbart stehen, aber sie, die Lxcellenz,
geht immer noch, wie ihre Gcwohnheit in schwarz. lvie wir
uns freuen, sie hier zusehen!" — Den ganzen vormittag lag das
Aleeblatt auf der Lauer, den ersten Stock verteidigte der jdräfi-
dent, die veranda beherrschte die Präsidentin, während die
 
Annotationen