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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 39.1899 (Nr. 458-470)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20267#0018
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LNeggendorfers Humoristische Biätter.

sv

Der Vpalring.

daß sie zeitweise total taub war. verlangte ich etwas von ihr,
was ihr nicht xaßte — trat merkwürdigerweise diese Taubheit auf.

Sie erschien also, wie gesagt, sehr ungnädig, mit einer
schiefsitzenden lhaube und verdächtig roten Backen. Schwindlig
schien ihr auch zu sein. Meine Vorwürfe wegen des kalten
Vsens schien sie nicht zu hören — sie kniete in erhabenem
Schweigen an dem Dfen nieder und machte einen so furchtbaren
Sxektakel mit Rohlenschixpe und Feuerhaken, daß ich mein
eigenes wort nicht verstand. Schließlich erhob sie sich und
stellte sich zu meinem Lrstaunen vor mich hin.

„Und ich wollte dem kerrn Berger noch sagen, daß sich
der kserr Berger nach einem andern Logis umsehen muß, weil
dieses Logis gekündigt ist."

„Ach — neel?" sagte ich ganz erstaunt. „Warum denn?
lvas ist denn los?"

Die Burgratze schlug verschämt die Augen nieder. „Ls is
nur — ich habe mir bloß verlobt — und was mein Bräutigam
is — der möchte nu nich mehr so lange warten —"

„verlobtll" — schrie ich — „Donnerwetter muß das ein
— ach so! na — meinen Glückwunsch, Frau Burgrah — wie
heißt denn der Glückliche und wo haben Sie ihn denn aufge-
gabelt?"

Sie lächelte wieder unendlich verschämt. — „Lr is 'n
lvitmann — und hat drei Kinder — drei, sind aber schon
alle erwachsen — 'n Puckel is da auch bei — und mein Bräu-
tigam is bei die Bahn und es is alles da, Nteubles und lväsche
und alles."

„Na, denn man zul" sagte ich restgniert — „da muß ich
mir eben eine neue lvohnung suchen. lvie alt sind Sie eigent-
lich, Frau Burgratz?"

Frau Burgratz zierte sich ein bißchen — „es is man — in
die Zeitung stand ,nich über sünfzig' und ich bin nu sechund-
fünfzig — aber die xaar Iährchen — die bring' ich ihm so
nach und nach bei —"

Die Burgratze war abgetänzelt, und ich seufzte tief. Ach l
welche Unbequemlichkeitl Die Burgratze trank zwar meinen
Lognac und war eigentlich gräßlich — aber ich hatte mich
an sie gewöhnt. Nun wieder eine andere — neue Untugen-
denl l Das Beste ist, man heiratet selbst, da hat man seine Ruhe l

Diese Burgratzel NUt sechsundfünfzig Iahren heiratet so
was noch — ein gesegnetes Rindvieh mußte der Glückliche sein.

Ich stellte mich vor den Spiegel und betrachtete mich mit
kritischen Augen. — lhaare —? Da sah's trüb aus. Aber
viel jüngere Leute als ich, hatten auch keine. Und sonst konnte
ich mich sehen lassen, mit meinen achtundvierzig Iahren l

Da war z. B. die reizende, junge lvitwe, die mir immer
so süße Augen machte. 'N bissel kokett war sie, das war nicht
zu leugnen — aber das gewöhnt man ihr schon ab, wenn man
erst „der Herr" ist. Geld mußte da auch sein — denn ihre
Toiletten waren nicht aus paxxe! (gewöhnt man ihr übrigens
auch ab!) — ob ich's riskierte??

Avancen hatte sie mir genügend gemacht — Linladungen,
fie einmal zu besuchen etc. — freilich — ohne diese alberne
Verlobung der Burgratz hätt' ich nie daran gedacht — es war
doch ein gewagter Schritt — wenn man so alles überlegte. —

Aber ein weiserer Mann als ich hat die geflügelten lvorte
gesxrochen, wenn man überhauxt überlegte, käme nie eine Ehe
zu Stand. Also — srisch koxfüber hineingesprungen — wie
ins kalte lvasser.

Somit trabte ich richtig am nächsten Morgen, ein verheim-
lichtes Rosenbouquet in der Tasche, nach der lvohnung der
Sirene, klingelte und konstatierte beim Lintreten, daß die lsolde
eine sehr gute Aöchin haben mußte, denn es duftete verführe-
risch nach allem möglichen Guten. Das öffnende Zöfchen, in

lsäubchen und Battistschiirze, lächelte schalkhaft und trixpelte
mit meiner Aarte ab — und ich stand, sehr beklommen —
lockerte die weiße Arawatte, die mich beengte, und strich unter-
nehmend den Schnurrbart in die kjöhe.

„Sehr angenehml" meldete das zurückkehrende Zöfchen —
und im nächsten Augenblick stand ich meiner Lrwählten gegen-
über, die mir in einer raffiniert chicen Toilette entgegen schwebte.
Gleichzeitig erhob sich von einem Diwan die lange Gestalt mei-
nes Freundes Lehmann und nickte mir maliziös zu.

„Nein, wie reizend I" rief meine Auserwählte — „sieh doch,
Arthur, die schönen Rosen l" Sie bemächtigte sich des Bouquets
und knixte schalkhaft. „vorzustellen brauche ich die kserren
wohl nicht — nein, wie haben Sie nur so schnell von unserer
verlobung gehört? — Du Schlimmerl (hier drohte sie Leh-
mann, der in unverschämter weise grinste) hast gexlaudert?"

Ich schüttelte lqände und stotterte Glückwünsche — und
dankte meinem Schöxser, als ich erst wieder draußen war und
etwas verdutzt heimging. So viel stand bombenfest — acht
Tage früher HLtte sie mich genommen — acht Tage friiher —
da hatte ich auch den Ring noch nicht. —

Dummer Unsinnl — es gibt ja mehr lveiber. Rokett
ist sie reichlich — und die Toilette von heute möchte ich nicht
zu bezahlen haben — Lehmann kann sich freuen. Gb er ihr
das „Augen machen" in der Lhe abgewöhnt — d. h. anderen
gegenüber, ist sehr die Frage. Und auf seine alten Tage den
Lrzieher sxielen — ist ein sehr zweiselhaftes Glückl —
Ich ließ, vor meinem Schreibtisch sitzend, nreine weiblichen
 
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