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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 37.1899 (Nr. 432-444)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16698#0081
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Aleggendorfers H u in o r i sti s ch e Blätter.

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Der Zahn.

war kserbst wie jetzt, aber fiir uns beide schien ein knospcn-
reicher !Nai angebrochen. lveißt Du, das kann ich Dir tausend-
mal erzählen, Du versteht es gar nicht so, wie wir es damals
empfanden. Du mußt auch heiraten . . ."

„Pardon, mein lieber Iunge, Du schweifst ab; übrigens
verträgt sich eine Heirat mit meinem Beruf schlecht."

„Na, ich weiß schon, davon darf man Dir nicht sprechen,
wir wollen es abwarten. Deine Zeit wird schon auch noch
kommen. Also es schien ewiger Friihling fiir uns, obwohl der
lvinter begann. Aber, wenn ihn unsere Geister auch nicht
wußten, kärperlich wurden wir doch bald daran erinnert, daß
es ein recht kalter, harter Mnter war. Nkeine Marga hatte
einen gehörigen Schnupsen . . . ."

„Nun, das passiert mir auch manchmal."

„Du unterbrichst mich. Sie erkältete sich und bekam fiirchter-
liche Iahnschmerzen. Du weißt wohl, wie das thun kann, denn
als wir friiher noch bei der lvitwe B . . . zusammen wohnten,
hast Du mich manche Nacht nicht schlafen lassen, so stöhntest
und stuchtest Du, wenn es Dir ebenso ging. Meine Fra»
stuchte nicht . . . ."

„Das iniißte sich auch wunderbar anhören, wenn eine so
zierliche Frau stuchte."

Max beachtete mcincn Linwurf gar nicht. „Sie warf auch
nicht mit den Schuhen gegen die Thüre vor wut, wie Du es
thatest, aber sie weinte. Und Du weißt, eine geliebte Frau
weinen sehen, ist hart. Ich litt also fast noch mehr als sic.
Marga wurde unfreundlich, mürrisch, launisch. Das schlinimste
aber war, daß sie mir die Schuld gab an ihrem schmerzhaftcn
Leiden. Vft genug rief sie: ,Du willst Zahnarzt sein und
kannst Deine eigene Frau nicht einmal von Iahnschmerzen be-
freien. Geh, wenn Du nur wolltest, könntest Du mir gewiß
helfen? Ich suchte alle möglichen Mittel anzuwenden, aber der
klcine Vuälgeist dort behielt ininier die Gberhand. Lr war
eben ganz verdorben und hohl. Wcnn ich aber sagte, daß er
nur durch Ausziehen unschädlich gcmacht werden könnte, dann
wurde mein Frauchcn blaß und nannte mich einen Barbaren.
Sie hatte eben einc furchtbare Antipathie gegcn meine Iangen
und den Bperationssessel. In das Zimmer, wo er stand, ging
sie nur mit Mderwillen. Sie behauptete, es röche nach Blut.
So war denn durch den dort, der jetzt so sclbstbewußt in seinem
Schaukästchen thront, der Unsriede eingekehrt in meinem jungen
Lhestande. Lines Tages, als Marga wieder steinerweichend
jammerte, riß mir aber die Geduld. Ich beschloß zu einer List
zu greifen. Ich holte auf unverdächtige Art eine meiner kleinen,
aber geschicktesten Zangen und sagte zu meiner Frau, die sich
in eine Soxhaecke gedrückt hatte, so ruhig, wie mir mög-
lich war: ,Höre, laß mich den Zahn noch einmal sehen, vielleicht
hilft ein Mittel, das wir bis jetzt noch nicht angewandt haben?

Sie ließ mich ahnungslos in ihr kleines Mündchen sehen.
Der große Augenblick war gekommen, ich mußte mich jctzt auf
meine Geschicklichkeit verlassen. Mit ungewöhnlicher Lrregung,
die mich sonst nicht überkommt, selbst wenn ich Schwieriges zu
leisten habe, nahm ich schnell das versteckte Instrumcnt, und da,

. . . . ehc Marga Ieit hatto, irgend eine Bewegung zu machen,
war der kleine Teufel auch schon herausgebracht. Die lvirkung
dieses kühnen Unternehmens war eine sonderbare. Meine
Patientin blieb vorläufig völlig starr sttzen, ohne der kleinen
Blutstroxfen zu achten, die über ihre Lixpen tröpfelten. Dann,
nachdem sie gleichsam sicher geworden war, was ihr geschehen,
brach sie in ein krampfhaftes Weinen aus, so daß ich inich bei
diesem betrübenden Anblick sast selbst einen grausamen Menschen
schalt. Ich suchte ihr mit den sanftesten lvorten vorzustellen,
daß sie jetzt zwar einen Zahn weniger besäße, daß es aber gar
nicht zu sehen und daß die bösen Schmerzen nun sort seien.

Abcr ich hatte gut reden. Sic hörte gar nicht auf mich. Als
ich aber nach ihrer ksand griff, schien ihr plötzlich das volle
verständnis für meinen unerlaubtcii Lingriff in ihrcn Besitz zu

kommen. Sie stieß mich mit Bitterkeit zuriick, um dann aus
dcm Simmer zu stürzen, dessen Thüre dröhnend zuflog. An
diesem vormittag bchandelto ich meine Patienten ziemlich zer-
streut. Jch mußte fortwährcnd an Narga denken. Als cndlich
der letzte gcgangen war, suchte ich sie wieder auf. Sie war
nicht im lvohnzimmer und als ich das Mädchen fragte, bckam
ich die verwunderte Antwort, sie sei ja verreist. Ich war be-
troffen, machte aber doch schnell ein Gesicht, als ob ich diese
lvortc nicht ungewöhnlich sände, im Gegenteil mich erst jetzt
daran erinnere, daß meine Frau wirklich eine Reise bcabsichtigt
hattc. Das einfältige Mädchen, das, wie sie erzählte, ihror
Hcrrin den Aoffcr zur Bahn getragen hatte, brauchte eben
nicht zu wissen, daß meine Frau davongegangcn war. In
ein paar Tagen würde sie ja sicher wieder bei mir sein, und
dieser kleine Besuch bei ihren Lltern in D . . . . mochte ihr
ganz gut thun. Sicherlich würde ihr der alte, originclle Paxa
schon das Trotzköpfchen wieder zurechtsetzen. Ich richtete mich
also so gut wie möglich ein als Strohwitwer und lauschte oft
auf die ksausglocke. Aber so oft sie auch schellte, meine Marga
kam nicht. Der Himmel mochte wissen, wie sie in ihrem ersten
Zorn bei ihren Lltern angelangt war und welche Grausam-
keiten sie den alten Leuten von mir aufgetischt haben mochtc.
Iedenfalls mußte sie schon ganz gehörig aufgetragen haben,
das deutete der Brief an, der endlich kam. Ihr vater schrieb
mir in dürren lvorten, daß seine Tochter, nach dem, was zwischen
uns vorgefallen sei, ein ferneres Zusammenleben unmöglich
halte und gewillt sei, die Lhescheidung zu beantragen, in dic
ich ja, meiner Handlungsweise nach zu schließen, willigen würde.
Ich wurde nach diesem Briefe sehr nachdenklich. wußte der
Alte wirklich auch genau, was vorgefallen war? Und Marga?
War es wohl möglich, daß sie so unversöhnlich sein sollte, wo
sie mir eigentlich Dank schuldete? Das wäre jedenfalls der
sonderbarste Scheidungsgrund, weil ein Zahnarzt seiner eigenen
Frau einen Iahn ausgezogen hatte. Aber genügcnd mochte
er wohl sein. Ls würde gewiß als schwere Mißhandlung be-
trachtet werden. In meiner Angst lief ich zu Frank. Du kennst
ihn ja wohl noch, unsern alten Schulfreund. Lr besitzt draußen
 
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