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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 37.1899 (Nr. 432-444)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16698#0080
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Neggendorfers Hurnoristische Blätter.

Der chahn.

humoresle von Mirr Ortl>.

or kurzem habe ich meinen alten Freund Max besucht.
Wir hattcn uns lange nicht mehr gesehen; denn als
wir in dcr kleincn provinzialstadt das Reisezeugnis
erhalten hatten, ging er nach Berlin, um seinem Studium ob-
zuliegen, mich dagegen trieb es hinaus auf die wogende See.
Ietzt nun kam ich zurück in denselben kleinen Vrt im kserbst,
wo die schönen Alleen mit gelben Blättern und braunglänzen-
den Aastanien bestreut waren, während dort, wo mein Fuß
lange Zeit vorher unsere alte Erde betrat, die immergrünen
palmen im Seewind schwankten. vor neunzehn Iahren hatten
wir uns hier zum erstenmal gesehen, mein Freund Max und
ich. Damals war die Aufnahmo-Prüfung im Gymnasium und
der kleine neunjährige Anirxs hatte durch sein schüchternes
Auftreten allgemeine Lseiterkeit erregt. Ich, der vierzehn-
jährige, hatte bald genug zu thun, um meinen kleinen Schütz-
ling vor den ksänseleien seiner krästigeren Gefährten zu be-
wahren. Nun waren neunzehn Iahre vergangen, in den letzten
zehn hatten wir uns nicht mehr gesohen. wie würde ich wohl
den srüher so unselbständigen Freund wiederfinden? Ich wußte,
wo er wohnte; dort glänzte mir an dem einfachen, netten

ksause das Porzellanschild entgegen: „Nbax S.praktischer

Zahnarzt." lsier also hauste er. — Bald stand ich in dem
schön ausgestatteten Empfangszimmer, wirklich, der Zahnarzt
wohnte auf jeden Fall molliger als der Seemann auf don un-
gebändigten Meeren. Lin rascher Schritt weckte mich aus
meinen Betrachtungen. Ein untersetzter, kräftiger Mann stand
vor mir, mich in artiger, zwangloser Weise begrüßend. Ia,
das war er, ich erkannte ihn wieder, trotz des dunklen voll-
bartes, trotz des bestimmten wesens, das mich doch umsomehr
an den schwächlichen Schulfreund erinnerte, je größcr die ver-
änderung war. Aber er wußte nicht, wen er vor sich hatte;
sein fragender Blick sagte es mir, uoch ehe er das geschäfts-
mäßige: „womit kann ich Ihnen dicnen, mein lserr?" aussprach.

„Aber Max, sieh mich doch an, kennst Du mich nicht mehr,
oder hast Du mich vergcssen?"

Lr sah iiberrascht empor.

„Wahrhaftig, Du bist's, Ldwin. verzeih, Du hast Dich
verändert, bist braungebrannt, dann die Uniform . . ."

„wir haben uns beide verändert, auch ich würde Dich an
einem anderen Grte als hier nicht wieder erkannt haben." Wir
schüttelten uns herzlich die lsände, um dann von den alten Zeiten,
von unscrm bisherigen Schicksal zu plaudern. Plötzlich sprang er auf:

„verzeih, daß ich Dich hier sitzen ließ, komm, ich muß Dich
meiner Frau vorstellen."

„Deiner Frau?"

„Ia, da hätte ich bald vergessen, Dir zu sagen, daß ich
verheiratet bin. Du mußt schon verzeihen, daß es so ist. Ich
weiß, Du warst von jeher ein Frauenverächter, nur sremde
Ukeere, sremde Länder reizten Dich. Meine Frau kennt Dich
übrigens sehr gut, ich habo ihr oft genug von Dir erzählt."

wir traten in einen Nebenraum, ein behagliches wohn-
zimmer, in dem mich Ukax auf eine junge Dame zuführte, die
soeben damit beschäftigt war, dem Dienstmädchen das Thee-
service abzunehmen.

„lsier bringe ich meinen alien lieben Freund Ldwin, der
direkt von Lsavanna zurückgekommen ist, um uns zu besuchen.
Du kannst ihm nun persönlich Deinen Dank abstatten, daß er
Deinen Nkann früher vor manchen Gefahren unter seine Fittiche
genommen hat," sagte Nkax zu ihr, und sie emxfing mich mit
einem reizenden Lächeln. wahrhaftig, Nkax hatte da einen
guten Geschmack gezeigt, daß er sich eine so niedliche Frau
nahm. Nkeiner vormundschaft war er entwachsen. Den ver-
führerischen Bitten der schönen Dame konnte man unmöglich
wiederstehen, und so saßen wir denn bald alle drei am wohl-
besetzten Tisch, wo ich den flinken ksänden der wirtin folgte,
die mit solcher Anmut ihres Amtes als bsausfrau waltete. von
diesen ksänden die Schale gefüllt zu bekommen, war sür mich,
den Seemann, noch ein weit höherer Genuß als sür gewöhn-
liche Sterbliche, bei dem ich mit wehmut an den letzten harten
Schiffszwieback zurückdachte.

Nach einer guten Stunde, in der ich soviel als möglich

mit der kleinen Frau geplaudcrt hatte, trat ich mit Nkax in

sein Studierzimmer. Unsere alten Lrinnerungen, die wir bis-

her nur mangelhaft ausgetauscht hatten, verlangten auch ihr

Recht. Als jedoch die Ringe einer xrächtigen ksavanna in der
Luft zerrannen, mußte ich unwillkürlich meinen Gedanken
Worte geben.

„Nkax, Du bist ja der reine Glückspilz. Wer hätte Dir
das zugetraut, sich hier ein so wohnliches Nest einzurichten und
eine so göttliche Frau heimzuführon."

„Diese Bezeichnung für sie muß wohl richtig sein, da sie
selbst Dich, den alten weiberseind, gewonnen hat. Ia, ich kann
nicht klagen, und doch gab es ein xaar Tage, in denen ich
meinte, daß dies alles zerschellt sei, sür immer."

„V, erzählel das muß interressant sein."

Nkax blickte eine Zeitlang sinnend vor sich hin. Dann
wies er auf die Wand.

„Du siehst jenen Rahmen dort?"

Ich sah hin. Dort hing ein zierliches Aästchen von Lben-
holz mit einer Glaswand, im Innern mit roter Seide aus-
tapeziert. Als einzigen Inhalt hatte es einen Zahn, der ge-
schickt in Gold gefaßt war.

„Ich sehe. Das ist gewiß der Zahn einer Fürstin, daß Du
ihn auf diese Art aufbewahrst."

„Liner Fürstin, damit hast Du sür mich das Richtige ge-
troffen. Es ist ein Zahn meiner Frau. Dies kleine Gewächs
wäre um ein bsaar Schuld daran gewesen, daß ich meine Frau
wieder verlor. Ls sind jetzt zwei Iahre her, als ich Nkarga
zum Altar führte. wer war damals glücklicher als ich l Ls
 
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