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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 42.1900 (Nr. 497-509)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20909#0084
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

Vhne

InsurLnce Lompanzi", welche sowohl lherren als auch Damen,
sowohl gegen das kseiraten, als auch gegen das Sitzenbleiben ver-
sichert. Aber Sie scheinen Schmidtopolis nicht zu kennen, scheinen
nicht zu wissen, daß der weise Rat dieser Stadt vor zwei
Iahren die soziale Frage — wenigstens für das weichbild der
Stadt — dadurch gelöst hat, daß er das Geld abschaffte. Oas
ist doch höchst einfach. Vhne Geld kein Aapitalismus, keine
Anhäufung von Vermögen, kein Gegensatz zwischen reich und
arm. Man ist zu der ursprünglichen Forin des Tauschhandels
zurückgekehrt. Und da ich," schloß Pimpe seine Lrklärung,
„einige Tage dort zu bleiben gedenke, mußte ich mich natürlich
mit allerlei lVaren versehen."

Ich machte ein Gesicht, wie eine Auh, die zum erstenmal
auf eine secessionistische lveide getrieben wird und Mühe hat,
den stilisierten Klee zu erkennen.

„Rein Geldl" rief ich endlich. „Aber da bin ich ja unerhört
in der Tinte, denn ich habe nur Geld, und keine lvaren."

„Das ist nicht so'n Unglück," meinte Pimpe. „In der nächsten
Station, wo eine Stunde Aufenthalt ist, können Sie für Geld
alles Ulögliche kausen." Das war ein guter Rat. Ich befolgte
ihn und langte mit einer riesigen lvarensendung an dem Ziel
meiner Reise an. Nuttelst eines Möbelwagens brachte ich mich
und meine Fahrnisse ins ksotel zum „Fossilen jdfennig."

Und nun begann eine Reihe drolliger Tage. lvenn ich
ausging, mußte ich stets eine Ukenge von Gegenständen mit
mir schleppen. Die stapelte ich — z. B. im Restaurant vor
mir aus, und der Zahlkellner, mit einem raschen Blick die vor-
räte musternd, richtete seine Rechnung darnach ein. Am ersten
Tage hatte ich lauter Bücher mit, und ich bezahlte nun: für
Suppe, Beefsteak und Gemiise — ksamsuns „ksunger" in
prachteinband; für ein Backhuhn — Bierbaums „Bunten Vogel";
sür einen ksering und eine Auster — Shakespeares „Romeo und
Iulia"; sür zwei Glas Schwechater Lager-Bier und zwei Glas
ssilsner Bier — „Die Frage des Deutsch-Böhmischen Ausgleiches"
von einem Unparteiischen.

Aber nicht nur mit lvaren zahlte man in Schmidtopolis,
auch mit Arbeit, selbst mit geistiger. In der Barbierstube
nächst dem Stadttheater wurde man z. B. für den mit Lmpsindung
vorgetragenen Monolog aus kjamlet rasiert und haargeschnitten.
Und in dem „Luropean Bar" nebenan bekam man schon für
ein mäßiges, aber srisch gedichtetes Frühlingslied einen warmen
Grog, der einen alle Unbilden des Frühlings vergessen^lleß.
Ljübsch war es auch anzusehen, wenn ein eleganter lserr, nachdem
er fein diniert hatte, sich in die UUtte des Saales stellte und
(gleichsam als Dessert) Schwerter schluckte und dazu Feuer aß,
eventuell noch eine schwungvolle Bauchrede hielt, bis er durch
den kvert ssiner Darbietungen jenen der Ulalzeit kompensiert
hatte.

Das brachte mich auf den Gedanken, mit meinen vorräten
etwas ökonomischer umzugehen, und vom nächsten Tage ab
bezahlte ich meine Zeche mit Lektionen sin der analytischen
Geometrie der Lbene und des Raumes, die ich der Aöchin und
dem Extramädchen erteilte, während ichIden jdiccolo im Serpen-
tinentanz unterwies.

In der kurzen Zeit, welche ich in Schmidtopolis zubrachte,
hatte ich auch Gelegenheit, das gute kjerz seiner Bewohner
kennen zu lernen. Im benachbarten Schultzeville hatte eine
verheerende Feuersbrunst gewütet, und es herrschte dort eine
große Notlagc. Sogleich veranstalteten die braven Schmidtopo-
litaner Sammlungen, welche ein stattllches Ergebnis lieferten.
Die Blätter veröffentlichten regelmäßige Sammellisten, in welchen
es z. B. hieß:

„Ivenig, aber von kserzen" siebenunddreißig Stiefelzieher.

„Toeur d'ange" zehneinhalb Ailo Schweineborstcn.

Geld.

„Aus Liddys Sparschweinchen" (welches das Format des
trojanischen Pferdes besessen haben muß) ein Ledersofa und
sechs Fauteuils.

„von einem Backfisch" zehneinhalb Ailo Gänsefett.

Da konnte auch ich nicht zurückbleiben und ich widmete
den Notleidenden eine viertelmillion Zahnstocher.

Da mein Urlaub zu Lnde ging, mußte ich diese sympathische
Stadt, wo ich so viel Schnurriges erlebt hatte, verlassen. Noch
am letzten Tage gab es eine kleine Ueberraschung. Ich wurde
auf der Straße von einem zerlumpten Bettler um eine milde
Gabe angesprochen. Ich war nicht wenig erstaunt, zog aber,
einer Regung meines kjerzens folgend, einen großen Tigel „Es
ist unerreicht" aus der Tasche, den der arme Ulann mit einem
,vergelt's Gott' entgegennahm. Ich gab meiner verwunderung
Ausdruck, in der Stadt der gelösten sozialen Frage einen Bettler
anzutreffenl „Ich bin allerdings der einzige hier," erklärte
dieser mit hohler Stimme, aus welcher man den kjunger heraus-
hörte. „Ich bin nämlich der hiesige Geldbriefträger."

(Ain gebildeter (Karmer.

„Die einzige Ausbeute,

Die wir aus dem Aampf des Lebens
wegtragen, ist die Einsicht in das Nichts."

III. Akt, sechste Scene.)
 
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