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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 37.1899 (Nr. 432-444)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16698#0124
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

ll6


Finstere Rachegednnkcn maren es daher, dic den sonst so
gutmiitigcn Dorpmiillcr beschäftigten, als er bald darauf in dem
ciusamen Uarzer seine lRissethat biißte. Die verschiedensten
pläne durchkrcuzten sein lfirn, aber einer nach dem andcrn
wurdc wiedor vermorfcn. Lndlich schien ihm ein genialer
Linfall gekommen. Dio Betrachtung der mit allerhand Bildern
und Inschriften, — Lrzeugnisscn der Galgcnhumors friiherer
Leidensgenossen, — bekritzelten lvände seines Gefängnisses mußte
ihu wohl darauf gebracht haben. Iubelnd schlug er sich auf
die Aniec: „Am nächsten Montag, wenn die zwölfte Stube ihr
Aranzfest feiert, wird's gemachtl" lNit diesem löblichon Ent-
schluß beendcle er seiue schwarzen Pläne, um sich an die Arbeit
zu begcben und das vou Rcilhubcr vcrlangte neue Lpigramm
zn „verbrechen." —

llm den Dichtor in dom Tete-a-teto mit seiner lNuse nicht
zu störcn, sei hier in allcr Stille erwähnt, daß das „Rranzfest"
eine althergebrachte Linrichtuug der alten Alosterschule war,
welchc darin bcstand, daß jede von den Anstaltszöglingcn bc-
wohutc Stube einmal im Iahre von ihren Insasseu bekränzt
wurde. Daboi pflegtcn dic Festtcilnehmer ihrer iiberiuütigeu
Lauue insoferu dic Zügel schießcn zu lassen, als an die aus dcu
Augeln gehobone Stubenthüre ein sogenannter ,Rladderadatscksi
angcheftet wurde, welcher übcr Lehrcr und lllitschüler allcrhand
gutmüiig-boshafte Spöttereien euthiclt und dessen Lektüre zur
allseitigen Lrheiteruug dicnte.

„Ra, Dorpmüllcr, wio ist's denn iiiit dem „Aladderadatsch"
für das Aranzfest am nächsteii lNontag?" wurdc unser Ultimus
am folgendon Tage von scinen Stubenkaineraden gefragt. „Sie
wolltcn es doch übcrnehmen, ihn anzufertigen." — „Ach I ich
habe weuig Lust dazu," wehrte der Gefragte ab, „der alto

Aeilhuber hat am nächsteu lNoutag gcrade die Aussicht, und
wird natürlich auch beim Aranzfest wieder übcrall hcriiuischnüf-
feln. T>as verdirbt eineiu ganz dte Laune; donu wenn dcm
,Alten' irgend ein Scherz zu derb gcraten ist, hat ja doch die
lforrlichkeit ein Ende und der Aladdcradatsch wandert in den
Gfeu." — „Ach was, nur keine Ausredonl" erhoben sich von
allen Seiteu die Lntgcgnungeu, „was versprochen ist, muß ge-
halten merden. vcm ,Alteick wäre es iibrigens ganz gesund,

wenn er dafür, daß er Sie gestern „neugieriger Pinsel" tituliert
hat, einmal ordentlich sein Teil mit abbckäme." Nach länge-
rem, scheiubaren Sträuben willigte Dorpmüller auch endlich ein.
Nur die, welche ihn näher kannten, hatten an dem vergnügten
Lächeln, das um seine INundwinkel zuckte, bemerkt, daß er et-
was Besondcres im Schilde führte.

Der Tag des Aranzfestes war gekommen. Gemessenen
Schrittes verließ professor Reilhuber in der Freistunde uach dem
Morgenuutcrricht die Stube, um seiner Pflicht als Aufsicht-
führender zu genügen und insbesondere den „Aladderadatsch"
auf Stube zwölf zu bcsichtigen. Ls mußte verhütet werden,
daß dcr ljuiuor allzu üppige Blüten trieb, und daß nicht Lle-
mente, wie zum Beispiel „dieser Dorpmüller" die Autorität des
hochweiscu Lehrerkollegiums durch frevelhaftc Lästerungen
untergruben.

Stubc zwölf schien leer zu sein. kvahrscheinlich hatten ihre
Bemohner die Freizeit benützt, um im nahen Walde noch einige
Guirlanden zum Bekränzen zu holen. Die ausgehobene Thiire
lehnte jedoch schon, mit grünem Laub geschmiickt, an der kvand.
Mtton darauf leuchtete aber austatt des sonst dicht mit Zeich-
nuugcii und Schriftzügen bedeckten Rladderadatschos ein leeres
weißes Blatt. Nur uiiten in einer Lcke cutdeckte Keilhuber
bci uäherein lfiuschauen, vuit ganz kleinon Buchstaben geschrie-
ben, das lvörtchen: „lvendenl"

Bhuc an etwas Arges zu denken, drehte der Professor
natiirlich das Blatt um. In demsclben Augenblicke aber fuhr
er, wie vom Schlage getroffcn, entsetzt zurück. Sein erster Ge-
danke war, das Blatt äbzureißen und in tauscnd Fetzen zu
zerkleinern. Aber er besaun sich. Scheu um sich blickend, ob
ihn auch niemand bcmerkt habe, verließ er die Stube. „G
dieser gotllose Bengel, der Dorpmüllerl" murmelte er in höcb-
steui Zorne vor sich hin.

Die Mundart.

^r ast harmlos einst die Bitt' an mich gestellt,

Zu sagen, wolche Mundart inir gefällt,

Und rasch bcsonnen hab' ich dich gekiißt,

Da diese Ukundart mir die liebste ist. W. Kammerer.

verautwortlicher Redakteur: Ukax Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stnttgart.
Iu Gesterreicb-Ungarn für kserausgabe nnd Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in tvieu I.

Verlag von I F. Schreiber in Münrlren nnd Eszlingen.
 
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