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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 42.1900 (Nr. 497-509)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20909#0015
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Meggendorfers humoristische Blätter.

7

Bül-Bül.

Ls liegt eine wunderbare Zauber-
macht in den Liedern der Sehnsucht, in
den lNelodien eines gebrochenen kserzens.
Nit damonischer Gewalt entfesseln sie
einen Sturm wildwogender Gefühle, vor
allem in jugendlichen lNädchenherzen; und
je unklarer ihnen der Sinn und die Euelle
der leidenschaftlichen Worte und Töne ist,
desto magischer und unwiderstehlicher wer-
den die Lsolden davon angezogen; erst ist
es ein grenzenloses Nlitleid, das ihre
schimmernden Augen mit Thränen erfüllt,
dann xocht ihr kserz in heißen Sehnsuchts-
schlägen, dann jauchzt es auf und lacht
und weint vor nie gekannter Seligkeit,
und dann taumelt es wie dcr Falter in
das Licht, sich zu verzehren in slammen-
der Liebe.

Der milde Frühlingssonnenschein er-
weckt die zarten Blüten, daß sie stille
duften und in lieblichem Blühen das
Auge erfreuen: so weckt eine sonnige hei-
lige Liebe ein seliges Liebesleben.

lVenn aber der wilde Sturmwind die
Blüten mit sich fortreißt, dann wirbeln
sie dahin durch die Lüfte — und sterben,
so weckt die Leidenschaft einen rasenden
Taumel, der ein unschuldiges lserz mit
nie geahnter lvonne erfüllt: was ist die
stille Lenzesliebe gcgen dieses Stürmen
und lVogen? Aber jene bringt dauern-
des Glück, dieses Tod und Verderben: und
dochl Das cntslammte kserz jauchzt auch
dem Untergang entgegen, als sei er die
höchste Seligkeit.

Bald merkte Iung-Spielmann den
hinreißenden Zauber, den seine Sehnsuchts-
lieder auf der Nlädchen kserzen ausübten,
Augen die bisher harmlos und klar ge-
blickt hatten, leuchtetcn auf in einem neuen
Glanz und ein Feuer loderte aus ihnen,
das ihnen bisher frcmd gewcsen war.
Anospende Busen begannen zu wogen,
schwellende Lippen zuckten und glühten
und in die lVangen der zartesten Un-
schuld stieg die heiße Röte des Verlangens.

Das erblickte Iung-Spielmann, und
er freute sich seiner Uiacht, mit wilder,
boshafter Freude.

Fern in Arabiens Nlärchenwäldern
war einst ein Vogel mit buntem Gefieder,
dergleichen auf Lrden nicht zu sehen.
Bül-Bül war der Name des lVunder-
vogels; das wunderbarste aber war sein
Gesang, durch den er die Nlenschen ver-
zauberte. Ls zogen viele kselden und
Aönigssöhne aus, den Vogel zu gewinnen;
aber keiner kehrte wieder. Denn wenn sie
dem Baume sich nahten, in dessen Zweigcn
er saß, hub er an ein Lied von solch
riihrender Sehnsucht zu singen, daß ihre
ganze Seele davon gefangen genommen
wurde; atemlos standen' sie stille und
lauschten. Und er sang, wie so einsam

Bül-Bül.

und verlassen er sei, und wie sein kserz
sich sehne nach Ruhe, süßer Ruhe. „Ach,
daß nur erner käme, der Nlitleid mit mir
hätte, und mir das eine lVörtlein zuriefe:
Ruhe! Dann fände ich die selige Rast,
nach der ich vergeblich begehre." Und
keiner war, der diesem Schrei des Ver-
langens widerstand, und nicht erbarmungs-
voll das lvort gesprochen hätte: „Ruhel"
So bald aber dies lvörtlein ausgesprochen
war, hatte der Vogel Bül-Bül Nlacht über
dcn Sprecher nnd verwandelte ihn in einen
Baum.

Und der lVald wuchs um den trüge-
rischen Vogel her.

Da kam einstmals eine Aönigstochter
in den lvald, den vogel zu fangen. Die
hatte ein kaltes kserz und das Nlitleid
war ihr fremd. Da mochte der Vogel
Bül-Bül noch so rührend slehen, sein Sang
erweichte ihr klerz nicht, das Zauberwort
blieb unausgesprochen und Bül-Bül mußte
in einen goldenen Aästg stiegen, darein
das Nlädchen ihn verschloß. Nun war er
ihr Gefangener und mußte ihr seine Ge-
heimnisse beichten, so daß sie den ganzen
lvald verwunschener jdrinzen und Ritter
entzaubern konnte und mit einem gewal-
tigen lsofstaat dankbarer lselden in ihr
Reich zurückzog.

So erzählen sich die Araber beim
raubtierscheuchenden Lagerfeuer in der
kühlen lvüstenoase sinnreiche Nlärchen.

Iung-Spielniann hatte Bül-Buls ge-
heimnisvolle Nlacht erkannt und sich zu
eigen gemacht. Lr klagte in seinen Lie-
dern, wie verlassen er sei, von keiner
Schönen geliebt; er stehte um einen
hoffnungverheißenden Blick, sein sehnen-
des kserz zur Ruhe zu bringen. llnd
zaubermächtig wirkten seine lvorte und
Nlelodien, nicht minder seine seelenvollen
Augen. Und die unschuldigsten Nlädchen-
seelen, und die weltgewandtesten Schönen,
sie gaben sich dem Zauber gefangen.
„Ruhel" sprachen ihre liebestrahlenden
Augen, — und dann waren sie ihin ver-
fallen: er spielte mit ihren kserzen, wie
mit dem seinen gespielt worden war;
ein Zauberbann hielt sie an ihn gefesselt;
sein Kuß durchströmte sie mit unbezähm-
barem Verlangen, und wcnn er die Stunde
genossen, zog er weiter: hoffnungslose
Liebe weinte ihm nach, und die kserzen,
die er gebrochen, konnten sein nicht ver-
gessen und konnten ihm nicht stuchen, —
sie mußten ihn lieben und sterben.

Und ein böser Rnf folgte ihm nach
und eilte ihm voran durch alle Lande.
Nlan warnte und hütete vor ihm alle
Nlädchenherzen; doch alles umsonst: sein
schlimmer Ruf erweckte ihre Neugier und
zog sie an, wie die Flamme den Falter:
nach ihm sehnten sich und verzehrten sich
 
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