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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 37.1899 (Nr. 432-444)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16698#0074
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Meggendorfers Hurnoristische Blätter.

nahin jeder cine ber sein zugespitzten Aielsedern zur lsand, tauchte sie
in die schwarze Tintenslut und betrachtete hierauf mit sorgenvollem
Blick die vor ihm liegenden leeren pergamentblätter. Das war der
Anfang. tvenn's nur auch schon zu Tude wäre, mochten sich viele ge-
dacht haben. Die Art und Meise, wie die kserren arbeiteteu, war eine
ganz verschiedene. 2o viel ist aber gewiß, daß die Diener dcn ganzen
Tag still fluchend die Federn spitzten, welche die Räte auf die mannig-
sachste Meise, nur nicht dnrch eifriges Lchreiben, zu Grunde gerichtet hatten.

Der Aönig betrachtete'denn auch bei einem Besuche der feierlichen
Dersammlung die vcrschiedcncn Atärchenanfänge schweigcnd und entfernte
sich dann kopsschiittelnd aus dem Saale. lsierauf erhob sich einer der
ksorren, der wegen sciner erst vor kurzem erfolgten Lrncnnung ,der Iunge'
genaunt wurde, und richtetc folgende weise kvorte an das Lonsilium:
„lNeiue lserrcnl Ich habe entdeckt, was uns eigentlich zum Märchen-
dichten fehlt." — „Und das wäre?" rief man unisono. — „Ls ist die nötige
Stimmung," gab ,der Iunge' zur Antwort. „Ich beantrage daher," suhr
cr sort, „den Drt der Sitzung von diesem niichternen Saale mitten in
dic frcie Natur, in den Mald mit seincm vogelgesang und Duellenge-
murmel zu verlegen. Dort werdon uns die guten Ideen nur so zufliegen!"
Es bedurfte keiner langcn Debatte, um diesen vorschlag zur ?lnnahme
zu bringen. Denn dariiber war man einig — schlechter konnte es dort
unmöglich gehen als bisher.

Die Uebersiedlung machte keine große Schwicrigkeiten. Lin Tisch
und oine Bank im Walde war bald aus cinigen Brettern zusammenge-
zimmcrt. Die Versammlung wäre vollzählig gowesen, wcnn ,dcr Iungo'
nicht gefehlt hätte. Diesor kam crst nach einiger Zeit, mit cincm dick-
leibigcn Todex, den etwas ansteigenden lvaldwcg keuchend heraufgcschritten.
Nachdem er ein wenig Atem geholt, begann der großc Redner wicderum:
„Meine lserren, ich habe in diesem alten Buche, das ich mitbringc, eine
Stclle entdeckt, welche uns eine treffliche Grundlage fnr ein Utärchen
bildcn kann. Die ksauptperson in der Geschichto istjeine ksexe." — „AHI
eine lsexe," murmeltcn dio andern vor sich hin und lächclten.

„Sie unterbrechen michl Lesen sio die Geschichte selbst; ich glaube,
cs läßt sich etwas daraus machen." Der Lodox ging von ksand zu Lsaud
und nach vcrlauf von einer halben Stunde schrieb bereits jodor an
seinem Ulärchcn. Die Federn flogen nur so über das jdapier hin.

Der Uloud schicn bcreits aus ihre jdergamentblättcr, als sie endlich
fcrtig warcn und sich auf den kseimweg machten. „Ulein Ulärchen ist
schaurig schön geworden," sagte der einc, „es möchte einem völlig gruscln."
— „Schon wegen der ksexe," fiel ihm ein andrcr lachend ins lvort.

Bei der Priisung der Ulärchen hob der Aönig namentlich die aus-
siihrliche und mannigfaltige Schilderung dcr ksexe ancrkennend hcrvor.
Nnr ,der Iunge' hatte es hierin zu nichts Drdentlichem gebracht. Die
Frauen der Räte warcn natiirlich bcgierig, die belobten Zlrbeiten ihrer
Gatten zu lcsen. Dieso machten daraus ein Geheimnis; eine neugierige
Frau fiudet aber bekanntlich alles.'->"j

Am nächstcn Tage ,sollte dic beste Bcarbeitung ausgewählt und
prämiiert werden. —

,Der Iunge^ allein war srohen Ulutes und erstaunte über die trüb-
seligcn Gesichtcr seiner Kollegen. Bald klärte fich der Sachverhalt auf:
Die altcn Räte hatton heute früh ihre Arbeiten in kleine Stücke zer-
rissen gcfunden. — Es war aber auch zu schändlich!

Ieder hatte seine bessere Lhehälfte als Ukodell zu der Gestalt der
Lsexe benützt und der Aönig hatte diese Beschreibungen gelobt! VHI
diese Ukännorl

Da war nun guter Rat teuer. Utan hatto aber die Rechnung ohne
den ,Iungcill gemacht. Triumphiorend überroichte dieser — er war
Iunggoselle — dcm Aönig das ersto Nlärchen.

Äin Göhe.

"7>er Götze, der die Welt regiert
Und sie am Gängelbande führt,
Den alt und jung im bserzen trägt,
Der Utann und weib in Fesseln schlägt,
Der in jdalästen üppig thront
Und in der ärmsten lhütte wohnt,
vor welchem all' die Utillionen,

Ghn' Unterschied dcr Aonfessionen,
vereinigen im Staube sich,

Lr heißt: „Das liebe oig'ne Ich>"

W.
 
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