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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 37.1899 (Nr. 432-444)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16698#0123
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Meggendorfers Humorislische Blätter.



Zie Aache öes Altimrls.

Line heitere Schulgeschichte von E. D.

er lscrr Professor Aeilhuber
halte soeben die Aorrektur
der von den Iögliugen
der jdriina versaßtcn lateini-
schen Arbeiten beendet.
Lrleichtert aufatmend, strich
er sich mit der tsand durch
das dünne tsaar, um dann,
nachdem er die seinen Schii-
lern wohlbekannte ksorn-
brillc weggelegt hattc, fnr einen Augenblick sich in seincn Scssel
zuriickzulehnen und auszuruhen.

Leicht war seine Arbeit nicht gewesen. Ieder, der ihm an-
vertrauten Iiinglinge der lvissenschast hatte, der Inspiration der
eigenen Akuse folgend, ein lateinischcs Lpigramm zum Lobe des
alten lfomer verfassen müssen. Das war in der alten Aloster-
schule zu p. so herkömmlich. Die jdrosa des vielgeschmähten
latcinischen Aufsatzes genügte nicht, um dom nach Bethätigung
drängenden Geiste der alten Sxrachwissenschaft geuügend Raum
zur Lntfaltung zu geben: sogar gedichtet mußte werden, und
wehc dem, dessen jdoesie und Metrik vor dem kiinstlerischen und
wissenschaftlichen Urteil des gestrengen Lserrn jdrofessors nicht
bestchen konnte! Unfehlbar erhielt ein solcher Uebelthäter durch
unfreiwilligc Nluße, — vuIZo Arrest, Gelegenheit, auf dem lvege
zum Gixfel des parnasses einen bedeutsamen Schritt vorwärts
zu thun, — von der vernichtenden Aritik, die Aeilhubcr bis-
weilen in klassischen lateinischen versen unter das Machwerk
seiner Schüler schrieb, gar nicht zu reden.

lseute mußte den armen jdrofessor irgendetwas besonders
geärgert haben. „Lin unverbesserlicherlvindhund,derDorpmüller>"

murmelte er vor sich hin, indem er sich erhob und die lsefte
zusammcnpackte. „Als ob ich so etwas nicht sofort merktcl
Na, ich werd's ihm schon anstreichon I" In recht ungcmütlicher
Laune nahm dcr gelehrte lserr bsut und Ueberzicher und verließ
dann, dic korrigierten yefte untor dem Arm, seine wohnung,
um sich zur lateinischen Stunde in die jdrima zu begeben.

Der von dem lferrn jdrofessor mit dem schmcichelhaftcn
Lpitheton „windhund" Bczeichnete war der in litteris zwar
nur schwachc, aber wegen seiuer lustigen Linfälle und scines
unversieglichen
kfumors bei allen
Schulkameraden
beliebte Ultimus
der jdr-ima, der
wie immer, so auch
heute dem kferrn
Professor bei sei-
nem Lintritt in
dasAlassenzimmer
dienstbcstissen kfut
und Ueberzieher
abnahm und bei-
desanseinonjdlatz
brachte. Daß cr
dabei hinter dem
Rnckendes,Altcick
den kfut aufsctzte
und den schlürfen-
den Gang des Ah- "

nungslosen mit

wunderbarem Imitationstalent nachmachte, gehörte zwar nicht
unbcdingt zur Sache, war jedoch für die Aameraden eiu Anlaß
zu verhalteuem Aichern, das sreilich bei cinem strcngeu Blick

des Professors sofort erstarb. während Dorpmüller den kfut
und Ukantel an die wand hing, hatte der jdrofessor scinc kfefte
mit dcn Lpigrammen auf das Pult dcr vordersten Schulbank
gclcgt, gerade vor Dorpmüllers jdlatz.

Der Ultimus mochte wohl kein ganz saubcres Gewisscn haben;
denn kaum hatte der ,Alte' dcn Rücken gcwendet, um sich aus dem
Ueberzieher seine Brille zu holen, als Dorpmüller auch schon
verstohlen in den vor ihm liegcnden kfeften zu blättern begann,
um womöglich seine Lensur zu entdeckcn.

„Sie neugicriger Pinsell" ließ sich da plötzlich in höchster
wut die Stimine des Gestrengen vcrnchmen. „Sie werden
Ihr Lpigramm schon früh genug zu sehen bckommen." Dann
bcgann cr, noch zitternd vor Lrregung, die kfefte auszuteilcn.
Auch Dorpmüllcr, der entdeckte Missethäter, crhielt das scinige.
Zu seinem Lntsetzen fand er unter seinem poetischcn Gcistcs-
produkt die von des jdrofessörs kfand geschriebcnen Zcilen:

Illeinsius egrsgie lauäem clescripsit Ickomeri.

OorpmüIIer illius cur sua verbu kucit?
zu deutsch:
kferrlich hat
kjcinsius eiust
das Lob des
kfomeros ge-
sungen. Dorp-
müller schricb
von ihm ab.
kfat das nicht
Strafe vcr-
dient? -— „Sie
wcrden im
Aarzer zwei
Stunden über
ein ncues Lpi-
gramm nach-
denkenl" —

Linen Augcn-
blick saß Dorp-
müllerwiever-

stcinert da. Dcr vielbclcscne ,Altc' hatte scincn so schlau ange-

legten Schwindcl
also doch entdeckt.
,Aberwas hilft's?'
dachte er. „was
man sich einge-
brockt hat, muß
man anch aus-
essenl" kllit dicser
philosophischen
Lrkenntnis kehrtc
auch der kfumor
des armen Sün-
ders zurück. Lins
freiliäj ärgcrte ihn
doch mehr, als er
selbst sich zunächst
eingestehen woll-
te. „Neugierigcr
pinsel" hatte der
Professor ihn ge-
nannt. Das war

für eincn Primaner, der binnen kurzcm die Freiheit des
Studentenlebens erringcn wollte, mchr, als sich uüt seiner
würdc vertrua. —
 
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