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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 39.1899 (Nr. 458-470)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20267#0145
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Älleggendorfers t)umoristische Biätler.



nachlässig und vergeßlich im höchsten Gradc. Alles verlegte und
verlor sie. Wie haben wir daruntcr gelitten, und was siir Gcld
hat es gekostet, all das Verlorene und verdorbcne zu ersetzen!
5ieh mal, ich kann meiner Frau ein gutes, sorgloses Leben
bieten, aber reich bin ich nicht, und wenn ich denke, es könnte
mir gchen wie Papa — und ich sollte eine solche Lodderwirt-
schaft ertragen — nein I — das könnte ich nicht — da ginge
Liebe und Freude und alles drauf."

„Gerechter Lsimmel, bNensch, was faselst Du zusammen?
Warum soll denn die kleine Lette-Schiilerin durchaus so 'ne
Schusselgritte sein? Ich dächte, die sähe so zierlich und adrett
aus, wie aus dem Li gepellt!"

sie, seit Mochen Du brauchst nicht zu husten — zufällig, sag'
ich, und zufällig gewöhnlich hinter ihr — Nlensch, kauf TNr
doch Bonbons, wenn Du immer krächzest. Glaubst Du wohl,
daß ich bereits dreimal in diesen vier Wochen ihr etwas ver-
lorcncs aufgehoben und nachgetragcn habe?"

„ksm, hm!" machte Leo nachdenklich.

„Und das ist noch nicht alles — zweimal hat ihr ein anderer
was aufgehoben und nachgetragen — und zweimal hat sie das-
selbe Päckchen noch einmal verloren. Jch hab's beobachtet.
Und das — das ist doch gewiß nicht in der Vrdnungl"

Leo pfiff leise.

„Ich trage ihr nichts nach" — begann Walter diister. —
„Na hör mal, alter Sohn — ich denk', Du trägst ihr jedes-
mal was nach," kalauerte Leo schon wieder.

„Nkensch, mach mich nicht tolll — wo ich schon so viel
Kummer hab'I — Aber sieh nur, — sieh bloß — dal"

Sie waren der jungen Dame unterdessen näher gekommen
und bemerkten, wie sie soeben ein Paketchen, das ein Iunge
ausgehoben hatte, in Lmpfang nahm.

„Das zweite Nkal heute — das erste kNal hob ich's ihr auf,"
sagte lvalter mit Grabesstimme.

„björ mal," meinte Leo nach einer Pause — „laß mich
sie mal beobachten — geh Du einen anderen U)eg in Dein
Bureau — es gibt ja zufällig einen, der zwanzig Minuten kür-
zer ist. Geht es wirklich so sort, so hast Du recht. Lin so gedank-
enloses und leichtsinniges Nkädel wird nie eine Hausfrau. Gib
ihr Zeit — i ch beobachte kaltblütig, während Du Dich totärgerst.
Ich melde Dir alles treulich."

IValter seufzte wiederholt und schlug zögernd cin.

II.

Die kleine Lette-Schülerin saß sehr hungrig vor dem, mit
ciner Serviette überdcckten, winzigen Tisch ihres kleincn Stüb-

chens im vierten Stock der B.-Straße und klopste ungcduldig
mit dem Löffel aus den Tisch.

Ivanda Lipsius hieß sie und war wirklich ein sehr hüb-
sches frisches INädchen.

„Gibt's bald was, Frau Iveber?" ries IDanda.

„Iotte doch, nadierlich I" sagte eine sette Stimme — in
der Thüre erschien die dazu gehörige rundliche Frau IDebcr,
Ivandas Koch- und Logiswirtin, und brachte einen dampfenden
Teller Suppe.

IVanda hob das feine Näschen.

„Aartoffelsuppe l" meldete Frau Iveber hoheitsvoll. „Die
essen Sie man ja so jerue."

„Gott sei Dank ja l" seufzte Ivanda und sah aus, als ob
sic von großer Sorge erlöst sei.

„Und dann jibt's Sauerbraten," suhr Frau Iveber sort,
mit einem Gesichtsausdruck, als wenu sie jemand meldete, daß
er das große Los gewonnen habc.

„Sauerbraten I" wiederholte Ivanda entzückt.

„Un — un Appelmußl" vollendete Frau IVeber, und ihr
Gesicht strahlte wie die liebe Sonnc.

„Apfelmuß l" jauchzte Ivanda — „da kann ja der Aaiscr
uicht besser speisenl"

Frau IVeber aber nahm den leeren Suppentcller sort und
brachte ein großes Stück Lraten, worauf sie im Bcwußtsein,
ein gutes Iverk vollbracht zu haben, steheu blieb und zusah, wic
Ivanda das Fleisch zerschnitt und den ersten Bissen seiner Bc-
stimmuug zuführte.

„lherrjehl" rief Ivanda aber sosort — und die „glorreiche
Sonne" ihres Blickes wandelte sich in dcn „IVinter bitteru
Nlißvergnügens" — — „herrjeh, Frau Iveber — der Sauerbraten,
der ist ja — siißl!"

„Na — jewiß doch l" nickte Frau Iveber.

„Und — Rosinen sind drin l" rief IVanda mit trübem Lr-
staunen.

„Das wird sich auch so jehörenl" sagte Frau Iveber stolz.

„Aber — zu ljaus aßen wir ihn doch immer sauer — und
ganz ohne Rosinen — uud — und —"

„Schmeckt er Ihnen etwa nich?" fragte Frau Ivebcr, und
machtc Augen, wie ein gereiztcs Nilpferd.

„Das wohl — gcwiß —" beeilte sich Ivanda zu sagen, —
„aber . . ."

„Na also — Sie scheinen och nich zu wissen, was jut is
— wie 's im Sxrichwort heißt: was nützt der Kuh NIus-
kate? — sie frißt bloß Ljaberstroh."

Ietzt wurde aber auch Ivanda böse.

„Ljaberstroh ess' ich nicht — und 'ne Auh bin ich nicht —
und Sauerbraten muß einmal sauer sein — und Lorbeerblätter
 
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