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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 42.1900 (Nr. 497-509)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20909#0042
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INeggendorfers Humoristische Blätter.

3^



Die Toöeskanöiöaten.

^^^ie fuhren in einem Loupe II. Alasse. — Warum nicht? —
— Ls war ja der letzte Lurus, den sie sich gönnten. —
Lr zählte zwanzig Iahre, sie nicht ganz siebzehn.
Sie saßen sich gegenüber und betrachteten feindselig das Stück
blühende, in Licht getauchte Land. — So schön hatten sie sich
alles, so schön, grau in grau, ausgemalt. Der helle Sonnen-
schein xaßte schlecht zu ihrer Stimmung. Sie ärgerten sich da-
rüber, er weniger als sie.

Lr sah aus die Uhr. — Es war eine Nickeluhr, stark ab-
geniitzt und zerkratzt.

„Noch zehn Minuten!"

„Noch zehn Nlinutenl" wiederholte sie. Er nickte unge-
duldig, aber hinter der Ilngeduld lauerte etwas wie Angst.

Sie stand auf und streckte ihm beide chände entgegen.

Lr ergriff sie und zog das Nlädchen auf seine Anie.

Da lag sie an seiner Brust, an seinein Nlunde.

Aeines regte sich. —

Ls war ja das letzte Mal, daß sie sich so fest umschlungen
hielten.

Sie lauschten den raschen Schlägen ihrer kserzen, sie fühlten
deutlich das eilige Isämmern der Pulse. Das taktmäßige Schlagen
der Räder lullte sie ein. Ivie unsinnig xreßten sie die Lippen

aufeinander.lautlos .... und dachten eigentlich an

nichts. Auch ihren Schmerz vergaßen sie, denn sie hatten die

Augen geschlossen und sahen nicht das kummervolle Gesicht des
andern, dessen Anblick das eigene Leid nährte, besser — über-
fütterte.

Und der Auß war so süß . . . so heiß . . . er trug sie zu
den Sternen . . . zur Unsterblichkeit.

sillötzlich sließ er sie so kräftig von sich, daß sie in den Sitz
gegenüber flog.

Sie schrie auf und starrte zuin Fenster.

Dort verschwand eben der Aopf des Aondukteurs mit dem
sirupxigen, herabhängenden Schnurrbart. Lr hatte beim vorüber-
gehen die Scene indiskret mit angesehen.

„Der Kondukteur!" sagte er gedämxft, seine Araftübung
entschuldigend.

Da bekamen sie einen heftigen Ruck, daß sie mit den Köpfen
aneinander xrallten. Die getroffenen Schädelstellen reibend,
musterten sie ihren Gesichtsausdruck. — Lr war sehr komisch.
— Beide brechen in ein lautes Gelächter aus. — — IVarum
auch nicht? Ls war ja ihr letztes Lachen. — — Lr lachte
mehr als sie.

Da xfiff die Ulaschine, die Bremsen knirschten. Nach wenigen
Sekunden stand der Zug.

Der Aondukteur mit dem strupxigen herabhängenden Schnurr-
barte öffnete die Thüre und sah sie unverschämt an. Sie wurden
aber gar nicht verlegen. Ruhig blickten sie in das srech lächelnde
Gesicht dieses Ulenschen. IVas sollten sie sich ffchämen? In
einer Stunde ist alles aus.-— —-- — —-

Sie standen am Ziele ....

Der Iveg, den sie lhand in Isand zurückgelegt, wat xracht-
voll. Rechts und links tannengekröntes Felsgestein.

vor ihnen zerschnitt eine tiefe Schlucht den Felsweg. Den
Abgrund überbrückte ein wetterzerfressenes Brett. Tief unten
schoß der Ivildbach zu Thale.

Die beiden sahen sich an und stürzten sich in die Arme;
ihre Leiber xreßten sich aneinander. Beide weinten . . . . er
weniger als ste.

Lndlich rissen sie sich los.

Ivieder sahen sie sich an . . . lange . . . es war ja das
letzte Ulal.

Sie fllhlten, daß sie sich noch etwas zu sagen hatten.

„Ich habe dich sehr geliebtl" sagte er sinnend.

„Du hast Sonnenschein in mein Leben getragen, Lenz und
Liebel" Sie sagte das so rasch, etwa, wie man sich beeilt, eine

bei Gericht eingeklagte Schuld zu bezahlen.-Dann sügte

sie hinzu: „Gott verzeihe unseren Lltern, sie haben unser Leben
zerstört."-Sie betrachtete ihren Geliebten.

Der sah emxor in das slimmernde Blau; sein Auge ver-
folgte die glänzenden Piinktchen, die im Aether tanzten.

Lr betet, dachte sie. Nach einer Iveile fragte sie: „Bist du
fertig?"

„Iver?-Ich?-Ia so, — sreilich . . . ."

gab er zerstreut zur Antwort.

„Dann komml"

Tapfer ging sie voraus und hob den Fuß, das graue Isolz-
brett zu betreten.

Da siihlte sie sich am Rocke gefaßt und sachte zurückgezerrt.

„Ivarte nochl" bat er.-— Dann sah er auf den

schwanken Steg und dann wieder nach den tanzenden pünktchen...

Sie standen jetzt dicht am Abgrund. Unten gurgelte und
schäumte das IVasser; es sah aus wie ein Gemisch von Ulilch
und Tinte.

Schaudernd sahen sie hinab. — —

„Iveißt du," brach sie das Schweigen, „daß es jammerschade
ist um uns? — Ivir sind doch noch so jung . . . . so jung . . . ."
 
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