Meggendorfers Humoristische Blätter.
s3s
Äus dem stundenplan einer Zukunstsschule.
„Mittwoch nachmittags von vier bis siinf Uhr praktische Uebungen im Ausweichen vor den Radfahrern."
ÄlN „R".
s war in der jdrima und zwar kurz vor dem Abiturienten-
Examen. lvir schrieben die schriftlichen Arbeiten und
heute saßen wir mit bänglichem lserzen und harrten des Themas
sür den deutschen Aufsatz. wie Gewitterschwüle lag es über
der ganzen Klasse, draußen aber, über dem im Blütenschnee der
Gbstbäume xrangendcn lsofe, lag lichte goldene Lenzessonne. Ua
schweiften die losen Gedanken in die Ferne, auf Pfaden, die
mit dem deutschen Aufsatz weniger zu thun hatten, als viel-
leicht mit den Liebesoden des ksoraz.
Nlit dem Eintritt des Professors fand auch das Träumen
einen raschen Abschluß. Alles hing erwartungsvoll an seinen
Lippen, von denen das inhaltsschwere N)ort kommen sollte . ..
Und es kam. Aber — was war das? Ich traute nicht
mcinen Vhren: „Die Geschichte einer Lrzieherin der Iugend",
so klang es von den pedantischen Lippen des Gewaltigen, ohne
jeden pathetischen Schwung zwar, doch mir sich ins Vhr
schmeichelnd wie ein Straußscher lvalzer. Ich blickte um mich,
um das gleiche Lntzücken, das mich bei dem verführerischen
Thema durchzuckt hatte, auf den Gesichtern rneiner Rameraden
spiegeln zu sehen, doch — sonderbar, sie saßen alle gedrückt,
sast traurig da! Bah, so sagte ich mir, da sieht man wieder
diese Iüngelchen, die noch am Schürzenbande der Mutter durchs
-eber gehen, was wissen die von der welt, ihren Freuden und
Leiden? Dagegen ich I Stolz reckte ich mich in die Brust; mir
trat das Bild der kleinen süßen Lotte, der Gouvernante meiner
Tante, vor die Augen; wie hatte sie so schnell in den letzten
Ferien mein junges sterz erobert und ich das ihre; fast un-
willkürlich spitzte ich die Lippen wie zum Ausfe; sie war meine
erste Flamme; der erste Mädchenmund, der mich geküßt und den
ich mit wahnsinnig heißen Rüssen bedeckt hatte, war Lottes
kleiner roter Mund gewesen, damals — abends — dort im Garten
in der dunklen Iasmin-Laubel
Und nun dies Themal Ia — das war mein Falll Dies-
mal sollte mir der Prosessor nicht sagen diirfen, daß mein Stil
trocken und die Gedanken schwach wärenl Ich konnte ja aus
dem Leben schöpfen, meiner Lotte ein Denkmal setzen in glühen-
den worten, eine Beichte holder erster Liebe!
Mit einem mitleidsvollen Blick auf die stumpfsinnig da-
sitzenden Mitschüler, über die ich mich ja chimborassohoch
erhaben dünkte, griff ich zur Federl Wie kühn bauten sich die
Perioden auf, wie quollen aus den Tiefen der Lrinnerung Ge-
danken empor, wie formte mein Geist sie sxielend zu lvorten,
hohen lvorten voll dichterischen Schwunges; wahrhaftig, das
mußte ein Meisterwerk, ein Dichterwerk werden. Als säße
Lotte neben mir und erzählte mir ihren Lebenslauf, so war's
mir, als formten und modelten sich die schlichten kvorte des
s3s
Äus dem stundenplan einer Zukunstsschule.
„Mittwoch nachmittags von vier bis siinf Uhr praktische Uebungen im Ausweichen vor den Radfahrern."
ÄlN „R".
s war in der jdrima und zwar kurz vor dem Abiturienten-
Examen. lvir schrieben die schriftlichen Arbeiten und
heute saßen wir mit bänglichem lserzen und harrten des Themas
sür den deutschen Aufsatz. wie Gewitterschwüle lag es über
der ganzen Klasse, draußen aber, über dem im Blütenschnee der
Gbstbäume xrangendcn lsofe, lag lichte goldene Lenzessonne. Ua
schweiften die losen Gedanken in die Ferne, auf Pfaden, die
mit dem deutschen Aufsatz weniger zu thun hatten, als viel-
leicht mit den Liebesoden des ksoraz.
Nlit dem Eintritt des Professors fand auch das Träumen
einen raschen Abschluß. Alles hing erwartungsvoll an seinen
Lippen, von denen das inhaltsschwere N)ort kommen sollte . ..
Und es kam. Aber — was war das? Ich traute nicht
mcinen Vhren: „Die Geschichte einer Lrzieherin der Iugend",
so klang es von den pedantischen Lippen des Gewaltigen, ohne
jeden pathetischen Schwung zwar, doch mir sich ins Vhr
schmeichelnd wie ein Straußscher lvalzer. Ich blickte um mich,
um das gleiche Lntzücken, das mich bei dem verführerischen
Thema durchzuckt hatte, auf den Gesichtern rneiner Rameraden
spiegeln zu sehen, doch — sonderbar, sie saßen alle gedrückt,
sast traurig da! Bah, so sagte ich mir, da sieht man wieder
diese Iüngelchen, die noch am Schürzenbande der Mutter durchs
-eber gehen, was wissen die von der welt, ihren Freuden und
Leiden? Dagegen ich I Stolz reckte ich mich in die Brust; mir
trat das Bild der kleinen süßen Lotte, der Gouvernante meiner
Tante, vor die Augen; wie hatte sie so schnell in den letzten
Ferien mein junges sterz erobert und ich das ihre; fast un-
willkürlich spitzte ich die Lippen wie zum Ausfe; sie war meine
erste Flamme; der erste Mädchenmund, der mich geküßt und den
ich mit wahnsinnig heißen Rüssen bedeckt hatte, war Lottes
kleiner roter Mund gewesen, damals — abends — dort im Garten
in der dunklen Iasmin-Laubel
Und nun dies Themal Ia — das war mein Falll Dies-
mal sollte mir der Prosessor nicht sagen diirfen, daß mein Stil
trocken und die Gedanken schwach wärenl Ich konnte ja aus
dem Leben schöpfen, meiner Lotte ein Denkmal setzen in glühen-
den worten, eine Beichte holder erster Liebe!
Mit einem mitleidsvollen Blick auf die stumpfsinnig da-
sitzenden Mitschüler, über die ich mich ja chimborassohoch
erhaben dünkte, griff ich zur Federl Wie kühn bauten sich die
Perioden auf, wie quollen aus den Tiefen der Lrinnerung Ge-
danken empor, wie formte mein Geist sie sxielend zu lvorten,
hohen lvorten voll dichterischen Schwunges; wahrhaftig, das
mußte ein Meisterwerk, ein Dichterwerk werden. Als säße
Lotte neben mir und erzählte mir ihren Lebenslauf, so war's
mir, als formten und modelten sich die schlichten kvorte des